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Schriftsteller Friedrich Christian Delius ist tot

31. Mai 2022

Er zählt zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwartsliteratur. Nun ist Friedrich Christian Delius im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben.

Friedrich Christian Delius steht mit Hut und Lederhandschuhen in einer Parkanlage
Friedrich Christian Delius im Jahr 2018Bild: Jens Kalaene/ZB/picture alliance

Der Rowohlt Verlag würdigte Delius als "herausragenden Chronisten" seiner Zeit. Rowohlt-Berlin-Verleger Gunnar Schmidt, der auch der Lektor des Verstorbenen war, erklärte, dieser habe "als Zeitgenosse geschrieben, als wacher Beobachter, aus dem Fluss der Dinge heraus - dicht an der Gegenwart, dicht am Leben." Friedrich Christian Delius schrieb über sechs Jahrzehnte lang und blieb mit seinen Werken stets ganz nah an den gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen, die ihn umgaben.

Seine Romane und Erzählungen, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden, spiegeln deutsche Geschichte wider: "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" ist eng mit dem deutschen Schlüsseljahr 1954 und dem "Wunder von Bern" verbunden. In "Amerikahaus und der Tanz um die Frauen" verarbeitete Delius die Aufbruchsstimmung vor den ideologischen Verhärtungen Ende der 1960er-Jahre. Die Deutsche-Herbst-Trilogie ist geprägt vom Terror der Roten Armee Fraktion (RAF), während "Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus" von der Erfahrung der deutschen Teilung handelt. "Die Birnen von Ribbeck" dagegen handelt von der Wiedervereinigung.

1954 siegte die deutsche Mannschaft bei der Fußball-WMBild: sportfotodienst/imago images

Aktiv in West und Ost

Friedrich Christian Delius wurde am 13. Februar 1943 in Rom geboren. Seine Mutter war Kindergärtnerin, sein Vater Hilfsprediger in der Deutschen Evangelischen Kirche in Rom und als Soldat an die afrikanische Front versetzt worden. Von 1944 an wuchs Delius im hessischen Wehrda auf. Mit 18 Jahren veröffentlichte er erste Gedichte, mit 21 Jahren stieß er zur Gruppe 47, der bekanntesten westdeutschen Vereinigung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. 

In den 1960er und 1970er-Jahren trug Delius unter anderem als Lektor dazu bei, Autorinnen und Autoren aus der DDR im Westen bekannt zu machen. 1973 gründete er mit Freunden den gemeinsam geführten Rotbuch Verlag und wurde mit seinem Gespür für damals noch unbekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Heiner Müller, Thomas Brasch, Thea Dorn und Herta Müller erfolgreich. Er half, sie im Westen bekanntzumachen - auch, indem er deren Werke über die Grenze schmuggelte. Er lebte in Berlin und fand, wieder in Rom, seine zweite Frau. Delius eckte immer wieder mit seinen Werken an. Als Stipendiat an der Villa Massimo arbeitete er an der 1972 erschienenen Dokumentarsatire "Unsere Siemens-Welt". Der Siemens-Konzern zog dagegen vor Gericht.

Streitbarer, poetischer Geist

Delius hat im Laufe seines Lebens mehr als fünfunddreißig Bücher veröffentlicht, die sich zu einem Werk gefügt haben, hob sein Verlag Rowohlt in seinem Nachruf hervor - "einem Werk von großer Beständigkeit, von großer Klarheit und Kraft. Zugleich bestach er - Erzähler, Spieler, Poet - stets durch Vielseitigkeit und die Musikalität seiner Prosa."

Delius wurde vielfach ausgezeichnet, darunter 2011 mit dem Georg-Büchner-Preis. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung begründete dies damals damit, dass er als "kritischer, findiger und erfinderischer Beobachter" in seinen Romanen und Erzählungen die Geschichte der deutschen Bewusstseinslagen im 20. Jahrhundert erzählt habe - "von der Vorgeschichte der NS-Zeit über die Zeit der Teilung bis in die unmittelbare Gegenwart". Er war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Akademie der Künste Berlin und auch im deutschen PEN, aus dem er kurz vor seinem Tod im Zusammenhang mit dem Eklat um dessen ehemaligen Präsidenten Deniz Yücel austrat. In einem Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte Delius seinen Austritt - in gewohnt wacher, humorvoller und zugleich kritischer Art und Weise. 

In einem Essay verteidigte Friedrich Christian Delius Ex-PEN-Präsident Deniz YücelBild: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Figuren auf Expedition

Delius selbst erklärte seine Arbeit gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) einmal so: "Ich versuche, Fragen, die ich an bestimmte Aspekte unserer Gegenwart oder historische Ereignisse habe, zu beantworten, indem ich Figuren losschicke, auf Expeditionen gewissermaßen. Ich versuche, hinter Schlagzeilen, Formeln und Vorurteile zu gelangen, zu möglichst differenzierten Wahrnehmungen durch möglichst subjektive Sicht."

Kulturstaatsministerin Claudia Roth äußerte sich mit folgenden Worten zu Delius' Tod: "Seine Werke zeichnen sich durch intensive Sprachkraft und klare Haltung aus: gegen Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit, gegen Opportunismus und Konformismus." Sein Tod sei ein großer Verlust für die deutsche und europäische Literatur. "Wir werden ihn sehr vermissen, seine Werke werden uns noch lange beschäftigen."

pj/rbr (dpa/AFP/KNA)

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