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Scholz: Rosneft-Entmachtung war unumgänglich

16. September 2022

Olaf Scholz hat die Übernahme der Kontrolle über das Raffineriegeschäft von Rosneft als wichtigen Schritt für die deutsche Energiesicherheit bezeichnet. Massive Investitionen in die Energie-Infrastruktur sollen folgen.

Erläutert die Entscheidung der Bundesregierung: Kanzler Olaf Scholz (Mitte) mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke
Erläutern die Entscheidung der Bundesregierung: Kanzler Olaf Scholz (Mitte) mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar WoidkeBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Übernahme der Kontrolle über das Raffineriegeschäft der Deutschland-Tochter des russischen Öl-Riesen Rosneft als "energiepolitische Entscheidung zum Schutz unseres Landes" bezeichnet. Mit der Übernahme der Kontrolle will der Bund den Betrieb in Schwedt und zwei Raffinerien in Süddeutschland sicherstellen.

Die Ölversorgung des Nordostens Deutschlands über die PCK-Raffinerie in Schwedt ist nach Einschätzung der Bundesregierung mit der Treuhandverwaltung des Rosneft-Anteils gesichert - auch bei einem Ausfall russischer Lieferungen. "Natürlich haben wir schon lange unterstellt, dass es aus Gründen, die was mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine zu tun haben, auch plötzlich sein kann, dass die Lieferung ausbleibt", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitagnachmittag in Berlin (Artikelbild). "Deshalb sind wir vorbereitet." 

Anlage in der Erdölraffinerie PCK SchwedtBild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/picture alliance

Es gehe mit Hilfe eigener Reserven, mit Reserven der Raffinerie und dem Abschluss von Verträgen mit Polen darum, "dass wir dann auch sicherstellen können, dass die Versorgung weiter gewährleistet bleibt, wenn das passiert".

Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sei damit die Versorgungssicherheit gewährleistet. "Die Umstellungen sind vorbereitet und die Gespräche auch mit der polnischen Seite sind weit vorangeschritten." 

Monatelange Hängepartie in Schwedt 

Seit Monaten bangt die Stadt Schwedt im Nordosten Deutschlands um die Zukunft der PCK-Raffinerie. Die Anlage mit 1200 Mitarbeitern ist so etwas wie das wirtschaftliche Herz der brandenburgischen Oderregion. Aus zwölf Millionen Tonnen Rohöl produziert die Anlage Benzin und Diesel, Heizöl, Kerosin und andere Produkte für den gesamten deutschen Nordosten. Mit dem beschlossenen Öl-Embargo gegen Russland ab 1. Januar schienen die Perspektiven des Werks düster. Doch jetzt soll es eine Lösung geben.

Bereits am Freitagmorgen hatte die Bundesregierung mitgeteilt, sie werde den russischen Mehrheitseigner der PCK unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur stellen - genau genommen die Rosneft Deutschland GmbH und die RN Refining & Marketing GmbH, die nicht nur an PCK, sondern auch an den Raffinerien Miro in Karlsruhe und Bayernoil in Vohburg in Bayern beteiligt ist.

Rosneft vereine insgesamt rund zwölf Prozent der deutschen Erdölverarbeitungskapazität auf sich und sei damit eines der größten erdölverarbeitenden Unternehmen in Deutschland, erläuterte das Bundeswirtschaftsministerium. Seit heute hat die Bundesnetzagentur und damit der Staat die Kontrolle. 

Die Druschba-Pipeline wurde in den 1960er Jahren gebautBild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/picture alliance

Abhängigkeit noch aus Sowjet-Zeiten

PCK - früher einmal VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt, daher die Abkürzung - wird seit Jahrzehnten über die Druschba-Pipeline mit russischem Öl beliefert. Es gehört zu gut 54 Prozent den Töchtern des russischen Staatskonzerns Rosneft. Dieser wollte ursprünglich vom Mitbesitzer Shell auch noch dessen Anteile von 37,5 Prozent kaufen, was aber gestoppt wurde. Als Russland Ende Februar in der Ukraine einmarschierte und die Europäische Union deshalb das Öl-Embargo gegen Moskau beschloss, stand die Bundesregierung vor zwei Problemen: PCK ist abhängig von russischem Öl. Und das Sagen hat ein russischer Betreiber. Dieser - so stellte es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dar - hatte kein Interesse an einer Abkehr von russischem Öl.

