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Schreiben heißt Hinschauen

22. Februar 2010

In Ungarn geboren, zog Terézia Mora mit 19 nach Berlin. Sie studierte Drehbuch, arbeitet als Übersetzerin und schreibt preisgekrönte Bücher. Am 4. März wird sie mit dem Adelbert von Chamisso-Preis ausgezeichnet.

Die Schriftstellerin und Chamisso-Preisträgerin 2010 Terézia Mora (Foto: Aygül Cizmecioglu)
Terézia MoraBild: DW

Ein klirrend-kalter Nachmittag in Berlin. Draußen stapfen Menschen mit Einkaufstüten durch den Schnee, andere eilen zur überfüllten Straßenbahn. Terézia Mora ist in ein kleines Hinterhofkino geflüchtet. Die Fensterscheiben sind beschlagen, drinnen herrscht gähnende Leere.

Kino als Sehnsucht

In einen Film eintauchen, die ganze Leinwand für sich haben, wenn alle anderen arbeiten, in Hektik versinken – das ist für Terézia Mora eine wohltuende Ablenkung vom Schreiben. Und eine Reminiszenz an früher, an die 90er Jahre, als sie zum Studieren von Ungarn nach Deutschland kam. "Ich ging fast sieben Mal die Woche ins Kino, weil ich das in meinem kleinen Dorf am meisten vermisst hatte", gesteht sie. "Hier in Berlin konnte ich wirklich frei sein."

Düsteres Niemandsland

Bild: DW

Terézia Mora wurde in Ungarn geboren, ihre Familie gehörte der deutschen Minderheit dort an. Berlin, kurz nach der Wende – das war für sie wie ein Befreiungsschlag. Raus aus einer strengen, kommunistischen Gesellschaft, rein in eine unfertige, experimentierfreudige Stadt. Terézia Mora beginnt Drehbuch zu studieren. Vielleicht ein Grund, warum viele ihrer späteren Geschichten geprägt sind von einer filmischen Rasanz, von pointiert-scharfen Dialogen.

Ihren ersten literarischen Text schreibt sie auf Deutsch und tritt damit – mehr aus Neugier – bei einer Lesebühne auf. Prompt ergattert sie einen Vertrag bei einem renommierten Verlag. Seltsame Materie heißt später ihr erster Erzählband – raue, düstere Geschichten aus Terézia Moras eigener Kindheit. Geschichten aus einem Niemandsland, irgendwo zwischen Ungarn und Österreich. "Vielleicht wäre ich, wenn ich dort geblieben wäre, nie Schriftstellerin geworden", glaubt die 39-Jährige.

Der männliche Blick

Deutsch, das ist für Terézia Mora die Sprache ihrer eigenen Bücher. Ungarisch, die der anderen. Sie arbeitet nebenher als Übersetzerin, überträgt die Literatur von Peter Esterhazy ins Deutsche. Für sie hat Schreiben etwas mit Zeit zu tun, mit dem Ordnen von Erinnerungen, mit dem Sacken lassen von Gedanken. Und das passiert langsam, weshalb Terézia Mora nur alle fünf Jahre ein Buch veröffentlicht. Oft schlüpft sie dabei in die Rolle von seltsamen Männergestalten. "Würde ich über Frauen schreiben", so die Autorin, "müsste ich mehr von mir preis geben, als ich möchte."

Verloren im Netz

Immer wieder geht es in Terézia Moras Büchern um Kommunikation, um Menschen, die sprachlich entwurzelt sind, emotional keinen Halt finden. In ihrem Romandebüt Alle Tage erzählte sie von einem Flüchtling. Ein Genie, das zehn Sprachen beherrscht, aber sich in keiner wirklich verständigen kann. Der einzige Mann auf dem Kontinent heißt nun ihr letzter Roman. Eine Woche im Leben eines übergewichtigen Computernerds.

Weil ihm sonst nichts einfiel, was er hätte tun können, klappte er doch wieder den Laptop auf. Das kleine Klicken, wenn die Verriegelung aufgeht, das Knacksen wenn der Bildschirm aufgerichtet wird. Der Anblick des dunklen Bildschirms ist mir fast zu viel. Schnell einschalten, damit Licht wird.

Darius Kopp arbeitet für eine international operierende Firma. Ein kleines Rädchen im großen Business, der virtuell Geschäfte abwickelt – bis die New-Economy-Blase platzt. Zurück bleibt ein verunsicherter Mann, der weder seine Gefühle noch seine Finanzen in den Griff bekommt. "Ich wollte jemanden beschreiben, der in diese künstliche Welt im Netz flüchtet" erklärt Terézia Mora. "Und das ist sowohl tragisch als auch komisch."

Raus aus der Schublade

Genau diesen Drahtseilakt beherrscht Terézia Mora wie kaum eine andere. Sie kann Stimmungen und Perspektiven virtuos und im Nu verändern. Innere Monologe voller Glut prallen auf nüchterne Kommentare, gleiten an detailgenauen Beobachtungen ab. Die 39-Jährige seziert die deutsche Sprache, lotet ihre Möglichkeiten bis ins letzte aus.

Und trotzdem wurde Terézia Mora, gerade am Anfang, immer mal wieder in die Ausländerschublade gesteckt. Eine Erfahrung, die viele Autoren mit Migrationshintergrund machen. "Das hat mich eine ganze Weile irritiert, und irgendwann habe ich dann keine Leseanfragen mehr angenommen, bei denen ich als Ungarin angekündigt wurde", wirft Terézia Mora mit einem müden Lächeln ein. "Mittlerweile sind Autoren wie ich so präsent, das man sich schlicht an uns gewöhnen muss."

Ausgezeichnet und geerdet

1999 erhielt Terézia Mora den Ingeborg-Bachmann-PreisBild: picture-alliance / dpa

Und Terézia Mora ist auf dem besten Weg zu dieser Normalität. Ihre Bücher werden von der Kritik umjubelt, mit Auszeichnungen überhäuft, etwa dem Ingeborg-Bachmann-Preis und jetzt dem Chamisso-Preis. Mit hoch gepeitschten Erwartungen kann sie trotzdem ziemlich gut umgehen.

"Ich weiß, dass all diese Sachen an der Substanz dessen, was ich bin, überhaupt nichts verändern können", sagt sie selbstbewusst. Trotzdem findet sie die Dotierung von Auszeichnungen wichtig. "Mit einer Ehrung allein kann ich mir keine Blumentöpfe kaufen."

Schließlich lebt Terézia Mora von ihrer Literatur. Sie steht mit beiden Füßen auf dem Boden, als Schriftstellerin, als Mutter einer kleinen Tochter. Mit dem Klischee einer weltfremden Dichterin kann sie wenig anfangen. Schreiben heißt für sie, genau hinzuschauen, wenn Gewissheiten sich verflüchtigen, Grenzen sich auflösen. Und das könne man nur, so Terézia Mora, wenn man mitten im Leben stehe.


Autorin: Aygül Cizmecioglu
Redaktion: Gabriela Schaaf

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