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"Russland schneidet sich ins eigene Fleisch"

Kersten Knipp 3. März 2014

EU-Parlamentarier Werner Schulz fordert harte Antworten auf Russlands Vorgehen auf der Krim. Die EU könne wirtschaftlichen Druck ausüben. Die ökonomischen Folgen der Invasion spüre Russland schon jetzt.

Der EU-Parlamentarier Werner Schulz (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN), 28.2. 2013 (Foto: DW)
Bild: DW/N. Jolkver

DW: Herr Schulz, die Lage auf der Krim spitzt sich derzeit dramatisch zu. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation?

Werner Schulz: Die Situation erinnert im Moment eher an das Jahr 1914 als an das 21. Jahrhundert. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir noch mal an einer so gefährlichen Stelle stehen werden, dass sich durch eine militärische Eskalation ein äußerst gefährlicher und brisanter Zustand ergibt.

Allerdings hat sich die politische Kultur seit 1914 enorm entwickelt. Europa hat gelernt, Krisen friedlich beizulegen. Lässt Sie das nicht auch hinsichtlich der Ereignisse auf der Krim auf eine friedliche Lösung hoffen?

Das stimmt einen einerseits etwas ruhiger, weil wir auf der einen Seite die EU haben, die die Lehren aus 1914 gezogen hat und heute eine ganz andere Kraft symbolisiert. Auf der anderen Seite haben wir aber ein Russland, das aus seiner Kolonialgeschichte und aus den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts nichts gelernt hat. Wir erleben eine Methode, die an Breschnew erinnert: Es gab 1968 auch den "Hilferuf" von tschechischen Kommunisten, mit dem man begründet hat, warum man in Prag einmarschiert ist oder 1979 den angeblichen Hilferuf aus Afghanistan und 2008 aus Südossetien. Ich habe mir persönlich nichts vorgemacht, wozu der ehemalige KGB-Oberstleutnant Putin in der Lage ist: Wenn er davon gesprochen hat, "Wir sind ein Volk" in Bezug auf die Ukraine, dann war das nicht der uns so vertraute Ruf nach Wiedervereinigung, wie wir das in Ostdeutschland erlebt haben, sondern sein neokolonialer Gebietsanspruch. Für Putin ist die Auflösung der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts - also nicht der 1. Weltkrieg, nicht der 2. Weltkrieg, nicht der Holocaust. Er versucht mit allen Mitteln, offensichtlich auch aggressiv und militärisch, so etwas wie eine Eurasische Union zusammenzubringen - also gewissermaßen eine Rekonstruierung der Sowjetunion.

Wie sehen Sie denn das Argument, Russland täte nichts anderes, als mit harten Mitteln für seine ganz natürlichen Interessen einzutreten?

Russische Interessen in der Ukraine kann es nicht geben. Es kann russische Interessen gegenüber der Ukraine geben, es kann ein Interesse an guten Beziehungen zur Ukraine geben. Es ist ein großes Zugeständnis und ein schwerer politischer Fehler, dass man den Vertrag der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim um 25 Jahre verlängert hat - also bis 2042. Denn normalerweise hat eine solche Truppenstationierung auf fremdem Territorium nichts zu suchen. Es gab in Budapest 1994 ein Memorandum, das sowohl von Russland als auch von den USA, Frankreich und Großbritannien unterzeichnet wurde, wo man der Ukraine die volle staatliche territoriale Souveränität und Integrität zugestanden hat - auf der Basis der Gegenleistung, dass Atomwaffen in der Ukraine vernichtet werden. Das heißt, die Ukraine hat abgerüstet und hat dafür die Garantie bekommen, dass sie völkerrechtlich in den Grenzen von damals anerkannt wird, auch von Russland. Das ist eine Verletzung des Memorandums von 1994.

Gerade haben sich die Mitgliedsstaaten der NATO getroffen. Welche Möglichkeiten hat das Verteidigungsbündnis, auf Russland einzuwirken?

