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Schwacher Staat, starke Dschihadisten

Kersten Knipp17. Dezember 2015

Das Friedensabkommen für Libyen ist erst mit Verspätung unterzeichnet worden. Das beweist einmal mehr die politischen Schwierigkeiten. Dabei ist eine Einheit dringend nötig, damit der IS das Machtvakuum nicht füllt.

Libyscher Milizionär, 15.07.2015 (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/M.Brabu

Der Vertrag lag längst ausformuliert in mehreren Ausdrucken bereit. Was nur noch fehlte, waren die Unterschriften der Repräsentanten der beiden miteinander konkurrierenden libyschen Parlamente: des islamistisch dominierten in Tripolis und des eher säkular ausgerichteten in Tobruk. Eigentlich hätten deren Vertreter das Friedensabkommen bereits am Mittwoch unterzeichnen sollen. So war es geplant. Doch dann verschob sich die Signierstunde noch einmal.

Denn in einem sind sich die Rivalen offensichtlich einig: "Wir lassen die Welt wissen, dass wir in der Lage sind, unsere Probleme selbst zu lösen", erklärte Akila Saleh, der Vertreter der in Tobruk residierenden Regierung, am Schluss der Verhandlungen in Malta. Er fügte ein weiteres Argument hinzu: Der ausgehandelte Vertrag entspreche nicht dem Willen der libyschen Bevölkerung.

Tatsächlich beruht das Abkommen vor allem auf der Einigkeit der moderaten Gruppen. Andere Kräfte, allen voran die Führer der bewaffneten Milizen, waren an der Ausformulierung des Papiers gar nicht beteiligt. Es ist darum fraglich, ob sie sich dadurch gebunden fühlen. Gerade auf sie käme es aber an.

"Libyen löst seine Probleme selbst": Akila Saleh, Vertreter des Parlaments von TobrukBild: picture-alliance/dpa/Str

Gefährliche Verzögerungstaktik

Die Verzögerung beleuchtete einmal mehr, wie schwer es eine auf Dialog und friedliche Konfliktlösung setzende politische Kultur in Libyen weiterhin hat. Nach dem Sturz Gaddafis im Sommer 2011 hatte Libyen eigentlich gute Voraussetzungen, die Revolution friedlich zu beenden, sagt Andreas Dittmann, Professor für Anthropogeographie an der Universität Gießen.

"Aber dann merkten einige Stammesführer, dass man mit bewaffneten Milizen politische Ziele durchsetzen kann. Als dieses Prinzip sich dann durchgesetzt hatte, war kein Milizenführer mehr bereit, die Waffen abzugeben. Denn jeder musste fürchten, mit den Waffen auch die politische Macht abzugeben." Aus diesem Grund halte die Destabilisierung des Landes bis heute an. Und die Vertreter beider Parlamente tun sich offenkundig sehr schwer, sie zu überwinden und den Milizionären eine Alternative zu bieten.

Doch je länger eine echte Einigung auf sich warten lässt, desto gefährlicher wird das für Libyen. Denn die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) hat das Chaos genutzt, um sich in Teilen des Landes festzusetzen. Während sie im Osten vor den Toren der Hafenstädte Benghazi und Derna steht, hat sie sich in der weiter westlich gelegenen Küstenstadt Sirte bereits als herrschende Macht etabliert. Einen Aufstand der Bevölkerung schlug der IS vor wenigen Tagen nieder. Zugleich schüchtert er die Bewohner mit harten Urteilen auf Grundlage der Scharia ein und vollstreckt Todesurteile. In dieser Woche wurde eine als "Hexe" verleumdete Frau enthauptet.

Zerstrittene Bevölkerung: Demonstration anlässlich einer im Herbst geplanten EinheitsregierungBild: Reuters/E.O. Al-Fetori

Machtlose Exekutive

Bislang sind die Einnahmequellen des IS noch überschaubar. "Er finanziert sich hauptsächlich durch Schleusertum, Waffen- und Drogenhandel und den Schmuggel von Konsumgütern wie etwa Zigaretten", zitiert das Magazin "Jeune Afrique" einen Bewohner von Sirte. Presseberichten zufolge visiert der IS langfristig aber ein anderes Ziel an: die im Landesinneren gelegenen Ölvorkommen - die bedeutendsten in ganz Afrika. Weiteren Medienberichten zufolge versuche der IS zugleich, andere Förderanlagen zu zerstören. Auf diese Weise will er die Wirtschaft des Landes beeinträchtigen.

Die wichtigste Bedingung dafür, den IS erfolgreich zu bekämpfen, sei die politische Einigung, sagt Andreas Dittmann. Erst dann sei es möglich, weitere Voraussetzungen zu schaffen: So müsste die Exekutive gestärkt, "Polizei, Zoll und Militär müssen ausgebaut werden". Das wiederum scheitert an den Milizen, die an ihrer Macht festhalten und sich nicht dem Staat unterordnen wollen. Dennoch müssten sie langfristig entwaffnet und die staatlichen Strukturen gestärkt werden. "Dann folgt die Bekämpfung des IS in Libyen ganz von selbst."

"Lybier müssen selbst gegen den IS kämpfen": UN-Gesandter M. Kobler (li.)Bild: picture alliance / dpa

Eine libysche Aufgabe

Ähnlich sieht es auch Martin Kobler, UN-Sondervermittler für Libyen. Während der Verhandlungen über die Einheitsregierung habe bei allen Teilnehmern Konsens darüber geherrscht, dass der IS bekämpft werden müsse, berichtet der deutsche Diplomat in einem ARD-Interview. Das könne den Libyern allerdings niemand abnehmen: "Der Kampf gegen den Islamischen Staat muss ein libyscher Kampf sein."

Bleibt die Frage, ob die Bevölkerung sich grundsätzlich auf ein Bündnis einigen kann. Die jüngste Verzögerung beim Vertragsabschluss in Malta hat erneut verdeutlicht, wie unterschiedlich die Interessen der einzelnen Gruppen sind. Um sie wirklich einzubinden, heißt es in dem Magazin "Jeune Afrique", müssten die Verhandlungen womöglich noch einmal neu aufgerollt werden.

Dazu aber scheint die internationale Staatengemeinschaft nicht bereit. Sie drängt auf ein Abkommen, um die Grundlage für den Kampf gegen den IS zu schaffen. Offen ist aber, wie erfolgreich ein solcher Kampf ohne grundsätzliche Einigung sein kann. So drehen sich die politischen Argumente im Kreis. Umso mehr komme es auf grundlegende Kompromisse an, sagt Andreas Dittman. "Denn eine Einigung ist die einzige Chance."