Monatelanger Vorlauf

Habeck fuhr Anfang Mai nach Schwedt und skizzierte schon damals eine Lösung für PCK: Lieferungen nicht-russischen Öls über alternative Routen; Finanzhilfen des Bundes; und eine mögliche Treuhandstruktur anstelle des bisherigen Betreibers Rosneft. Habecks Staatssekretär Michael Kellner formulierte später eine Standortgarantie: Das PCK werde auch 2023 ohne Öl aus der "Druschba"-Pipeline weiter arbeiten. Offen blieb jedoch, ob sie voll ausgelastet sein würde.

Denn zunächst kann nach Darstellung des Bundeswirtschaftsministeriums nur bis zu 60 Prozent des Ölbedarfs alternativ über den Ostseehafen Rostock gedeckt werden. Die Pipeline von dort nach Schwedt hat allerdings nur eine begrenzte Kapazität und war bislang eher als Ausweichleitung vorgesehen für den Fall technischer Störungen bei der Druschba-Pipeline. Lägen Teile der Anlage brach, wären nicht nur Jobs in Gefahr. Es würden wohl auch kurzfristig regional Treibstoffe fehlen. Monatelang wurde also daran gearbeitet, die Lücke zu stopfen. Rosneft schlug vor, kasachisches Öl zu kaufen. Habeck peilte hingegen Tankeröl aus dem polnischen Hafen Danzig an. Das Problem: Polen hatte zu Kriegszeiten offenbar kein Interesse an der Belieferung des russischen Staatskonzerns Rosneft. Und auch nicht jede Sorte eignet sich für die Verarbeitung in den Anlagen in Schwedt. 

Wirtschaftsminister Robert Habeck am 1. Juli vor demonstrierenden Raffinerie-Arbeitern in SchwedtBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Stellt Russland jetzt Öl-Lieferungen sofort ein?

Habeck sprach schon früh von einer Treuhandlösung. Genau das passiert jetzt mit der Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur für sechs Monate. Die gesetzlichen Grundlagen wurden Mitte Mai im Energiesicherungsgesetz gelegt. Zur Sicherung der Versorgung sieht dieses "die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung über Unternehmen der kritischen Infrastruktur und als Ultima Ratio auch die Möglichkeit einer Enteignung" vor, wie der Bundestag damals mitteilte.

Der Eingriff des Staates bei PCK war für die Bundesregierung trotzdem heikel. Lange befürchtete man, Russland werde als Vergeltung die Gaslieferungen über Nord Stream 1 kappen. Das tat Moskau dann ohnehin. Daraufhin sorgte man sich, dass Russland auch die Öllieferungen sofort einstellen würde, ohne auf das EU-Ölembargo zu warten. Diese Gefahr könnte weiter bestehen.

In Zukunft soll in Schwedt grüner Wasserstoff verarbeitet werden Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Abkehr vom Öl hin zu grünem Wasserstoff

Sollte Russland von heute auf morgen kein Öl mehr nach Schwedt liefern, könnte kurzfristig die Produktion beim PCK zurückgehen, bis Ersatz kommt. In der Folge könnte es zeitweise schwieriger werden, die Tankstellen in Ostdeutschland zu beliefern. Möglich wäre es, Treibstoffe aus dem Westen Deutschlands auf der Straße oder über die Schiene heranzukarren. Die Belieferung dürfte in jedem Fall teurer werden, und die Preise an ostdeutschen Tankstellen könnten steigen.

