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Politik

Mehr Einsatz gegen Antisemitismus

29. April 2018

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, fordert mehr Initiative gegen Antisemitismus. 73 Jahre nach der Schoah sei die Gesellschaft erneut herausgefordert - aber nicht nur in Deutschland, so Schuster.

Deutschland Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Der Antisemitismus zeige sich hierzulande, aber auch in vielen anderen europäischen Staaten in unterschiedlichen Formen und Gesellschaftsschichten, sagte Schuster (Artikelbild) laut Redemanuskript in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Dennoch wolle er nicht schwarzmalen. Deutschland sei noch immer ein Staat, in dem Juden gut leben könnten. Allerdings leider nur mit einer gewissen Vorsicht und mit polizeilich geschützten Einrichtungen.

Anlass seiner Ansprache war die Gedenkfeier des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern zum Jahrestag der Befreiung des KZ Dachaus durch US-Truppen am 29. April 1945.

Schuster erklärte weiter, es seien viele kleine Schritte nötig, die die gesamte Gesellschaft im Kampf gegen den Antisemitismus gehen müsste. "Die eine große Lösung gibt es nicht. Und immer wieder gibt es Rückschläge." Die jüdische Gemeinschaft müsse diese aushalten, so der Zentralratspräsident. Doch die Generation der Überlebenden der Schoah und der Wiederbegründer der Gemeinden nach dem Krieg hätten gelernt, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Die jüdische Gemeinschaft wolle in Deutschland, wo sie über Jahrhunderte zu Hause gewesen sei, auch weiter eine Heimat haben. "Deshalb werden wir für eine tolerante Gesellschaft kämpfen", betonte Schuster und erinnerte daran, dass die meisten Menschen in Deutschland keineswegs antisemitisch denken. "Nein, die Mehrheit steht an unserer Seite. Und mit ihnen gemeinsam kämpfen wir für die demokratischen Werte und für die Menschenwürde." Der Zentralratspräsident begrüßte erneut, dass auf Bundesebene das Amt eines "Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland" geschaffen worden sei. Es wäre seiner Ansicht nach gut, wenn alle Bundesländer ein solches einrichteten.

Kein Generalverdacht gegen Muslime

Schuster beklagte auch den unter einigen Muslimen in Deutschland verbreiteten Antisemitismus. Es liege ihm fern, Muslime generell zu verurteilen, sagte Schuster. "Es nützt aber nichts, die Augen davor zu verschließen, dass es bei einigen Muslimen ausgeprägten Antisemitismus gibt." Dieser Antisemitismus werde von Eltern und zum Teil auch von Imamen so weitergegeben, sagte Schuster. Arabische Fernsehsender und das Internet täten ihr Übriges.

Bei der Gedenkfeier bekräftige Schuster seinen Vorschlag, ein bundesweites Meldesystem für antisemitische Vorfälle zu schaffen. Die polizeiliche Kriminalstatistik sei bislang unzulänglich. Wenn bei einer antisemitischen Straftat kein Täter ermittelt werde, werde die Tat automatisch dem rechten Spektrum zugeschrieben - so entstehe eine Zahl von 90 Prozent aller Straftaten, für die angeblich Rechtsextreme verantwortlich seien. "Mit den Erfahrungen von Juden stimmt dies jedoch nicht überein", sagte Schuster. Deshalb könne ein niedrigschwelliges Meldesystem, das auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeit umfasse, ein Gesamtbild der Situation von Juden in Deutschland liefern. Es seien valide Daten nötig, damit die Mehrheitsgesellschaft das Problem überhaupt ernst nehme.

Felix Klein, Ex-Diplomat und jetziger Antisemitismusbeauftragter der BundesregierungBild: DW/E. Usi

Der künftige Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, griff die Idee Schusters auf und erklärte, er wolle in jüdischen Gemeinden Stellen für die Meldung antisemitischer Übergriffe schaffen. Klein forderte zudem "ein bundeseinheitliches System zur Meldung antisemitischer Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze". Das gebe es bisher noch nicht.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, kritisierte Gleichgültigkeit und Tatenarmut, mit denen jahrzehntelang über die Warnungen der jüdischen Gemeinschaft hinweggegangen worden sei. Die aktuelle Aufmerksamkeit und Sensibilität für den massiv erstarkten Antisemitismus kämen "spät, sehr spät - hoffentlich nicht zu spät". 

Sorge bei Barley

Auch Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) zeigt sich besorgt über die neue Qualität des Antisemitismus in Deutschland. "Antisemitismus hat in unserem Land ein neues Ausmaß erreicht. Wir als Deutsche haben eine besondere Verantwortung, dem mit allen erdenklichen Mitteln zu begegnen", sagte sie der "Welt am Sonntag". Die SPD-Politikerin erinnerte an den im Koalitionsvertrag beschlossenen "Pakt für den Rechtsstaat" und das Versprechen, 2000 neue Stellen im Justizwesen zu schaffen. Deshalb setze sie sich in den laufenden Haushaltsverhandlungen dafür ein, die Planstellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bei der Bundesanwaltschaft deutlich aufzustocken, so die Justizministerin.

Klare Haltung: Bundesfamilienministerin Katarina BarleyBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sieht schwere Versäumnisse im Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland: "Ja, vielleicht haben wir uns schon zu lange daran gewöhnt, dass jüdische Schulen, Kindergärten oder Gemeinden nur unter permanentem Polizeischutz arbeiten können", schreibt Kauder in einem Gastbeitrag ebenfalls für die "Welt am Sonntag". Dies sei offenbar "zur Normalität geworden, obwohl gerade hier nichts normal sein dürfte."

"Ist Deutschland gescheitert"

Die Situation der jüdischen Bürger habe sich offenkundig weiter verschlechtert, so Kauder. Deutschland habe immer den Kampf gegen den Antisemitismus als "Auftrag aus unserer Geschichte" gesehen. Menschen jüdischen Glaubens sollten nicht noch einmal in Angst leben müssen. Heute müsse man sich allerdings fragen, ob wir trotz aller Anstrengungen gescheitert seien: "Oder sind wir gerade im Begriff zu scheitern?"

Kritik an der AfD: Union-Fraktionschef Volker KauderBild: Reuters/H. Hanschke

Jede Form von Antisemitismus sei zugleich ein Angriff auf die Identität unseres Staates, so Kauder weiter. Und auch wenn zu Recht derzeit viel über den "eingewanderten Antisemitismus" von Migranten geredet werde, dürfe man nicht vergessen, dass die meisten antisemitschen Straftaten von Rechtsextremen begangen würden. In diesem Zusammenhang kritisiert Kauder auch die AfD, denn "ganz öffentlich fördern AfD-Politiker ein antisemitisches Klima". Konkret nannte er Forderungen aus der Partei und ihrem Umfeld nach einem Schlussstrich unter das Gedenken an den Holocaust. "So äußerten sich lange Zeit nur Rechtsradikale."

cgn/as (afp, dpa, epd, kna)

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