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Gesellschaft

Philippinen: Schutz für Kinder vor Cybersex

Martina Merten aus Cebu
9. März 2020

Zahlreiche Kinder auf den Philippinen sind Opfer sexuellen Missbrauchs übers Internet. Über das Ausmaß der seelischen Erschütterungen und die Spätfolgen wissen Wissenschaftler noch zu wenig. Martina Merten aus Cebu.

Philippinen Rotlichtviertel von Manila
Rotlichtviertel in ManilaBild: DW/R.I. Duerr

Webcam Kinder-Sextourismus nimmt zu

02:38

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Jenny M. war zehn Jahre alt, als ihre Nachbarin sie zum ersten Mal in ihr Haus rief. Jennys Vater war bei der Arbeit. Ihre Mutter hatte die Familie verlassen. Sie war nämlich drogenabhängig gewesen, hatte Jenny geschlagen. Geschwister hatte Jenny nicht. Was die Nachbarin von ihr wollte, sei ihr gleich unangenehm gewesen, berichtet die heute 14-Jährige. Sie zieht an ihren Fingern, bis sie knacken, während sie mit der Deutschen Welle spricht. Jenny sollte sich vor der Webcam ausziehen, auf Wunsch eines Freundes der Nachbarin.

"Ich mochte es nicht. Ich wollte es nicht, aber ich hatte Angst vor dieser Frau", erzählt sie, verlegen lächelnd. Die Nachbarin erhielt viel Geld von dem Bekannten. Später zog sie sich gemeinsam mit Jenny vor der Kamera aus. Sie machten Dinge zusammen, über die Jenny nicht wirklich reden möchte.

Cybersex-Opfer JennyBild: Benjamin Füglister

Lukratives Geschäft

Das überwiegend katholische Land am Westrand des Pazifiks hat circa 106 Millionen Menschen. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug nach Angaben der Weltbank nicht einmal 3.000 US-Dollar im Jahr 2017. Cybersex eröffnet vielen ärmeren Menschen auf den Philippinen neue Möglichkeiten für lukrative Geschäfte. Immer mehr Mädchen prostituieren sich virtuell. Nach Angaben der katholischen Hilfsorganisation missio verdienen die Eltern bis zu 86 Euro pro "Show". Kunden sind meist Pädophile aus dem Ausland.

Für Jenny wurden aus einem Mal mehrere Male, aus mehreren Malen zwei Jahre. Erst dann fand sie den Mut, einer Freundin ihre Erlebnisse anzuvertrauen. Diese berichtete der Lehrerin davon. Und sie war es, die sich endlich des Mädchens annahm. Es war der Moment, in dem für Jenny ein neues Leben begann.

Kinderschutzzentrum auf CebuBild: Benjamin Füglister

Das Leben danach

Das Leben danach findet hoch in den Bergen der zentralphilippinischen Insel Cebu statt, in einem Zentrum für Opfer des Menschenhandels in der Küstenstadt Liloan. Hier haben 14 Mädchen im Alter von elf bis 22 Jahren eine Zuflucht gefunden. Sie alle wurden Opfer von sexuellem Missbrauch, einige davon wie Jenny vor der Webcam. Die Ordensschwestern vom Guten Hirten kümmern sich um die Rehabilitierung der Mädchen. "So gut es eben geht", sagt Heimleiterin Flori Lie.

Auf den Philippinen ist das Geschäft mit Cybersex aufgrund des Ausbaus von digitaler Infrastruktur weit verbreitet. Immer mehr Kinder werden zu obszönen Handlungen vor Webcam gezwungen. In einer Studie über Gewalt gegen Kinder des UN-Kinderhilfswerks UNICEF berichtete jedes fünfte Opfer auf den Philippinen über sexuelle Gewalt.

"Es werden mehr und mehr Fälle bekannt. Und wir kratzen jetzt lediglich an der Oberfläche", sagt Reynaldo Bicol, Leiter der International Justice Mission (IJM) in Manila, einer Hilfsorganisation. Die Kinder, die vor die Kameras gesetzt werden, würden immer jünger, sagt er im Interview mit der DW.

Bart van Oost leitet die C.U:R.E. Foundation auf CebuBild: Benjamin Füglister

"Mittäter aus dem Familienkreis"

Über die Traumata, unter denen die Mädchen leiden müssen, ist wenig bekannt. Nach Ansicht der Sozialarbeiterin Amazing Grace Salitrero leiden die Kinder unter vielen seelischen Belastungen. Sie wurden durch das Geschehene, aber auch durch die Rettung traumatisiert. Salitrero arbeitet für die Hilfsorganisation C.U.R.E. Foundation, eine auf die Behandlung von Cyber-Prostituierten spezialisierte Einrichtung auf der Insel Cebu.

"In 80 Prozent der Fälle befinden sich die Mittäter in der Familie der Mädchen", erläutert Bart von Oost. Der Holländer leitet die C.U.R.E Foundation auf Cebu. Meist sei die Mutter der Kinder die Mittäterin, häufig auch die Tante oder wie im Falle von Jenny die Nachbarin. Viele dieser Frauen seien selbst in jüngeren Jahren Missbrauchsopfer gewesen. Ihnen sei das Gefühl für Normalität früh abhanden gekommen.

"Das Leben danach" in einer Schutzeinrichtung Bild: Benjamin Füglister

Ausmaß unbekannt

Wie gravierend das Ausmaß der psychischen Störung ist, ist derzeit noch schwer einzuschätzen. Eine qualitative Studie vom Kinderhilfswerk Terre des Hommes von 2013 fand heraus, dass eine beträchtliche Anzahl der Kinder ihre Probleme externalisiere, also nach außen verlagere, durch selbstzerstörerisches Verhalten, beispielsweise Selbstverletzungen.

"Bislang mangelt es auf den Philippinen an Langzeitstudien", sagt Professor Glenn Glarino, Psychologe an der San Carlos Universität in Cebu. Trotz alarmierender steigender Zahlen im letzten Jahrzehnt sei das Interesse an der Traumastudie noch immer sehr gering. Er selbst führte 2017 eine Pilotstudie mit minderjährigen Missbrauchsopfern durch, die in staatlichen Einrichtungen untergebracht waren. Das Ziel sei gewesen, die Traumatherapie von Kindern noch stärker an deren Bedürfnissen zu orientieren.

Prof. Glarino: ""Bislang mangelt es an Langzeitstudien"Bild: Benjamin Füglister

Seit circa zwei Jahren können sich Psychologen und Sozialarbeiter auf den Philippinen an einem Leitfaden für Kinderpsychotherapie orientieren. Wissenschaftler aus den USA und den Philippinen hatten dieses rund 20-seitige Dokument erarbeitet, das bereits in einigen staatlichen und privaten Psychotherapiezentren für Missbrauchsopfer verpflichtend angewendet wird.

Im Zentrum für Opfer des Menschenhandels in Liloan geht es der Heimleiterin Flori Lie in erster Linie darum, die Mädchen wieder ins normale Leben zurückzuführen. Manchmal backen sie nachmittags gemeinsam Bananenchips, oder sie fahren mit dem Fahrrad über den Hof, gehen zur Schule.

Jenny geht bislang nicht zur Schule. Sie liegt den Altersgleichen schulisch um Jahre zurück. Sie könne sich einfach nicht richtig konzentrieren, sagt sie, wieder verlegen. Und blickt auf den Boden.

Die Recherche der Autorin wurde ermöglicht durch ein "Global Health Reporting Grant" des European Journalism Center (EJC) und der Bill and Melinda Gates Foundation.

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