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"Chance zur Entspannung nutzen"

Günther Birkenstock21. Dezember 2013

Die Freilassung des Putin-Gegners Chodorkowski sorgte weltweit für Aufsehen. Der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff betont im DW-Interview, dass Russland weiterhin offen auf Missstände angesprochen werden muss.

Der bisherige Russlandbeauftrage der Bundesregierung Andreas Schockenhoff - Foto: Hannibal (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Schockenhoff, 10 Jahre lang tut sich nichts - und dann geht alles ganz schnell. Was steckt hinter der plötzlichen Begnadigung des Kreml-Kritikers und früheren Ölmagnaten Michail Chodorkowski durch Russlands Präsidenten Wladimir Putin?

Andreas Schockenhoff: Entscheidend ist, dass Chodorkowski frei ist. Darüber freue ich mich. Auch aus familiären Gründen - seine Mutter ist schwer krank. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass diese Begnadigung natürlich ein faires Verfahren nicht ersetzt. Die Verurteilung Chodorkowskis hat gegen grundlegende, rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Und deshalb muss man auch diese Form von politisch gesteuerter Justiz in Russland weiter kritisieren.

Chodorkowski wurde in zwei Verfahren wegen Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Kritiker sprechen von politisch motivierten Prozessen. Ist es realistisch, dass er ein faires Verfahren bekommt?

Die beiden Verfahren, die er bisher gehabt hat, widersprechen sich in der Anklage schon logisch. Aber wir sollten gegenüber Russland immer die Hand ausstrecken. Wir wollen ein modernes, ein rechtsstaatliches, ein offenes Russland. Auch ein Russland, in dem Korruption endlich bekämpft wird.

Ob die Urteilsbegründung nun logisch ist oder nicht, scheint Putin ja nicht besonders zu interessieren. Wie ist Ihre Einschätzung: Ist die Freilassung eine reine Goodwill-Aktion vor den Olympischen Winterspielen von Sotschi - oder könnte sich die Menschenrechtssituation in Russland tatsächlich entspannen?

Egal, welches die Motive sind. Man muss auf jeden Fall diesen Anlass aufgreifen, um Russland die Hand zu reichen und zu sagen: Das ist eine Chance. Und man sollte jetzt nicht sagen: Das ist nur Taktik, das ist nur oberflächlich. Und wir müssen mit Russland darüber reden, was wir über die Lösung internationaler Fragen wie jetzt im Syrien-Konflikt und im Iran-Konflikt zusammen machen können. Dass wir dazu bereit sind und dass nicht, wie Putin glaubt, eine Zusammenarbeit etwa mit der Ukraine oder anderen Ländern in unserer gemeinsamen Nachbarschaft mit der EU gegen Russland gerichtet sei. Im Gegenteil.

Der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat sich stark für die Freilassung eingesetzt und hat Chodorkowski auch gestern in Berlin am Flughafen empfangen. Das klingt nach einer halboffiziellen, geradezu protokollarischen Variante.

Hans-Dietrich Genscher hat auch die Anwälte von Chodorkowski in der Vergangenheit beraten. Das war eben jetzt nicht protokollarisch-offiziell. Genscher ist ein sehr hoch angesehener, ehemaliger Politiker, der aber nicht mehr in der Funktion ist. Insofern war er von seiner ganzen Erfahrung her, aber auch weil er jetzt nicht amtierendes Regierungsmitglied ist, auch in einer Position, vermittelnd tätig zu sein.

Wenn wir in die Zukunft schauen: Welche Folgen wird diese Entwicklung für die deutsch-russischen Beziehungen haben?

Das können wir überhaupt nicht absehen. Für uns ist wichtig, dass wir gegenüber Russland eine Politik der ausgestreckten Hand haben - aber auch innere Missstände offen ansprechen.

Wenn es um Sotschi geht und auch mit Blick auf die Ukraine vertritt die deutsche Politik Positionen konträr zu Russland. Ist das der richtige Weg?

Konträr zu denen Putins - nicht konträr zu denen Russlands, denn es gibt in Russland viele Stimmen. Der richtige Weg ist, dass die Ukraine ein souveräner, selbstständiger Staat ist, und dass wir nicht akzeptieren, dass Moskau nach wie vor bestimmen will, welchen Weg die Ukraine in eine europäische Integration geht. Vor allem ist eine europäische Integration der Ukraine eben nicht gegen Russland gerichtet.

Der Fall Chodorkowski ist nicht der einzige. Und man könnte sagen, er lenkt ein Stück ab von einem ganz anderen Fall: dem des Umweltschützers Jewgenij Witischko. Er hatte gegen die Folgen von Sotschi-Olympia-Bauten für die Umwelt demonstriert. Jetzt hat ein Gericht seine Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt. Wie bewerten Sie das?

Das ist auch ein Einzelfall. Es gibt unzählige solcher Fälle - und man muss eben sehen, dass es in Russland keine unabhängige Justiz gibt. Dass in solchen Fällen die Richter nicht unabhängig entscheiden und es deshalb keine fairen Verfahren gibt. Das ist nicht nur in Einzelfällen ein Problem - sondern es ist eine Frage der Rechtsordnung in Russland und deswegen müssen wir die Frage auch der Rechtsstaatlichkeit in unserem Dialog mit Russland offen ansprechen.

CDU-Politiker Andreas Schockenhoff war bislang der Russland-Beauftragte der Bundesregierung. Es ist noch unklar, ob er diesen Posten behält. Der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollen voraussichtlich Anfang des Jahres darüber entscheiden. Schockenhoff war im vergangenen Jahr Initiator eines im Bundestag verabschiedeten Antrags, in dem das Vorgehen Moskaus gegen Oppositionelle scharf kritisiert wurde.

Das Gespräch führte Günther Birkenstock

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