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Politik

Schule lehnt Benennung nach Samuel Paty ab

Lisa Louis
9. Februar 2021

Eine südfranzösische Schule wird nun doch nicht nach dem von einem Islamisten ermordeten Lehrer Samuel Paty benannt. Das zeigt auch, wie zwiespältig Frankreichs Verhältnis zur Laizität ist. Von Lisa Louis, Paris.

Frankreich | Gedenken an getöteten Lehrer in Paris - Samuel Paty
Ein Porträt des getöteten Lehrers Samuel Paty: Manche Schulen haben sich zu seinem Andenken umbenannt - andere nicht Bild: Lewis Joly/dpa/picture-alliance

Es ist still geworden um die Schule "Die Eukalypten" in dem Dorf Ollioules im Département Var an der französischen Mittelmeerküste. "Wir möchten uns nicht mehr äußern und nun wieder eine friedfertigere Atmosphäre herstellen", schreibt Sandra Olivier, Mathematiklehrerin an der Schule und Vertreterin der Lehrergewerkschaft SNES-FSU, auf die Interviewanfrage der DW.

Auch Robert Beneventi, Bürgermeister der konservativen Partei Les Républicains (LR), hüllt sich in Schweigen. Sein Projekt, die Sekundarschule nach dem von einem islamistischen Attentäter ermordeten Geschichtslehrer Samuel Paty umzutaufen, ist gescheitert - am Widerstand der Lehrer, Eltern und Schüler. Ein Widerstand, der für Kontroverse sorgt und zeigt, wie zwiespältig Frankreichs Verhältnis zur Laizität ist.

"Ich wollte diesem Lehrer, der unter schrecklichen Umständen getötet worden ist, eine Ehre erweisen", sagte Beneventi kürzlich dem Regionalsender France 3. "Das war für mich ein wichtiges Symbol für unsere Republik." Ein Islamist tschetschenischer Herkunft hatte Paty vergangenen Oktober in der Nähe von Paris geköpft, weil der im Unterricht eine Karikatur des Propheten Mohammeds aus dem Satiremagazin Charlie Hebdo gezeigt hatte.

Das Magazin war im Januar 2015 selbst Ziel eines terroristischen Anschlags geworden, bei dem zwei Attentäter in und um die Redaktion zwölf Menschen ermordeten.

Der Mord an dem Lehrer Samuel Paty hatte in ganz Frankreich für Entsetzen gesorgt Bild: Charles Platiau/Reuters

Dem neuen Namen des Colleges hätte auch der Verwaltungsrat der Schule zustimmenmüssen, in dem Vertreter der Lehrer, Eltern und Schüler sitzen. Nach einer Onlineumfrage stellte sich heraus, dass die Mehrheit dieser Vertreter gegen den neuen Namen waren. Beneventi beschloss, auf die Umbenennung zu verzichten.

Angst, zur Zielscheibe zu werden

Die Mathematiklehrerin Olivier rechtfertigte den Widerstand gegenüber France 3. "Natürlich wollen wir unseren Kollegen würdigen, aber doch nicht so. Das würde uns zur Zielscheibe machen. Dieses Risiko sollten wir vermeiden", sagte sie. Außerdem habe Paty keine Verbindung zu dem Ort und die Straße, in der die Schule sich befindet, sei schon nach einem Gendarmen benannt, der sein Leben 2018 für eine Geisel geopfert habe. "Das sind viele Würdigungen für eine Schule - und würde diesem Ort, der Kinder empfängt, einen traurigen Beigeschmack geben."

Doch die Ablehnung löste heftige Reaktionen aus. Kommentatoren nannten sie "freiwillige Unterwerfung angesichts der Gefahr" und "eine Entehrung". Für Iannis Roder, Direktor der Beobachtungsstelle für Bildung der linksgerichteten Stiftung Jean Jaurès, ducken sich die Lehrer aus Angst weg. "Die Islamisten sind dabei, die Schlacht der Ideen zu gewinnen - die Lehrer gehen gar nicht erst hin zum Kampf", sagt Roder, selbst Geschichtslehrer im Pariser Vorort Saint-Denis, zur DW.

