Schwarze Null oder Europa?
10. Oktober 2014Die Konjunkturaussichten für Deutschland trüben sich ein. Auch die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum deutlich gesenkt, auf nur noch 1,3 Prozent Wachstum in diesem und 1,2 Prozent im nächsten Jahr.
Das ist nur die jüngste in einer langen Reihe von schlechten Nachrichten. Zuletzt sind die Exporte eingebrochen, außerdem Aufträge und Produktion in der Industrie - jeweils so stark wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr. Besonders betroffen ist das Herzstück der deutschen Wirtschaft, die Hersteller von Maschinen und Anlagen.
Ebenfalls in dieser Woche warnte der Internationale Währungsfonds (IWF) vor einer neuen globalen Krise und senkte seine Prognosen für das weltweite und auch das deutsche Wachstum.
Konjunkturbarometer, die unter anderem die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft, an den Aktienmärkten und in den privaten Haushalten messen, zeigen ebenfalls seit Monaten nach unten.
Die deutsche Bundesregierung hat die schwachen Konjunktursignale bisher immer zum Anlass genommen, die europäischen Nachbarn zu einer strikteren Spar- und Reformpolitik aufzufordern. Der Kern der Botschaft von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble an die Regierungen in Frankreich und Italien: Folgt dem deutschen Beispiel und alles wird gut.
Die Reihe der schlechten Nachrichten zeigt nun, dass die exportabhängige deutsche Wirtschaft nicht wachsen kann, wenn es den europäischen Nachbarn schlecht geht. Schließlich kaufen die zwei Drittel aller deutschen Exporte.
Auch in anderen wichtigen Märkten läuft die Wirtschaft nicht rund, in China etwa oder in Brasilien. Dagegen kann die Bundesregierung nichts tun. Gegen die Krise in Europa aber sehr wohl. Allein - sie scheint nicht zu wollen.
Keine Vision außer Sparen
Wirklich solidarischen Lösungen hat sich Merkel immer widersetzt: Von Eurobonds, also gemeinsamen Staatsanleihen, bis zur einer gemeinsamen Einlagensicherung bei der Bankenunion will sie nichts wissen.
Dem Drängen aus Frankreich und Italien nach mehr Spielraum in der Sparpolitik erteilte sie ebenso eine Absage wie den Forderungen, in Deutschland wieder mehr zu investieren.
Dabei wären gerade Investitionen in Infrastruktur und Bildung dringend nötig. Anfang der 1990er Jahre machten öffentliche und private Investitionen noch fast ein Viertel der deutschen Wirtschaftsleistung aus. Inzwischen ist der Anteil auf rund 17 Prozent gefallen, deutlich weniger als der Durchschnitt der Industrieländer in der OECD.
Deutschland lebt auf Verschleiß. Keine gute Voraussetzung für die Zukunft, wenn chinesische Firmen selbst bauen, was sie bis jetzt aus Deutschland kaufen: Maschinen und Anlagen.
Schwarze Null oder Europa
Stattdessen hält Finanzminister Schäuble an seinem Lieblingsprojekt fest: dem ausgeglichenen Haushalt, der sogenannten "schwarzen Null". Das ist seine Art, den europäischen Nachbarn zu signalisieren, sie sollten dem deutschen Vorbild nacheifern.
Die Konjunkturforscher finden in ihrem Herbstgutachten dafür deutliche Worte: Die schwarze Null sei ein "Prestigeprojekt", das "aus ökonomischer Sicht zurzeit nicht angebracht" ist. Frankreichs Präsident Hollande wird an dieser Stelle applaudiert haben.
Schäuble dagegen nennt einen Kurswechsel "töricht". Skepsis gegenüber neuen Schulden ist durchaus angebracht. Und doch es ist falsch, die aktuellen Krisenzeichen zu ignorieren und störrisch auf der Fortsetzung der Sparpolitik zu beharren.
Jahre der wirtschaftlichen Stagnation, 26 Millionen Arbeitslose in der Europäischen Union, geschwächte Sozialsysteme und ein Erstarken nationalistischer Parteien sollten Gründe genug sein, vom Dogma der Austerität abzurücken.