Trotz steigender Infektionszahlen soll der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden. Unterschiedlichste Vorgaben und eine unzureichende Ausstattung stellen viele Bildungseinrichtungen vor gewaltige Herausforderungen.
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Mit dem Ende der Sommerferien steigt in vielen Ländern und auch in Deutschland die Zahl der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2. Trotzdem werden Kindergärten, Schulen und Bildungseinrichtungen wieder geöffnet, nicht nur um berufstätige Eltern zu entlasten, sondern vor allem zum Wohl der Kinder.
Die Vorstellungen der verschiedenen Akteure - Virologen, Mediziner, Wirtschaftsvertreter, Politiker, Lehrer und Elternvertreter - über eine Wiederaufnahme des Kindergarten- und Schulbetriebs unterscheiden sich allerdings erheblich.
Entsprechend ist es in den vergangenen Monaten nicht gelungen, einheitliche Regeln zu entwickeln. Weder in Europa, noch zum Beispiel in Deutschland, wo die Regeln nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern zum Teil auch von Schule zu Schule variieren.
Da in Deutschland die Bundesländer für die Bildung verantwortlich sind, unterscheiden sich auch die Regelungen für den Schulbetrieb nach den Sommerferien erheblich.
Maskenpflicht, Abstandhalten, Hygieneregeln und feste Lerngruppen sollen die Ansteckungsgefahr reduzieren. Soweit der Konsens, wie das aber konkret gehandhabt werden soll, bleibt Auslegungssache.
Die wichtigsten Vorschriften im Überblick:
Regelbetrieb
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In allen Bundesländern sollen nach den Sommerferien Kitas, Schulen und Bildungseinrichtungen wieder geöffnet werden und in den Schulen soll es weitgehend wieder Präsenzunterricht geben. Es sollen pragmatische Konzepte gefunden werden, die das Infektionsrisiko minimieren und flächendeckende Schulschließungen verhindern.
Der "Regelbetrieb" soll laut Kultusministerkonferenz "vor dem Hintergrund spezifischer Gegebenheiten vor Ort" gestaltet werden, die Länder müssen die Vorschriften und Regeln also jeweils selbst ausarbeiten.
Hygiene-Vorschriften
Die Schulen sollen ein umfassendes Hygienekonzept erarbeiten. Es sollen Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen, die sanitären Einrichtungen sollen regelmäßig gereinigt und die Klassenräume gut durchlüftet werden.
Was selbstverständlich klingt, sieht in der Realität allerdings oft anders aus. In vielen Schulen mangelt es an Platz, viele Klassenräume sind so klein bzw. viele Klassen sind so groß, dass die Distanz- und Abstandsregeln kaum eingehalten werden können. Zudem haben viele Klassenräume nicht einmal funktionierende Waschbecken, zahlreiche sanitäre Einrichtungen sind marode, viele Fenster lassen sich aus Sicherheitsgründen nicht öffnen, den verantwortlichen Kommunen fehlt es an Geld für überfällige Sanierungen.
Viele Länder sehen die Masken nur auf den Gängen oder in Pausenräumen vor, nicht aber während des Unterrichts. Außerdem sollen Grundschüler von der Regel ausgenommen werden, weil jüngere Kinder die Masken nicht fachgerecht tragen könnten und weil sie selten an COVID-19 erkrankten.
Andere Länder wie das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen bestehen auf eine Maskenpflicht an allen Schulen. Und zwar nicht nur in den Gebäuden und auf dem ganzen Schulgelände, sondern auch während des Unterrichts. Die Maskenpflicht gilt für Schüler und für Lehrkräfte, sofern sie den empfohlenen Mindestabstand von 1,5 Meter nicht sicherstellen können.
Feste Gruppen
Nach Möglichkeit soll der Unterricht in festen Lerngruppen inklusive Lehrpersonal organisiert und ein Durchmischen der Gruppen im Schulalltag verhindert werden. Dadurch soll das Infektionsrisiko begrenzt und im Falle einer Infektion innerhalb der Lerngruppe kleinteiliger isoliert werden können. Indem Infektionscluster erkannt und Infektionsketten unterbrochen werden, soll ein großflächiger "Lockdown" verhindert werden.
