So - jetzt haben wir den archäologischen Beweis für etwas, das wir immer vermutet haben: die Frau wählt ihren Mann aus, nicht umgekehrt. Und dafür nimmt sie - wenn es sein muss - lange Wege in Kauf.
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Möchten Frauen eine Familie gründen, werden sie aktiv. Funktioniert das im unmittelbaren Umfeld nicht, ist der Traummann nicht dabei, muss eben woanders gesucht werden.
Das ist heute so und das war offensichtlich schon vor 4000 Jahren so.
Anhand zahlreicher Skelette haben Forscher mehrerer deutscher Institute herausgefunden, dass sich in der Bronzezeit junge Frauen, ab dem Alter von 17 Jahren, auf eine lange Wanderschaft gemacht haben, um eine Familie zu gründen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in den "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS).
"Alles deutet daraufhin", sagt Philipp Stockhammer von der Ludwig-Maximilians-Universität München, "dass in der Bronzezeit Frauen extrem mobil waren". Das hätten schon vorangegangene Studien angedeutet. Bislang gilt noch immer die Vorstellung, der Mann sei als Krieger in die Fremde gezogen, während die Frauen zu Hause blieben. Doch genau das Gegenteil sei der Fall, versichert Stockhammer, der Leiter der Studie, "bei Männern fanden wir so gut wie keine vergleichbaren Belege."
Emanzipierte Bronzezeit-Frauen
Philipp Stockhammer findet das hochspannend. Nicht nur, dass die Frauen damit unbewusst für eine Genpoolauffrischung gesorgt haben. Er vermutet, dass die Frauen auch jede Menge Wissen in ferne Gebiete gebracht haben. Zum Beispiel über Werkzeuge oder Techniken der Metallverarbeitung.
Denn jungen Damen, deren Skelett die Forscher auf Friedhöfen des bayrischen Lechtals fanden, kamen alle aus stark besiedelten Gebieten - vermutlich aus der Gegend zwischen dem heutigen Leipzig und Halle oder aus Böhmen. Diese Regionen, sagt Stockhammer, waren damals sehr weit entwickelt im Bereich der Metallurgie. Den Weg ins Lechtal sind die Frauen wahrscheinlich gelaufen, immerhin um die 500 bis 600 Kilometer, zu Fuß.
Woher die Wissenschaftler wissen, woher die Frauen kommen? Ihre Backenzähne verraten es. Denn jeder Mensch lagert in seinen ersten Lebensjahren kleine Mengen Strontium in den Knochen und den Zähnen an. Dort bleibt das chemische Element auch lange nach dem Tod erhalten. Selbst Jahrtausende später können Forscher anhand des Strontiumgehalts in den Zähnen sagen, was ein Mensch gegessen hat und woher er stammt.
Eigenartig ist, dass im Lechtal keine Nachkommen der zugewanderten Frauen gefunden wurden. Dabei sei es unwahrscheinlich, so Stockhammer, dass die Frauen keine Kinder hatten. Er vermutet, dass die Kinder weggeschickt wurden. Um sich zu vernetzen oder Wissen weiterzutragen. So genau wird man das nie wissen. Aber Philipp Stockhammer ist sicher, dass er den Skeletten noch das ein oder andere spannende Geheimnis entlocken wird.
Wie Ötzi seit 30 Jahren fasziniert
Vor 30 Jahren entdeckte ein Ehepaar die berühmteste Gletschermumie der Welt. Neben vielen Erkenntnissen hat Ötzi auch zu mancher Kuriosität beigetragen.
Bild: Picture-alliance/dpa/M. Rattini/Port au Prince Pictures
Sensationeller Fund
Am 19.09.1991 fanden die Eheleute Erika und Helmut Simon im Ötztal einen eingefrorenen Menschen. Nach Tagen stellte sich heraus, dass es sich um eine Sensation handelte, denn der Ötzi war kein verunglückter Wanderer, sondern ein Steinzeitmensch, der bereits seit 5300 Jahren tot war. Jürgen Vogel spielte ihn Jahre später im Film "Der Mann aus dem Eis" (Bild).
Bild: Picture-alliance/dpa/M. Rattini/Port au Prince Pictures
Finderlohn und Besucheransturm
175.000 Euro Finderlohn erhielt Erika Lemke nach jahrelangen Verhandlungen von der Provinz Südtirol. Ihr Mann lebte da schon nicht mehr, weil er bei einer Bergwanderung verunglückt war. Abergläubische sprachen sogleich von "Ötzis Fluch". Das Geld war indes gut angelegt, immerhin zählte das Archäologische Museum in Bozen vor Corona jährlich 300.000 Besucherinnen und Besucher, die für Ötzi kamen.
