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Schon bald gleiche Gehälter in Deutschland und Tschechien?

Lubos Palata (aus Cheb)
4. Dezember 2024

In den 35 Jahren seit dem Fall des Kommunismus haben die Tschechen wirtschaftlich gerade mal die ärmsten Länder Westeuropas eingeholt. Doch nun verspricht Ministerpräsident Petr Fiala Löhne wie in Deutschland.

Ein Geschäft in einer Einkaufsstraße. Auf einem leuchtend roten Hintergrund steht der Name Linda und darunter auf Tschechisch und auf Deutsch "Preiswertige Einkaufszentrum". Vor dem Geschäft stehen Töpfe mit farbenprächtigen Plastikblumen. Stofftiere hängen an der Fassade. Daneben ist ein modernes Gebäude mit der Aufschrift Fashion Store
Ein Geschäftsstraße in der westböhmischen Stadt ChebBild: Luboš Palata

Die 32.000-Einwohner-Stadt Cheb (deutsch:  Eger) liegt im äußersten Westen Tschechiens, unweit der deutschen Grenze. Ihr wiederaufgebauter historischer Stadtkern strahlt noch immer eine deutsche Atmosphäre aus, fast 80 Jahre nach der Vertreibung der Sudetendeutschen, die hier bis 1945 gelebt hatten.

In der Burg steht noch der Palast des deutschen Staufer-Kaisers Friedrich Barbarossa aus dem 12. Jahrhundert. Die deutsche Grenze ist zu Fuß nur eine Stunde entfernt, es gibt auch regelmäßige Zugverbindungen in die nahegelegenen bayerischen Städte. Die Bürger von Cheb erledigen ihre Großeinkäufe gern in den billigeren und besser sortierten deutschen Supermärkten.

Ein Flüchtlingszug mit Sudetendeutschen trifft im Jahr 1946 im Durchgangslager Wiesau einBild: picture-alliance/dpa

Die Tschechen, die sich seit der Vertreibung der Sudentendeutschen hier angesiedelt haben und heute in Cheb und der Umgebung leben, können täglich zwischen der tschechischen und der deutschen Realität vergleichen: Ihre Löhne liegen weit unter dem deutschen Niveau. Und nicht nur das: Sie sind auch niedriger als im Rest der Tschechischen Republik.

Die niedrigsten Löhne in ganz Tschechien

Nach Angaben des tschechischen Statistikamtes beträgt der durchschnittliche Bruttolohn in Cheb weniger als 40.000 Kronen (CZK), etwa 1600 Euro, während er im reichsten Teil der Tschechischen Republik, der Hauptstadt Prag, bei 56.000 CZK (etwa 2220 Euro) liegt. Viele junge Menschen fliehen daher von der Peripherie in das tschechische Landesinnere. Und von den Menschen im arbeitsfähigen Alter, die hier bleiben, arbeitet ein großer Teil im benachbarten Deutschland. Dort werden Handwerker, Fabrikarbeiter oder Bauarbeiter gesucht, aber auch Akademiker im technischen Bereich und mit guten Deutschkenntnissen.

Für viele Menschen aus den Nachbarländern gibt es attraktive Jobangebote in DeutschlandBild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance

In Deutschland arbeitet auch der Sohn von Jarmila Bila, einer Mittsechzigerin, die an einem kalten, winterlichen Morgen in der Fußgängerzone von Cheb unterwegs ist. "Er macht einfache Klempnerarbeiten auf einer Baustelle und bringt zweieinhalbtausend Euro netto im Monat nach Hause. So viel würde er hier nie verdienen", sagt sie.

Selbst jüngere Einwohner, wie der Gymnasiast Jan Baxa, haben Erfahrung mit der Arbeit in Deutschland. Er hatte im Sommer einen Ferienjob in Bayern und sagt, dass er nach dieser Erfahrung nie wieder in Tschechien arbeiten würde. "Der Unterschied ist riesig. In Deutschland bekommst du einfach mindestens 500 Kronen (ca. 20 Euro) pro Stunde, und das gibt dir hier in Cheb niemand", sagt Baxa. In der tschechischen Stadt liegt ein anständiger Stundenlohn für einen Aushilfsjob nur bei 150 Kronen (6 Euro).

In fünf Jahren Gehälter wie in Deutschland?

Es ist also nicht verwunderlich, dass man in Cheb verwundert und skeptisch reagierte, als Ministerpräsident Petr Fiala versprach, die Gehälter in der Tschechischen Republik binnen fünf Jahren an das Niveau der Bundesrepublik anzugleichen. Sollte er an der Spitze der derzeitigen Regierungskoalition die Wahlen im kommenden Herbst gewinnen, werde er dafür sorgen, dass die Löhne bald denen in Deutschland und Österreich entsprechen würden, kündigte er Mitte November an.

Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, hier auf einer Aufnahme vom 17.07.2024Bild: Michal Krumphanzl/CTK/IMAGO

"Ich brauche ein stärkeres und kontinuierliches Mandat, damit wir Raum für Unternehmen schaffen können, die florieren und in der Lage sind, den Menschen Löhne wie in Bayern zu zahlen", sagte er im tschechischen Fernsehen. Dies löste in Tschechien eine heftige Debatte aus, doch die meisten Reaktionen waren skeptisch und ironisch. In einer kleinen Umfrage in Cheb antworteten fast alle ähnlich wie Jarmila Bila: "Damit wir in fünf Jahren in der Tschechischen Republik Gehälter wie in Deutschland haben, müsste die Bundesrepublik in dieser Zeit bankrott gehen."

Tschechische Löhne weit unter den deutschen 

Nach 1990 basierte das tschechische Wirtschaftsmodell auf den im Vergleich zum Westen niedrigen Löhnen, die in Verbindung mit qualifizierten Arbeitskräften und einer relativ guten Infrastruktur westliche und damit auch deutsche Investoren ins Land lockten.

Wirtschaftsaufschwung durch EU-Osterweiterung

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Obwohl die tschechischen Löhne schneller gestiegen sind als die in den alten EU-Mitgliedsstaaten, haben sie das westliche Niveau noch lange nicht erreicht. Laut Eurostat sind sie selbst nach 20 Jahren EU-Mitgliedschaft nur von etwa 30 auf 44 Prozent des derzeitigen deutschen Bruttolohns gestiegen.

Ungeachtet ihres relativ stabilen Wachstums ist es den Tschechen nur gelungen, beim Bruttoeinkommen die westeuropäischen Staaten Portugal, Griechenland und Malta hinter sich zu lassen. Gleichwohl sind die tschechischen Löhne die zweithöchsten unter den ehemaligen kommunistischen Ländern nach Slowenien. Insbesondere in Polen und den baltischen Staaten holen die Einkommen rasch auf die tschechischen auf.

Nicht Bayern, sondern Sachsen-Anhalt als Maßstab

Wirtschaftsexperten halten das Versprechen von Petr Fiala nicht für gänzlich unerreichbar - vor allem wenn das Ziel nicht die Löhne in Bayern, sondern in den wirtschaftlich deutlich weniger produktiven neuen Bundesländern wären, wo die Löhne immer noch spürbar unter dem Bundesdurchschnitt liegen.

Die westböhmische Kleinstadt Cheb an der tschechisch-deutschen GrenzeBild: Luboš Palata

"Wenn die Nominallöhne in der Tschechischen Republik jährlich um zehn Prozent steigen würden, könnte die durchschnittliche Kaufkraft der heutigen Deutschen in fünf Jahren erreicht werden. Vorausgesetzt, die deutschen Löhne steigen in dieser Zeit nur um zwei Prozent jährlich", sagt Daniel Münich im Gespräch mit der DW. Doch ist das realistisch? Der Wirtschaftswissenschaftler vom Prager Center for Economic Research and Graduate Education (CERGE-EI) hat Zweifel: "Das Problem ist, dass die deutschen Löhne in diesem Jahr voraussichtlich schneller steigen werden als die tschechischen."

Den Westen einholen statt zu Ungarn zurückzukehren

Auch viele Regierungspolitiker machten inzwischen kleine Rückzieher, obwohl Fiala selbst auf seiner Aussage besteht. "Ich hoffe, dass wir uns schrittweise an die deutschen Löhne annähern werden. Dazu bedarf es aber einer Reihe von Bedingungen, damit dies geschieht. Der Unterschied zwischen den Löhnen in der Tschechischen Republik und in Deutschland ist dramatisch", sagte Jaromír Skopecek, ein Wirtschaftswissenschaftler aus Fialas Demokratischer Bürgerpartei (ODS). "Die Zeit, in der wir auf polnische, slowakische oder ungarische Löhne schauen, ist vorbei. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns an erfolgreicheren Ländern orientieren müssen."

Dies betont auch Ministerpräsident Fiala. "Die Wahlen im nächsten Jahr werden darüber entscheiden, ob wir den westlichen Weg fortsetzen oder ob wir zu Ungarn und der Slowakei zurückkehren werden", sagt Fiala. Damit spielt er auf die populistischen prorussischen Regierungen von Robert Fico in Bratislava und Viktor Orban in Budapest an, die der Chef der tschechischen Opposition, der Oligarch Andrej Babis (ANO), als seine Verbündeten betrachtet.

Die Gehälter in der Slowakei und in Ungarn sind deutlich niedriger als in der Tschechischen Republik. Auch Babis' Riesenkonzern Agrofert zahlt seinen tschechischen Angestellten mit 40.000 CZK (1600 Euro) deutlich niedrigere Löhne als der tschechische Durchschnitt. 

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag