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PolitikEuropa

Scholz in Griechenland: Krisenmanagement in Südosteuropa

9. Juni 2022

Bei einem Abendessen in Thessaloniki an diesem Freitag wird es um den Streit zwischen Ankara und Athen und die Spannungen auf dem Balkan gehen. Kanzler Scholz setzt auf Diplomatie und Zusammenarbeit.

Luftaufnahmen der griechischen Hafenstadt Thessaloniki
Blick auf das Zentrum der nordgriechischen Hafenstadt ThessalonikiBild: Vassilis Ververidis/ANE Edition/IMAGO

Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis hat zum Abendessen eingeladen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat zugesagt. Im nordgriechischen Thessaloniki treffen die beiden Regierungschefs am Freitag zusammen. Nicht zum ersten Mal, denn erst kürzlich haben sie sich beim EU-Gipfel in Brüssel getroffen und dort einen sogenannten Ringtausch vereinbart. Das bedeutet im Klartext: Athen liefert veraltete Waffenbestände aus Sowjetzeiten nach Kiew, um die Ukraine in Putins Angriffskrieg zu unterstützen. Dafür bekommt Griechenland Schützenpanzer aus der Bundesrepublik, an denen Athen ohnehin interessiert war. Dem Kanzler dagegen hilft der Deal, um der Kritik an seiner zögerlichen Haltung in Bezug auf Waffenlieferungen an die Ukraine zu begegnen. Eine Hand wäscht die andere also in Zeiten, in denen angesichts der russischen Aggressionen, die Karten am Tisch der internationalen Beziehungen neu gemischt werden.

Thessaloniki als Treffpunkt ist dabei nicht zufällig gewählt. Griechenlands zweitgrößte Stadt liegt nahe der Grenzen zu den Nachbarstaaten Bulgarien, Nordmazedonien und Albanien im Norden. Geschichtlich ist Thessaloniki, anders als die Hauptstadt Athen, eine Stadt des Balkans. Neben Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nehmen vor allem hochrangige Regierungsvertreter der Länder Südosteuropas am Abendessen teil. Seit 1996 versuchen die politisch häufig entzweiten Staaten im Rahmen des South-East European Cooperation Process (Prozess für Zusammenarbeit in Südosteuropa, SEECP), die Beziehungen zueinander zu verbessern.

Griechenland und die Türkei streiten sich um die Inseln in der Ostägäis

Auch die Türkei gehört zu diesem Zusammenschluss. Die Beziehungen zwischen Ankara und Athen durchlaufen derzeit eine tiefe Krise. Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert von Griechenland, die Inseln vor der türkischen Küste zu demilitarisieren und erhebt indirekt Ansprüche auf die Dodekanes-Inseln in der Ost-Ägäis. Hier werden reiche Erdgasvorkommen vermutet, die seit Jahren für Streit zwischen den beiden Nachbarländern sorgen und nun, da sich Europa von der Abhängigkeit von russischem Gas befreien will, an Bedeutung gewinnen. Griechenland setzt große Hoffnungen auf den Energiesektor als neues wirtschaftliches Standbein und will diesbezüglich in Südosteuropa eine führende Rolle übernehmen.

Schadensbegrenzung auf dem Balkan

Das Abendessen in Thessaloniki findet für Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss an seinen Besuch in Pristina und Belgrad statt. Serbien steht auf der Liste der EU-Beitrittskandidaten an erster Stelle. Gleichzeitig ist es eines der Sorgenkinder beim Treffen auf dem Balkan. Präsident Aleksander Vucic regiert sein Land mit harter Hand. Politische Beobachter hoffen, dass der deutsche Bundeskanzler klare Worte findet, um den serbischen Regierungschef endlich dazu zu bringen, die Unabhängigkeit Kosovos anzuerkennen. Gleichzeitig ist Vucic ein guter Freund des russischen Präsidenten Vladimir Putin. Bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine hatten Berlin und Brüssel dies zähneknirschend akzeptiert. Nun aber wird von Belgrad ein klares Bekenntnis zu Europa erwartet.

