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Abtreibung per Telemedizin

Kate Brady
29. Dezember 2021

In Deutschland geht die Zahl der Gynäkologinnen und Gynäkologen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, deutlich zurück. Mehrere Organisationen haben ein Projekt gestartet, das den Eingriff per Telemedizin erlaubt.

Jana Maeffert
"Viele Tabus rund um das Thema": Jana Maeffert, eine der Gynäkologinnen des ProjektsBild: Kate Brady/DW

Jedes Jahr werden in Deutschland rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Bei Vergewaltigung oder wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet ist, sind sie legal. Bis zum dritten Schwangerschaftsmonat sind sie rechtswidrig, jedoch straffrei. In diesem letzten Fall ist allerdings ein Beratungsgespräch vorgeschrieben, das mindestens drei Tage vor dem Eingriff stattfinden muss. Doch die Möglichkeiten dafür schwinden. Seit 2003 hat sich die Zahl der Abtreibungskliniken in Deutschland halbiert.

"Meine Frauenärztin bietet keine Schwangerschaftsabbrüche an und vor der Klinik in meiner Nähe sind ständig Proteste", sagt die 26-jährige Anna. "Dort gibt's eine Hintertür. Aber wer will sich so was zumuten?" Anna lebt im katholisch geprägten Bayern, wo die Situation besonders schwierig für sie ist. Anna fühlte sich noch nicht bereit für ein Kind. Finanzielle Gründe und mangelnde Unterstützung ihrer Familie spielten eine Rolle bei der schwierigen Entscheidung, die Schwangerschaft zu beenden.

Plakat für eine Liberalisierung des SchwangerschaftsabbruchsBild: Michael Gstettenbauer/imago images

Statt zu einer Klinik zu fahren, nahm Anna an einem neuen Pilotprojekt teil. Schwangerschaftsabbrüche werden dabei per Telemedizin zuhause vorgenommen, sofern eine rein medikamentöse Abtreibung möglich ist. Teilnehmerinnen sprechen per Videoschalte mit einer Frauenärztin und bekommen die Medikamente für die Abtreibung mit der Post zugeschickt. Getragen wird das Projekt von der Beratungsstelle pro familia, dem Beratungszentrum balance und dem Verein Doctors for Choice.

Die Pandemie als Katalysator

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Anfragen deutlich gestiegen. "Einer der häufigsten Gründe war nicht, dass eine Frau mit COVID-19 positiv getestet wurde oder in Quarantäne musste, sondern wegen der Kinderbetreuung - oder deren Mangel", sagt Dr. Jana Maeffert, eine der Gynäkologinnen des Projekts.

Außerdem herrscht seitdem ganz allgemein ein Mangel an ärztlicher Vor-Ort-Versorgung: Ärzte werden krank, müssen in Quarantäne oder schließen vielerorts ihre Praxen.

"Genauso sicher" per Telemedizin

Bevor sich Patientinnen zu einem solchen Schwangerschaftsabbruch per Telemedizin entscheiden, müssen sie ein Beratungsgespräch führen, in dem es um Fragen wie diese geht: Sind Sie sicher, dass Sie das wollen? Wer unterstützt Sie? Haben Sie bereits Kinder? Haben Sie für ihre anderen Kinder eine Betreuung?

Wenn die Patientin das gesetzlich vorgeschriebene Beratungsgespräch geführt hat und bereit zu dem Eingriff ist, wird sie aufgefordert, eine Reihe von Unterlagen, darunter eine Ultraschallaufnahme, in einen gesicherten Chat hochzuladen. Drei Tage später bekommt die Patientin zwei Tabletten und Schmerzmittel per Post zugeschickt.

Unter der Aufsicht einer Gynäkologin nimmt die Patientin die erste Tablette. Zwei Tage später dann die zweite, um die Blutung auszulösen, diesmal, während ihr Partner oder eine andere Vertrauensperson dabei ist.

"Ich fühlte mich wohler. Mein Partner war die ganze Zeit bei mir und konnte mich unterstützen. Das war auch am Wochenende möglich", sagt Anna. "Von daher musste ich mir wegen der Arbeit keine Ausrede ausdenken. Auch meine Familie musste davon nichts erfahren."

Zweieinhalb Wochen später macht die Patientin einen speziellen Schwangerschaftstest, um zu bestätigen, dass sie nicht mehr schwanger ist. Schwangerschaftsabbrüche per Telemedizin seien "genauso sicher" wie beim "normalen Weg", sagt Dr. Maeffert. Treten Komplikationen auf, kann die Patientin in jedem Fall die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen.

Immer weniger Erfahrung

Nicht nur in ländlichen Gegenden Deutschlands geht die Zahl der Gynäkologen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, seit 20 Jahren zurück. Damit nimmt die Erfahrung ab. "Es gibt immer noch viele Tabus rund um das Thema", so Maeffert. Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht zum Standard-Lehrplan bei der Medizinerausbildung. Rechtliche Hürden und das Stigma, das solchen Ärzten vielfach anhaftet, tun ein übriges.

Abtreibungsgegner vor einer Münchener AbtreibungsklinikBild: Sachelle Babar/ZUMAPRESS.com/picture alliance

"Die Generation der 68er, die Abbrüche in der Praxis machen, hört jetzt langsam auf", erklärt Maeffert. Es sei eine Generation, die von der sexuellen Befreiung und Selbstbestimmung geprägt gewesen sei.

Ampelkoalition sagt gesetzliche Unterstützung zu

Die Organisationen, die das Telemedizin-Projekt tragen, würden es gern ausweiten, und sie erwarten deutliche Änderungen bei der Rechtslage. In ihrem Koalitionsvertrag streben die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP an, den Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs, das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, abzuschaffen: "Ärztinnen und

Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen", heißt es dort. Die Ampel-Koalition will ein bundesweites Netz von Beratungszentren aufbauen.

Doch eine Gesetzesänderung würde wohl kaum die oft aggressiven Abtreibungsgegner stoppen, die Ärzten vor Kliniken auflauern und sie gezielt in den sozialen Medien angreifen.

Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte, sagt der Deutschen Welle, die Feindseligkeit, die Abtreibungsärzten von radikalen Abtreibungsgegnern entgegenschlage, halte sie davon ab, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. "Niemand tut gern etwas, für das er öffentlich angefeindet und zum Mörder erklärt wird."

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

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