Was plausibel klingt, stellt die Schulen jedoch vor enorme Schwierigkeiten, weil etwa die gesamte Oberstufe meist in übergreifenden Kursen organisiert ist. Es fehlen ausreichende Räumlichkeiten und Lehrkräfte für einen auf Kleingruppen beschränkten Präsenzunterricht.
Lehrer- und Elternvertreter sehen die geplanten Maßnahmen für eine Rückkehr zum "Regelbetrieb" kritisch. Sie plädieren für eine Mischung aus Präsenz- und Online-Unterricht. Allerdings sehen auch sie in Bezug auf den digitalen Unterricht bei vielen Schulen, Schülern und Lehrkräften noch erheblichen Nachholbedarf.
Corona-Tests
In vielen Bundesländern sollen den Lehrkräften vor Beginn des Schuljahres freiwillige und kostenlose Corona-Tests angeboten werden. Nach Ansicht des Virologenverbands sollte auch danach "eine besonders niedrigschwellige Testung (…) für das Lehrpersonal sichergestellt sein".
Auch bei Schülern mit einer akuten Atemwegsinfektion sollte es laut der Virologen umgehend einen Corona-Test geben, damit mögliche Cluster frühzeitig erkannt werden.
Sollte es gegen Jahresende auch durch den wiederaufgenommenen Schulbetrieb zu einem kritischen Anstieg der Neuinfektionen kommen, raten die Virologen zu einer Ausdehnung der Weihnachtsferien, zumal es "über Weihnachten durch feiertagsbedingte Reisetätigkeit und Familienfeiern vermutlich zu einer weiteren Zunahme der Infektionsrisiken kommen kann."
Grundschule: Seit 100 Jahren zum Einmaleins
Vor 100 Jahren wurde die gemeinsame Grundschule geschaffen - seitdem ist die "Schule für alle" im Wandel und muss neben Lob auch Kritik einstecken. Ein Blick auf eine Institution, die sich immer wieder neu erfindet.
Bild: picture-alliance/dpa/W. Hub
Endlich Chancengleichheit?
Es war ein Novum in der deutschen Bildungsgeschichte: Statt privilegierte Schüler zum Hauslehrer und arme Schüler in übervolle Volksschulklassen zu schicken, sollen nun - wir schreiben das Jahr 1919 - alle gemeinsam lernen. Die damals achtjährige Grundschule, auch Volksschule genannt, wird auf Grundlage der Weimarer Verfassung gegründet - und feiert nun ihr hundertjähriges Jubiläum.
Die anfängliche Euphorie hielt nicht sehr lange: Ab 1933 hält die NS-Ideologie auch in die Klassenzimmer Einzug: Auf diesem Klassenfoto von 1939 tragen fast alle Jungen die Uniform der Hitlerjugend, an der Wand hängt ein Bild des Leipziger Völkerschlachtdenkmals. Jüdische Schüler werden von 1942 an vom Schulbesuch ausgeschlossen - es folgen oftmals Deportation und Tod.
Bild: picturealliance/dpa/P. Zimmermann
Suppe für alle
Schulspeisung in Berlin: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs normalisiert sich das Alltagsleben langsam, die Kinder können wieder regelmäßig die Schule besuchen. Aufgrund der schlechten Ernährungslage sind viele Familien auf das öffentliche Essensangebot angewiesen. Mit der Gründung der Bundesrepublik wird das alte System aus Volksschule, Mittelschule und höherer Schule wieder eingeführt.
