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Politik

Schwarzarbeit in der häuslichen Pflege

Ben Knight
12. August 2018

Immer mehr Deutsche müssen gepflegt werden. Wissenschaftler werfen der Bundesregierung vor, dass es keine einheitlichen Standards für die private Pflege gibt. Das öffnet Chancen für Schwarzarbeiter, etwa aus Polen.

Symbolbild | Krankenhaus Pflege Station
Bild: picture-alliance/dpa-Zentralbild/H.-J. Wiedl

Pflege im Laufschritt

03:35

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Die Bundesregierung lässt "Grauzonen” im deutschen Pflegesystem zu, die ältere Menschen in eine unsichere Rechtslage bringen. Das hat jetzt das "German-Polish Centre for Public Law and Environmental Network (GPPLEN)" kritisiert. Eine 2009 gegründete gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg und der polnischen Universität Wroclaw (Breslau).

Pflegebedürftige, die nicht in einem Heim untergebracht werden wollen, nutzen in Deutschland oft die Dienste von Agenturen, die osteuropäische Pflegekräfte organisieren, oder sie engagieren auf eigene Faust Unterstützung für die Betreuung zu Hause. Das Ergebnis: Sowohl die Kunden als auch die Dienstleistenden stecken in halblegalen oder sogar illegalen Abmachungen, bei denen die Pflegekräfte einen sogenannten staatlich subventionierten "Minijob" oder den Status als Scheinselbstständige akzeptieren müssen, um arbeiten zu können.

"Es gibt keine rechtlichen Standards, keine Standardverträge, die rechtliche Sicherheit für die deutschen Kunden und für die Agenturen und Anbieter herstellen würden", sagte Lothar Knopp, Direktor von GPPLEN, bei einer Pressekonferenz in Berlin: "Das schafft eine Grauzone zwischen Legalität und Illegalität."

Vernachlässigte Heimbewohner

Der Personalmangel in der Pflegebranche ist zum drängenden Problem in Deutschland geworden. Wegen der Unterbesetzung in Pflegeeinrichtungen werden viele Heimbewohner vernachlässigt. Momentan sind 36.000 Stellen unbesetzt, 15.000 davon in Seniorenheimen. Dabei altert die deutsche Bevölkerung schnell, weswegen das Problem an Dramatik noch zunehmen dürfte. Die Anzahl an Menschen, die solche Dienstleistungen in Anspruch nehmen, soll laut Prognosen bis zum Jahr 2060 von aktuell 2,86 Millionen auf 4,5 Millionen ansteigen.

Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel geht das Problem an. Gemeinsam starteten mehrere Ministerien - das Gesundheits-, Familien- und das Arbeitsministerium - im Juli eine Initiative, um 13.000 zusätzliche Stellen zu schaffen und um die Rahmenbedingungen für professionelle Pflegekräfte zu verbessern. Lothar Knopp von GPPLEN begrüßt die Initiative grundsätzlich, sie löse allerdings das Problem nicht unbedingt. "Da muss man sich sagen, das kann man alles machen; bloß: Wo kriegt man die Fachkräfte?", sagt Knopp: "Die Politiker können sagen: 'Wir haben unseren Teil getan. Wie ihr [Anm.der Red.: die Pflegeindustrie] das jetzt organisiert, das ist euer Problem."

Hunderttausende osteuropäische Pflegekräfte sind in Deutschland im EinsatzBild: DW/T.Sostmann

Neue Pflegemärkte

Mit den aktuellen Plänen würden zwar die staatlichen Einrichtungen personell verstärkt, sagt Knopp, aber die Regierungsinitiative "bedeutet überhaupt keinen Durchbruch für die häusliche Pflege". Ein gewichtiges Problem für Pflegebedürftige ist der hohe Preis: Durch die Einführung des Mindestlohns 2015 sind die durchschnittlichen Kosten von etwa 1600 Euro im Monat auf mehr als 2000 Euro im Monat gestiegen. Die Bundesregierung hat aber gleichzeitig weder die finanziellen Pflegeleistungen aufgestockt, noch Sonder-Steuervorteile für Pflegebedürftige eingeführt. "Die Politik muss endlich die finanziellen Mechanismen bereitstellen, damit die 24-Stunden-Pflege bezahlbar ist," sagt Knopp.

