Schuldzuweisungen nach Loveparade-Tragödie
27. Juli 2010Neue Erkenntnisse gibt es dagegen über die Ursache für den Tod von mittlerweile 21 Loveparade-Besuchern. Sie alle seien ausnahmslos an Brustquetschungen gestorben, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Das hätten die Obduktionen ergeben. Entgegen ersten Annahmen sei bei der Massenpanik keines der Opfer durch einen Sturz von einem Treppenaufgang oder von der hohen Mauer ums Leben gekommen.
Am kommenden Samstag (31.07.2010) soll in der Duisburger Salvatorkirche auf einer zentralen Trauerfeier der Opfer der Loveparade-Katastrophe vom vergangenen Wochenende gedacht werden. An dem ökumenischen Gottedienst werden neben Kraft auch Bundeskanzlerin Angela und Bundespräsident Christian Wulff teilnehmen.
Für traumatisierte Loveparade-Besucher will die Landesregierung zusammen mit den Kirchen und kommunalen Spitzenverbänden eine Übersicht über das Netzwerk der Beratungseinrichtungen veröffentlichen. Die Landesregierung werde sicherstellen, dass Betroffene unbürokratisch und schnell Hilfe erhielten, versprach Kraft.
Schuldzuweisungen gehen weiter
Unterdessen gehen auch vier Tage nach dem Desaster die Spekulationen über die Ursachen der Katastrophe weiter, und die Beteiligten schieben weiter die Schuld hin und her. Das fängt schon bei den Zahlen an. War noch am Tag des Unglücks von etwa 1,4 Millionen Besuchern die Rede, so gehen Experten jetzt von etwa 200.000 Menschen aus, die sich zum Zeitpunkt der Panik auf dem Veranstaltungsgelände aufgehalten haben. Für mehr sei kein Platz gewesen.
Im Zentrum heftiger Kritik steht Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Einen Rücktritt lehnte der CDU-Politiker bisher allerdings ab. Wie die "Kölnische Rundschau" berichtete, unterschrieb Sauerland die ordnungsbehördliche Erlaubnis für die Loveparade erst kurz vor Beginn der Großveranstaltung. Noch am Freitag sei in verschiedenen Sitzungen über das Sicherheitskonzept debattiert worden, wobei die Duisburger Berufsfeuerwehr und die Polizei nochmals deutlich gemacht hätten, dass die Loveparade so nicht stattfinden könne.
Sauerland behauptet hingegen, er habe nichts von Sicherheitsbedenken gewusst. "Mir sind keine Warnungen bekannt", sagte er der "Rheinischen Post". Es gebe bei der Planung solcher Veranstaltungen immer kritische Stimmen, die man ernst nehmen müsse. Aufgabe der Stadt sei es, zu prüfen, ob beantragte Veranstaltungen stattfinden könnten. "Und genau das haben wir auch in diesem Fall gewissenhaft getan", so der 55-Jährige.
Konsequenzen gefordert
Die Aufarbeitung des Unglücks wird unterdessen mehr und mehr zum Politikum. Bundespolitiker forderten den Rücktritt der Verantwortlichen. "Nach dieser Katastrophe sind politische und persönliche Konsequenzen unausweichlich", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU).
Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), zeigte sich verärgert darüber, dass die Veranstalter bisher kaum zur Aufklärung der Tragödie beigetragen hätten. Naheliegende Fragen würden nicht beantwortet, und jeder versuche, dem anderen den schwarzen Peter zuzuschieben.
Organisator schiebt Schuld auf Polizei
Loveparade-Organisator Rainer Schaller verwahrte sich gegen Kritik - und verwies zugleich auf die Polizei. Die Einsatzleitung habe die Anweisung gegeben, alle Personenschleusen vor dem westlichen Tunneleingang zu öffnen. Dadurch sei der Hauptstrom der Besucher unkontrolliert in den Tunnel gelangt. Warum die Polizei diese Anweisung gegeben habe, wisse er nicht. Im Sicherheitskonzept sei die Schließung der Schleusen für den drohenden Fall der Überfüllung vorgesehen gewesen.
Die Kölner Polizei, die die Ermittlungen übernommen hat, wies dies als voreilige Spekulation zurück. "Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage zu sagen, was der Auslöser war für das Ganze, wie es sich ereignet hat. Das kann man jetzt noch nicht seriös feststellen", sagte eine Polizeisprecherin. Die Staatsanwaltschaft Duisburg ermittelt derweil wegen fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt.
Polizei hatte schon früh Sicherheitsbedenken
Die Polizei in Duisburg hatte einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge bereits früh Bedenken am Sicherheitskonzept geäußert. Damit sei die Polizei aber auf politischen Widerstand gestoßen. Vor allem der mittlerweile in Ruhestand befindliche Polizeipräsident Rolf Cebin soll Ärger auf sich gezogen haben. Wie die Zeitung weiter berichtet, verlangte der Duisburger CDU-Kreisvorsitzende und frühere Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg sogar Cebins Absetzung.
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, plädierte dafür, die Verantwortung für die Sicherheit bei Großveranstaltungen künftig bei den Innenministerien anzusiedeln. Auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Kraft erklärte, bei Großveranstaltungen müsse die Verantwortung beim Innenministerium liegen.
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, Frank Richter, sieht vor allem die Stadtverwaltung in der Verantwortung. "Die Genehmigungsbehörde ist letztendlich dafür zuständig. Die kritischen Stimmen gab es von der Polizei. Trotz alledem hat man darauf bestanden, das in dieser Art und Weise durchzuführen", sagte er im Fernsehsender Phoenix.
Im Duisburger Rathaus liegt inzwischen ein Kondolenzbuch für die Opfer der Massenpanik aus. NRW-Ministerpräsidentin Kraft trug sich im Düsseldorfer Landtag in ein weiteres Trauerbuch ein. Auch an der Unglücksstelle gibt es ein Kondolenzbuch.
AutorIn: Gerhard M Friese/ Annamaria Sigrist (apn, dpa, afp, rtr)
Redaktion: Ursula Kissel/ Christian Walz