Bild: picture-alliance/akg-images
Lernen mit Hammer und Sichel
Mit Gründung der DDR verändert sich auch das Schulsystem in Ostdeutschland. Mit sechs oder sieben Jahren kommen alle Schüler auf die Polytechnische Oberschule (POS), die die Klassen eins bis zehn abdeckt. Lehrpläne und Schulbücher sind im ganzen Land einheitlich und ideologisch eingefärbt. In der Bundesrepublik ist Bildung bis heute Ländersache - und von Bremen bis Bayern höchst unterschiedlich.
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Einer für alle
Eine Dorfschule in Bayern 1960: Im ländlichen Raum gehen viele Schüler in den Nachkriegsjahren noch in eine einklassige Volksschule. Für den Lehrer eine Herausforderung - er muss sich mit Schülern aus acht Jahrgängen gleichzeitig beschäftigen. In den Städten gilt nach wie vor, dass die Konfession nicht nur darüber bestimmt, an welcher Schule man lernt - sondern auch mit wem man spielt.
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Lernen unter neuem Namen
Die achtjährige Volksschule wird Mitte der 1960er Jahre im Rahmen einer Bildungsreform aufgelöst. Als Regelschule kommt nun die vierjährige Grundschule, anschließend geht es auf die unterschiedlichen Schultypen der Sekundarstufe - Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. Bis heute ein System, das immer wieder in Frage gestellt wird.
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Diktat auf griechisch
In den 1960er Jahren kommen auch die sogenannten Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland - und mit ihnen auch Kinder, die kein Deutsch sprechen. Eine Herausforderung für das Schulsystem: Die Klöckner AG Bergbau spendiert daraufhin griechischen Kindern einen griechischen Volksschullehrer, der ihnen das Schreiben beibringt - ein Glücksfall für die Schüler.
Bild: picture-alliance/dpa/W. Hub
Deutscher Lehrplan, russische Küche
Klubnachmittag im Hort 1980: Viertklässler der Oberschule "Antonon Zapotocky" in Neubrandenburg bereiten Pelmeni zu, ein russisches Nationalgericht. Die Nachmittagsbetreuung in den Schulen der DDR war früh Standard - ganz im Gegenteil zu westdeutschen Grundschulen, in denen je nach Standort noch immer rund ein Drittel der Kinder mittags nach Hause geht.
Bild: picture-alliance/akg-images
Inklusion - ein langer Weg
Ein Novum für die Grundschulen der vergangenen Jahre ist die Inklusion: Doch auch zehn Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention ist das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne Einschränkungen nicht selbstverständlich. Vielerorts fehlt es auch an Sonderpädagogen und Schulbegleitern - so dass betroffene Eltern die besser ausgestatteten Förderschulen für ihr Kind bevorzugen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel
Das digitale Klassenzimmer
Drittklässler der Rosa-Luxemburg-Grundschule in Potsdam gestalten Stop-Motion-Filme zum Thema Kinderrechte: Auch die Digitalisierung der Grundschulen gehört zu den Herausforderungen - und zu den Themen, über die sich die Fachwelt streitet. Während die einen moderne Medien in den ersten Jahren komplett aus dem Klassenzimmer verbannen wollen, sehen andere in ihnen eine sinnvolle Ergänzung.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Settnik
Lehrer, verzweifelt gesucht
Eines der drängenden Probleme der heutigen Grundschulen ist der Lehrermangel. Nach Prognosen der Bertelsmann-Stiftung fehlen bis 2025 rund 26.300 Lehrkräfte im gesamten Bundesgebiet. Ein Grund: die im Vergleich zu anderen Schulformen schlechtere Bezahlung. Das macht das Studium des Grundschullehramts oft unattraktiv, glauben Experten. Quer- und Seiteneinsteigern fehlt hingegen die Qualifikation.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul
Gute Noten für die Grundschule
Trotz aller Probleme: Die Mehrheit der Eltern ist laut einer Umfrage des Bundeselternrats mit der Schule ihrer Sprösslinge zufrieden. Auch auf der Leistungsebene stehe die deutsche Grundschule international gut da, sagt Bildungsforscher Hans Brügelmann und konkretisiert: "Nicht spitze, aber überdurchschnittlich."