Den Beschäftigten in Schwedt dürfte der Einstieg des Staats und die Umstellung auf neue Bezugsquellen einiges abverlangen. Mittelfristig steht dann ohnehin eine ganz andere Umwälzung an: Schwedt soll die Abkehr vom Öl schaffen und "grünen" Wasserstoff produzieren.

Danzig verfügt neben seinem Überseehafen über Raffinieren und ist Ausgangspunkt für wichtige Pipelines Bild: Michal Fludra/NurPhoto/picture alliance

Insider: Polen an Rosneft-Anteilen interessiert

Schwedt spielt nicht nur für die Versorgung von Ostdeutschland mit Benzin und anderen Raffinerieprodukten eine zentrale Rolle. Auch der Flughafen Berlin-Brandenburg und Teile Westpolens werden mitversorgt. Nicht zuletzt deshalb könnte Insidern zufolge der polnische Ölkonzern Orlen bei der ostdeutschen Raffinerie einsteigen. Das Unternehmen habe Interesse an einem Anteil mit Kontrolle von Schwedt, wenn die russische Rosneft ihre Anteile abgebe, sagten mit den Überlegungen vertraute Personen am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters in Warschau und Berlin. Weder Orlen noch das zuständige polnische Klima-Ministerium waren zunächst für eine Stellungnahme erreichbar. Auch das Bundeswirtschaftsministerium äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht.

Laut einem Papier des Wirtschaftsministeriums von Ende August hofft man künftig auf eine Auslastung in Schwedt von mindestens 75 Prozent. Diesen Anteil will man auch für die Raffinerie Leuna erreichen, die auch russisches Öl nutzte. Sie hat allerdings bereits ältere Verträge für Lieferungen über Polen und wird auch nicht von Rosneft kontrolliert. Polen war aber nur zur Hilfe bereit, wenn Rosneft keinen Einfluss mehr auf Schwedt hat.

Reaktionen überwiegend positiv

Erste Reaktionen auf die Ankündigung der Bundesregierung fielen überwiegend positiv aus. Der Branchenverband Fuels und Energie nannte die Entscheidung nachvollziehbar. Der Koalitionspartner FDP trägt den staatlichen Eingriff mit. Auch der CDU-Politiker Jens Spahn signalisierte Zustimmung. Kritik kam vom Ostbeauftragten der Linksfraktion, Sören Pellmann, der die Abkehr vom russischen Öl überstürzt nannte.

Schlüssel-Raffinerien für deutschen Markt

Die deutschen Rosneft-Töchter RDG und RNRM führen laut Wirtschaftsministerium jeden Monat Rohöl im Wert von mehreren hundert Millionen Euro aus Russland nach Deutschland ein.

Die Mineralölraffinerie Oberrhein (MiRO) in Karlsruhe ist nach Unternehmensangaben Deutschlands größte Raffinerie. Gesellschafter sind demnach neben den US-Unternehmen Phillips 66 und Esso, der russische Öl-Riese Rosneft und der britische Shell-Konzern. Der Standort Karlsruhe hat 1100 Mitarbeiter, die aus Rohöl Produkte wie Benzin, Diesel oder Heizöl herstellen, insgesamt rund 14 Millionen Tonnen pro Jahr. Die Raffinerie im bayerischen Vohburg an der Donau nahe Ingolstadt stellt nach Angaben des Unternehmens Bayernoil unter anderem Flüssiggas, Benzin, Diesel und Heizöl her.

Die Treuhandverwaltung wird an diesem Freitag wirksam und ist zunächst auf sechs Monate befristet. Die Kosten dafür haben die betroffenen Unternehmen zu tragen.

Der Jurist Christoph Morgen wird ab sofort als Treuhänder die Geschäfte der Rosneft-Töchter in Deutschland führen. Er sei ein ausgewiesener Krisenmanager mit umfassender Erfahrung in verschiedensten Branchen, auch im Energiesektor, teilte die Bundesnetzagentur mit.

Schwedt bangt um Raffinerie

03:56

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tko/hb (rtr, dpa)

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