Schröder und die EU
1. August 2005Bei seinem voraussichtlichen letzten vertraulichen Kamingespräch mit der Presse beim EU-Gipfel in Brüssel wurde der Kanzler im Juni so richtig wehmütig. Er sei in seinem Regierungsamt zu einem überzeugteren Europäer gereift, ließ Gerhard Schröder die Korrespondenten wissen, die dem SPD-Politiker stets eine emotionale Unterkühltheit gegenüber der EU vorgeworfen hatten. Er sei eben immer Realist geblieben, dozierte Schröder, und habe nie zu den europäischen "Wolkenschiebern" gehört.
Von seinem Vorgänger Helmut Kohl, der Europa stets zur Frage von Krieg und Frieden verkürzte, hat sich Gerhard Schröder deutlich unterscheiden wollen. Er dachte bei Europa stets auch daran, wie er deutsche Interessen mit möglichst wenig finanziellem Aufwand durchsetzen könnte. Helmut Kohl war in Brüssel beliebt und berüchtigt für sein weiches Europaherz und sein großes Scheckbuch, mit dem er manchen Streit beigelegt hat. Diese mildtätige Güte fehlte Gerhard Schröder.
Abkehr vom politischen Freund Blair
Vor sieben Jahren trat Schröder in Brüssel eher mit dem Anspruch auf: Wir sind wieder wer und wollen unseren Einfluss stärken. Im Wahlkampf 1998 hatte Schröder noch getönt, mit Europa sei kein Blumentopf, seien keine Stimmen in Deutschland zu gewinnen. Im Laufe seiner Kanzlerschaft näherte sich Schröder immer mehr an den französischen Präsidenten Jacques Chirac und dessen europapolitische Positionen an, während er sich von seinem anfänglichen politischen Freund Tony Blair, dem britischen Premier, immer weiter entfernte.
Schröder und Chirac machten stets gemeinsam Druck auf Brüssel, setzten viele ihrer Vorstellungen durch, zum Beispiel die Osterweiterung und die Beitrittsperspektive für die Türkei. Bei einem EU-Gipfel vertrat Schröder Chirac gar während der Sitzungen, sie wohnten in einem Hotel. Damals witzelten EU-Diplomaten bereits, bald werde man die Männerfreunde händchenhaltend auf dem Grand Place in Brüssel bummeln sehen.
Der Motor Schröder-Chirac
2002 schmiedeten Schröder und Chirac im Alleingang den heute umstrittenen Agrarkompromiss in besagtem Hotel. So wurde zwar die Erweiterung um zehn neue Staaten möglich, aber Tony Blair war eigentlich schon damals gegen den Deal. Jetzt hat sich Blair gerächt und den letzten Gipfel platzen lassen. Das von innenpolitischen Querelen geschwächte Duo Schröder/Chirac hatte keine Kraft mehr sich durchzusetzen.
Blairs später Sieg wurmt Gerhard Schröder besonders. Jetzt spricht er viel und oft vom "Europäischen Projekt", das ihm am Herzen gelegen habe. Jetzt gehe es darum, das europäische Sozialmodell zu retten, denn Europa sei mehr als nur ein funktionierender Markt.
Schröders Pudel
Europa, das war für Gerhard Schröder auch immer eine Projektionsfläche für populistische Attacken. Das begann am Anfang seiner Amtszeit mit dem gescheiterten Versuch, Butterfahrten, also zollfreien Einkauf in EU-Gewässern, zu retten. Das setzte sich fort mit Angriffen gegen die EU-Parlamentarier und ihre angeblich zu hohen Bezüge. Im NRW-Wahlkampf musste dann auf einmal die von der Bundesregierung ursprünglich befürwortete Dienstleistungsrichtlinie als Prügelknabe herhalten. Billiglöhner und Steuerdumping wurden von den SPD-Wahlkämpfern mit der EU gleichgesetzt, obwohl die Bundesregierung allen Regelungen im Ministerrat ja selbst zugestimmt hatte.
Verlassen hat sich Gerhard Schröder stets auf seinen Mann in Brüssel, den deutschen EU-Kommissar und SPD-Politiker Günter Verheugen. Der zog die Strippen, was ihm bei den Kommissars-Kollegen den Ruf einbrachte, er sei Schröders Pudel. Die übrigen Kommissare agieren allerdings auch in engster Absprache mit ihren nationalen Regierungen. Verheugen zum "Superkommissar" mit mehreren Ressorts zu machen, gelang Schröder im Herbst 2004 nicht. Allzu offen und undiplomatisch hatte er seinen Wunsch herausposaunt.
Lesen Sie auf Seite 2, warum einige kleine Mitgliedstaaten von der "Dampfwalze Deutschland" sprachen und wie Schröders Ablehnung des Irak-Krieges in Brüssel ankam.
Deutsche Dampfwalze und Hauruck-Diplomatie
Ansonsten, heißt es von EU-Diplomaten, sei der Einfluss der Deutschen in den letzten Jahren eher zurückgegangen. Sie hätten nicht mehr so viele Spitzenpositionen inne. Die deutsche Regierung habe eher zu einer Hauruck-Diplomatie geneigt, die mit spontanen Vorstößen versucht habe, die Richtung zu ändern, wenn es eigentlich schon zu spät war. Zu oft habe sich Gerhard Schröder auf die schiere Größe Deutschlands und das damit verbundene Stimmengewicht in der EU verlassen. Die kleineren EU-Staaten sprachen manchmal gehässig von der deutschen Dampfwalze. Wenig Interesse an den Ministerräten für Wettbewerb und Wirtschaft habe ausgerechnet der deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gezeigt, der zur EU meist Stellvertreter schickte.
Zwiespältig wird in Brüssel des Kanzlers Rolle im Konflikt um die Irak-Politik gesehen. Kriegsgegner, wie der belgische Premier Guy Verhofstadt, loben Schröder dafür, dass er den Amerikanern die Stirn geboten hat und die EU auf lange Sicht an Selbstbewusstsein gewonnen habe. Eher USA-treue EU-Mitglieder argumentieren dagegen, Schröder habe mit seiner starren Haltung die Union an den Rand des Abgrundes geführt. Ein Scheitern der EU, ein Auseinanderbrechen schien im Februar/März 2003 denkbar. Die Spaltung in Bush-Krieger und Bush-Gegner wirkt bis heute nach.
Schröders Macht begrenzt
Bleibendes Andenken an die rot-grüne Jahre in Brüssel ist der aufgeweichte Stabilitäts- und Wachstumspakt. Weil Finanzminister Hans Eichel die strikten Verschuldungskriterien nicht einhalten konnte, setzte er zusammen mit seinen französischen Kollegen eine Abmilderung dieser Kriterien durch.
Eine empfindliche Niederlage musste Gerhard Schröder auf der Europabühne bereits im Sommer 2004 verkraften. Da wollte er den belgischen Premier Verhofstadt, womöglich als Dank für die Anti-Bush-Pralinenkoalition während des Irakkrieges, auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten hieven. Doch der Kandidat scheiterte am Nein der Mehrheit der konservativen Staats- und Regierungschefs. Im Hintergrund eingefädelt hatte das Nein damals Angela Merkel, die christdemokratische Parteichefin, die Schröder ihren Einfluss auf Europaebene spüren ließ.