Es gibt verschiedene Mittel, die außerhalb der militärischen Intervention liegen, weil wir keinen Krieg wollen. Wir sind seit Jahrzehnten einer Friedenspolitik verpflichtet und insofern werden wir alles tun, was durch diplomatische Gespräche möglich ist. Es gibt auch eine Reihe von Sanktionen gegen Russland. Aber eine Sache ist die allerwichtigste, das haben die baltischen Sowjetrepubliken vorgemacht: Lettland, Litauen und Estland waren vielmehr daran interessiert, Mitglieder der NATO zu werden als der EU. Und hier ist 2008 in Bukarest dieser Action Plan of Membership ein bisschen auf Eis gelegt worden: Die Ukraine hatte den Antrag auf NATO-Mitgliedschaft gestellt, das wurde dann von den US-Amerikanern zwar befürwortet, aber von einigen europäischen Staaten, auch Deutschland, eher aufgeschoben. Der einzige Schutz der Ukraine wäre eine möglichst schnelle und dringliche Aufnahme in die NATO. Ich glaube, es gibt so einen Entschließungsantrag im ukrainischen Parlament. Ich denke auch, dass sich Putin damit ins eigene Fleisch geschnitten hat. Auch die anderen Staaten wie Moldau und Georgien werden jetzt sehr schnell versuchen, in ein militärisches Bündnis zu kommen, das ihnen die territoriale Integrität sichert.

Inwiefern könnte ein entschiedenes Auftreten des Westens gegenüber Russland Putin überhaupt zum Einlenken bewegen?

Wie ich den Homo Sovieticus und KGB-Agenten Putin kenne, ist das die einzige Sprache, die er versteht. Also das ist eine Gegendrohung und ein wirklicher Schutz für diese Staaten. Das einzige, was Putin bisher wirklich in Rage gebracht hat, ist die Ausdehnung der NATO. Er hat ja gesagt, was ist die Ost-Ausdehnung der NATO gegen die West-Ausbreitung von Gazprom? Wir haben die West-Ausdehnung von Gazprom zugelassen, wir haben uns in die Abhängigkeit von dieser strategischen Rohstoffmacht Russland bringen lassen. Das einzige wirklich wirksame Mittel ist im Grunde genommen die Beistandsgarantie. Das ist völkerrechtlich völlig in Ordnung, dass diese Länder eine Garantie haben, dass ihre territoriale Integrität eingehalten wird. Und das wird auch Russland in seine Grenzen weisen.

Sie sprachen von denkbaren Schritten der NATO. Welche Mittel stünden denn der EU zur Verfügung, um auf Putin einzuwirken?

Die Sanktionen der EU sind vielfältig. Im Moment hält man sich noch zurück, weil man immer noch hofft, sich mit Putin verständigen zu können. Ich selbst glaube daran allerdings nicht. Insgesamt hat die EU aber einige Instrumente. Sie kann zum Beispiel das Kooperationsabkommen, das ja wieder aufgenommen werden sollte, auf Eis legen. Ebenso kann sie die von Russland so gewünschte Visa-Freiheit blockieren. Auch kann man Einreisebeschränkungen gegenüber den für diese militärischen Aktionen zuständigen Beamten und Verantwortlichen aussprechen. Es gibt eine ganze Reihe von Nadelstichen. Allerdings sind wir eine 'soft power'.

Ich glaube aber, dass Russland sich vor allem selbst schadet. Die russische Börse ist in Turbulenzen geraten. Auch die Investoren werden sich zurückhalten. Wirtschaftlich werden die Ereignisse Russland eher schaden. Und der Vertrauensverlust ist unermesslich, das kann man im Moment noch gar nicht erfassen. Außerdem dürfte Putin mit Widerstand im eigenen Land zu rechnen haben. Denn auch die Russen begreifen allmählich, welch übler Propaganda aus dem Kreml sie aufgesessen sind. Da sind ja die Tatsachen völlig verdreht worden. Niemand ist auf der Krim oder in der Ost-Ukraine bedroht worden.

Werner Gustav Schulz ist seit 2009 Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Europäischen Parlaments. Zuvor war der ehemalige DDR-Bürgerrechtler von 1990 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages.

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