Daniel Haberkorn, der Vorsitzende von Promedica Plus, sagt, das Pflegemodell zu Hause "hilft zwischen 250.000 und 300.000 älteren Mitbürgern, dass sie zu Hause wohnen bleiben können. Und es hilft vielen Menschen in Osteuropa, die dort keinen Job finden, etwa 1500 Euro im Monat zu verdienen". Der Durchschnittslohn beträgt in Polen etwas über 1000 Euro im Monat.

Polen: Der hohe Preis der Auswanderung

Haberkorn räumt ein, dass solch ein System Arbeitskräfte aus dem polnischen Markt abzöge, aber Robert Szymczak, der polnische Vorstand der Firma, weist darauf hin, dass die Renten in Polen so niedrig seien, dass ältere Menschen sich gar keine professionelle Pflege leisten könnten, und dass in Polen ja keine Sozialleistungen für Pflege gezahlt würden.

"Es ist Tradition, dass man Oma oder Opa zu sich nimmt und man versucht, Berufsleben mit Betreuung dieser Personen zu verknüpfen", sagt Szymczak im DW-Interview: "In Deutschland sprechen wir von einem Notstand, aber in Polen existiert das Thema überhaupt nicht. Es gibt keine Debatten darüber."

Ein polnischer Regierungsbericht aus dem Jahr 2014 zeigte aber, dass das Land in den nächsten Jahren dasselbe Problem ereilen könnte wie Deutschland: eine älter werdende Bevölkerung und einen Mangel an Pflegekräften.

In Deutschland wird dieser Mangel so ernst genommen, dass er vergangenen Monat einen Besuch der Bundeskanzlerin in einem Pflegeheim bei Paderborn rechtfertigte. Die Pflegeindustrie ist bekannt für Überstunden und Unterbezahlung, weshalb das Anwerben von neuem Personal sehr schwierig ist.

Bundeskanzlerin Merkel besuchte im Juli ein Seniorenheim in PaderbornBild: Getty Images

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erhalten Vollzeitpflegekräfte mit drei Jahren Ausbildung im Durchschnitt 18 Euro pro Stunde brutto, während andere Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt etwa 22 Euro pro Stunde verdienen.

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte im DW-Gespräch, dass der Einsatz "ausländischer Pflegekräfte einer von vielen Bausteine [war] in unserem Konzept, die Personalsituation in der Pflegebranche zu verbessern und den Personalbedarf langfristig zu decken." Er fügte hinzu, dass sein Ministerium zusammen mit anderen Ministerien daran arbeite, die Anerkennung von ausländischen beruflichen Qualifikationen und die Verfahren zur Klärung des Aufenthaltsstatus zu beschleunigen.

Das Arbeitsministerium sagte der DW, es habe "die Entwicklung in diesen Bereichen der Pflege im Blick,” und warnte, dass für die Dienstleistenden dieselben allgemeinen Arbeitsgesetze gelten, die Ausbeutung durch Überstunden verbieten.

Organisierte Kriminalität

Da es momentan keinen rechtlichen Rahmen für diese Hilfskräfte gibt, ist die Situation ziemlich undurchsichtig: Nur 20 von 103 Anbietern solcher Leistungen hätten sich an der Befragung durch das Institut beteiligt, teilte GPPLEN mit.

Auch deshalb ist der Markt ein Spielfeld der organisierten Kriminalität. In den vergangenen Jahren häuften sich Berichte von Pflegebetrug, wo die Versicherer abgezockt wurden. Im Januar 2018 kamen interne Polizeiaufzeichnungen an die Öffentlichkeit, nach denen russische Mafiaorganisationen mithilfe von Pflegeanbietern deutsche Versicherungen um geschätzte eine Milliarde Euro im Jahr betrogen hatten. "Das betraf vor allem die mobilen Pflegedienstleistungen," sagt Knopp im DW-Gespräch. "Einfach um diesem Ansteigen dieses Schwarzmarktes auch wirksam zu begegnen, ist es eigentlich zwingend notwendig, wirklich zu versuchen, diesen Markt zu reglementieren."

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