Bild: Robert Parigger/APA/dpa/picture alliance
Aufwendiger Aufenthalt
Ob sich Ötzi das Nachleben so vorgestellt hat? Im Museum wird er in einer Kühlkammer aufbewahrt, die Luftfeuchtigkeit beträgt dort 99 Prozent, regelmäßig wird er mit sterilem Wasser besprüht. Eine Präzisionswaage meldet, falls es Veränderungen gibt. Für weitere Untersuchungen aufgetaut wird die Mumie nur selten und so kurz wie möglich. So wie hier abgebildet soll Ötzi übrigens ausgesehen haben.
Bild: dapd
Streit zwischen Italien und Österreich
Sobald feststand, um welch einen Fund es sich handelte, brach Streit zwischen Österreich und Italien aus - beide erhoben Anspruch auf die Mumie: Lag der Fundort auf österreichischem oder italienischem Boden? Die Entscheidung war knapp: Eine neue Vermessung ergab, dass Ötzi 92,56 Meter hinter der Grenze auf italienischem Boden entdeckt wurde.
Bild: AP
Zufällig in der Gegend
Die Entscheidung pro Italien schrieb sich auch Bergsteiger Reinhold Messner auf die Fahne, der sich während des Ötzi-Fundes in der Gegend aufhielt und an der Vermessung mitwirkte. Messner ließ sich auch mit der Mumie fotografieren, als die noch halb im Eis feststeckte. Mit seiner fachkundigen Einschätzung, die Mumie sei mindestens 500 Jahre alt, lag er zwar richtig, aber gleichzeitig weit daneben.
Ötzi hatte 61 Tattoos - keine Bilder, wie wir sie heute kennen, sondern Kreuze und Striche. Der Steinzeittätowierer schnitt Ötzi in die Haut und füllte die Wunden später mit Steinkohle. Klingt schmerzhaft. Getötet wurde Ötzi allerdings durch einen Schuss in die Schulter. Ein Pfeil steckte noch in seinem Rücken.
Auch Oscar-Preisträger Brad Pitt ziert seinen Körper gerne mit Tattoos und lässt sich auf der Suche nach neuen Motiven offenbar überall inspirieren. Auf dem linken Unterarm trägt Pitt nämlich seit einigen Jahren die Silhouette von Ötzi. Ob er mit diesem Namen etwas anzufangen weiß, darf dagegen bezweifelt werden, in den USA ist die Feuchtmumie nämlich nur als "Frozen Fritz" bekannt.
Bild: Aurore Marechal/ABACA/picture alliance
Trittbrettfahrerinnen und Trittbrettfahrer
Manche Menschen kennen im Streben nach Aufmerksamkeit keine Grenzen. Eine Deutsche behauptete jahrelang, Ötzis Wiedergeburt zu sein. Selbst zu einem früheren offiziellen Fund-Jubiläum wurde ein angeblich genetisch mit Ötzi verwandter Schweizer vorgestellt. Auch der hier abgebildete Zeitgenosse profitierte von Ötzi, indem er sich für die eigene Bekanntheit den Namen des Steinzeitmenschen zulegte.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Düren
Detaillierte Forschung
Durch eine Untersuchung des Mageninhalts konnte man sogar herausfinden, was Ötzi kurz vor seinem Tot gegessen hatte. Seine letzte Mahlzeit war fettig und reichhaltig. Sie bestand unter anderem aus Einkorn, einem frühen Getreide, und aus Fleisch von einem Ziegenbock.
Bild: picture-alliance/dpa/EURAC/Marco Samadelli
Moderne Krankheiten
Ötzi hatte viele gesundheitliche Probleme, die auch heute noch Patientinnen und Patienten quälen. Er hatte Karies, eine Zeckenborreliose und musste sich mit Flöhen herumschlagen. Er war laktoseintolerant und hatte eine Raucherlunge durch zu viel Zeit am Lagerfeuer. Ötzi litt zudem an einer Heliobacter Mageninfektion und an Herz-Kreislaufproblemen.
Bild: picture alliance/dpa
Ötzi mal zwei
Die Steinzeitmumie war ein einmaliger Fund. Aber damit noch mehr Menschen etwas vom Ötzi haben, wurde er im April 2016 kopiert. Mithilfe eines 3D-Druckers stellten Forschende in Bozen einen zweiten Ötzi aus Harz her, der dann vom US-Paläokünstler Gary Staab (im Bild) perfektioniert wurde. Die Kopie ging an das DNA Learning Center des Cold Spring Harbor Labors im US-Bundesstaat New York.