Yorgos Christidis ist Professor für vergleichende Politik auf dem Balkan in ThessalonikiBild: Florian Schmitz/DW

Einer der Hauptgründe für die Teilnahme des Kanzlers an dem Abendessen aber liegt nach Einschätzung von Yorgos Christidis, Professor für vergleichende Politik auf dem Balkan an der Makedonia-Universität Thessaloniki, an den neuesten Drohgebärden aus Ankara gegen Athen. Berlin hatte sich zunächst um Neutralität im griechisch-türkischen Konflikt bemüht. Der Besuch in Thessaloniki sei nun auch zu verstehen als diplomatische Geste zugunsten Athens, meint Christidis. Es ginge darum, durch die Mobilisierung deutscher Diplomatie regionale Eskalationen zu vermeiden: "Wir können in Europa nichts weniger gebrauchen als eine weitere Krise in der Region. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass die Bundesrepublik mit ihrer Bedeutung in der EU und ihren besonderen Beziehungen zu Ankara hier schlichtet."

Nordgriechenland als Umschlagplatz

Nach dem Treffen in Thessaloniki wird der Bundeskanzler nach Bulgarien und Nordmazedonien weiterreisen. Auch hier geht es teilweise um Krisenmanagement. Derzeit blockiert Sofia Beitrittsverhandlungen zwischen Brüssel und Skopje. Bulgarien weigert sich, Mazedonisch als Sprache anzuerkennen. Athen hatte den Namensstreit mit Nordmazedonien bereits 2018 beigelegt und plant eine enge Zusammenarbeit mit beiden Ländern. Im nordgriechischen Alexandroupolis, unweit der türkischen Grenze, soll ein LNG-Terminal für Flüssiggas entstehen, das aus Ländern wie Katar oder Aserbaidschan importiert und dann über Pipelines in die Nachbarländer transportiert werden soll.

Anfang Mai waren die Regierungschefs aus Griechenland, Serbien, Bulgarien und Nordmazedonien in Alexandroupolis und hatten den Bau des Terminals eingeweiht. Für die Länder geht es um wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine neue Ära der Zusammenarbeit. In Bezug auf Bulgarien schreiten die griechischen Pläne für eine bessere Zusammenarbeit voran. Sofia baut ein Atomkraftwerk, das auch an das griechische Versorgungsnetz angeschlossen werden soll, Bulgarien bekommt Zugang zur strategisch wichtigen Ost-Ägäis. Auch der Hafen in Thessaloniki könnte angesichts der sich verändernden politischen Allianzen als Umschlagplatz für Öl und Gas an Bedeutung gewinnen.

Brüssel braucht Südosteuropa

Es zeigt sich einmal mehr, dass Stabilität in Südosteuropa für die EU von zentraler Bedeutung ist - und das nicht nur in punkto Energieversorgung, erklärt Michalis Goudis, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Thessaloniki. Länder wie Russland, China und auch die Türkei würden in der Region ebenfalls Einfluss nehmen, daher sei ein Bekenntnis der Europäischen Union zu den Ländern Südosteuropas von enormer Bedeutung: "In einer Zeit, in der die Folgen der russischen Invasion und des anhaltenden Krieges in der Ukraine schmerzlich zu spüren sind, ist die Stabilisierung des Südflügels der NATO eine transatlantische Notwendigkeit hinsichtlich der internationalen Sicherheit."

Eine Zusammenarbeit im Energiebereich könne, sagt Goudis gegenüber der DW, die Bindungen zwischen den Ländern Südosteuropas stärken. Dabei sei angesichts der Klimakrise jedoch auch wichtig, die ohnehin nur schleppend vorangehenden Pläne Griechenlands, nachhaltig Energie durch Wind und Sonne zu gewinnen, nicht zugunsten von fossilen Brennstoffen zu vernachlässigen: "Solche Maßnahmen sollten eindeutig vorübergehender und kurzfristiger Natur sein", so Goudis weiter. Die nur langsam vorangehende Umsetzung grüner Energiekonzepte sei nicht zuletzt auch einer mangelnden Zusammenarbeit mit den Kommunen geschuldet. Bürgerinnen und Bürger müssten zum Beispiel durch Energiegemeinschaften am Prozess und an den Gewinnen beteiligt werden. Eine nachhaltige Stabilisierung der Region - wirtschaftlich und politisch - sei nur dann möglich, wenn Regierungen und Bürger an einem Strang zögen.