Mihaela-Alexandra Tudor, Dozentin an der Universität in Montpellier, sieht tiefes Misstrauen gegenüber Politikern Bild: Stefan Bratosin

In einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Ifop für seine Stiftung und Charlie Hebdo Anfang des Jahres durchführte, gaben 42 Prozent der befragten Lehrer an, sich bei religiösen Themen schon einmal selbst zensiert zu haben, um Probleme zu vermeiden. "Ich verstehe schon, dass man sein Leben lieber nicht riskieren will. Aber seit 2015 und den seither wiederholten Terroranschlägen leben wir nicht mehr in der Blase der Sicherheit, die uns 70 Jahre lang umgab. Beamte haben nun einmal die Pflicht, die Werte der Republik zu verteidigen", meint Roder.

Dann zitiert er eine Rede des späteren britischen Premiers Winston Churchill vor dem Parlament 1938: "Ihr hattet die Wahl zwischen Schande und Krieg. Ich habt Euch für Schande entschieden und Krieg bekommen." Der Abgeordnete kommentierte damals das Abkommen von München, mit dem Großbritannien, Frankreich und Italien das Sudetenland an Hitlerdeutschland abtraten. Was jedoch Deutschland nicht davon abhielt, den Zweiten Weltkrieg loszutreten.

Die Grundschule in Cap d'Ail Ecole Saint Antoine ist tatsächlich umbenannt worden - das neue Namensschild kommt im Juni Bild: BBO Studio - Thierry

Krise der Laizität?

Für Mihaela Alexandra Tudor, Dozentin für Soziologie der Medien an der Universität Paul Valéry Montpellier 3 in Südfrankreich, ist der Widerstand der Lehrer und Eltern jedoch auch Ausdruck einer tieferen Krise. Er sei die Folge steigenden Misstrauens gegenüber Politikern und einer Uneinigkeit angesichts des in Frankreich sehr streng definierten Begriffs der Laizität, der Trennung von Kirche und Staat. "Die Leute haben das Gefühl, Politiker bedienen sich nur solcher Symbole, um ihre eigene Karriere voranzutreiben - und setzen dabei gerne andere Gefahren aus", sagt sie gegenüber DW.

"Wir dürfen gegenüber dem Terror nicht weiter zurückweichen": Bürgermeister Xavier Beck Bild: Ville de Cap d’Ail

"Außerdem sind sich manche nicht mehr sicher, ob sie der Laizität in ihrer aktuellen Form zustimmen." Sie denken, es ginge nur noch darum, den Islam zu stigmatisieren, so Tudor. So müsse der Begriff neu definiert werden - um sicherzustellen, dass nicht alle Muslime über einen Kamm geschoren würden.

Das Gesetz zu den Werten der Republik, das gerade durch das Parlament geht, sei zumindest der Beginn einer Diskussion. Auch wenn manche argumentieren, dass es Muslime noch mehr stigmatisiere. Der Entwurf sieht unter anderem vor, Moscheen und Imame strenger zu kontrollieren. Die Bedrohung und Einschüchterung von Beamten will man unter Geld- und Gefängnisstrafe stellen.

Dennoch scheint Ollioules bisher ein Einzelfall zu sein. Die Stadt Béziers, 300 Kilometer weiter westlich, hat beschlossen, eine Grundschule nach Paty zu benennen. Eine bestehende Schule will man dafür umbauen und im Herbst 2022 mit dem neuen Namen neu eröffnen. In Cap d'Ail, 180 Kilometer östlich von Ollioules, hat der Stadtrat die Grundschule "Saint Antoine" bereits wenige Tage nach dem Attentat nach Paty umbenannt. Das neue Namensschild will man im Juni anbringen.

In Béziers wird eine Grundschule umgebaut und 2022 mit dem Namen Samuel Paty wiedereröffnetBild: Ville de Béziers

Für den LR-Bürgermeister Xavier Beck war die Umbenennung eine Selbstverständlichkeit - trotz einer Online-Petition dagegen, die über 300 Personen unterzeichnet hatten. "Wir müssen unsere Zivilisation und Demokratie verteidigen, indem wir uns lautstark für unsere Ideale einsetzen", erklärt er der DW. "Wir dürfen vor dem Terror nicht weiter zurückweichen."

Paty soll in Ollioules trotzdem gewürdigt werden

Natürlich gibt es gegenüber Ollioules einen entscheidenden Unterschied: Anders als bei Mittelschulen brauchen Gemeinden für eine Umbenennung von Grundschulen keine Zustimmung des Verwaltungsrats der Schule. Der Bürgermeister von Ollioules hat inzwischen bekannt gegeben, dass er Paty dennoch in seiner Stadt würdigen wolle. Er will einen anderen Ort nach ihm benennen. Nur eben keine Sekundarschule.

 

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