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Politik

Schwarzer Tag für Hessens Henker

13. Oktober 2018

Eigentlich ist die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft. Ein Bundesland hat sie aber noch in der Verfassung stehen: Hessen. Mit diesem Kuriosum soll am 28. Oktober Schluss sein, wenn in Hessen der Landtag gewählt wird.

Magazincover des Le Petit Parsien mit Enthauptung in Berlin
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Ludwig Hilbert sticht wieder und wieder auf Dorothea Weigand ein. Dann schneidet er seinem Opfer die Kehle durch und legt die Leiche im Wald von Marburg ab. Der Schuhmacher will seine schwangere Geliebte nicht heiraten, noch die Schande ertragen, Vater eines unehelichen Kindes zu sein. Doch man kommt dem Mörder auf die Schliche. Der Prozess endet mit einem Schuldspruch, und dafür kann es nur ein Urteil geben: den Tod durch Enthauptung.

Auf dem Marktplatz der hessischen Kleinstadt versammeln sich Hunderte Schaulustige, um der Hinrichtung beizuwohnen. Ist doch der Aberglaube weit verbreitet, dass das Blut des Enthaupteten Heilkraft hat. Mit einem Schwert macht der erfahrene Scharfrichter Christian Schwarz Hilbert einen Kopf kürzer und setzt seinem Leben ein abruptes Ende. Es ist der 14. Oktober 1864 und das letzte Mal, dass in Hessen die Todesstrafe öffentlich vollstreckt wird.

Noch bis 1920 befindet sich Hilberts Schädel im Marburger Anatomischen Institut - bis er auf unbekannte Weise verschwindet. Dies allein ist schon kurios genug, doch noch viel bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die Todesstrafe bis heute in der hessischen Landesverfassung verankert ist. Im Jahr 2018, also über 150 Jahre nach dem Hinrichtung von Ludwig Hilbert. Die hessischen Wähler können nun ihre persönliche Axt an die Verfassung legen: wenn sie, parallel zur Landtagswahl, der Reform zustimmen und damit die Todesstrafe abschaffen.

Weil die Verfassung Hessens von 1946 drei Jahre älter als das Grundgesetz ist, sind noch Artikel zur Todesstrafe enthaltenBild: verfassung-hessen.de

Verfassungsänderung auf die lange Bank geschoben

"Es wird dann keinen Sinn mehr machen, Henker zu studieren", sagt Jürgen Banzer mit einem Schmunzeln. Der hessische CDU-Landtagsabgeordnete ist davon überzeugt, dass die knapp 4,4 Millionen wahlberechtigten Hessen den Henkern endgültig den Garaus machen. In Deutschland ist dieser Berufsstand sowieso nicht mehr gefragt: die Bundesrepublik hat die Todesstrafe durch das Grundgesetz schon seit 1949 abgeschafft. Und Bundesrecht geht über Landesrecht, Hessen darf also gar keine Todesurteile vollstrecken.

Zuletzt hatten die Bayern 1998 in einer Volksabstimmung die Todesstrafe aus ihrer Verfassung gestrichen. Dass es für die letzte Mahlzeit für Hessens Henker noch einmal 20 Jahre länger gedauert hat, begründet Balzer so: "Viele Politiker in Hessen haben lange Zeit doch sehr viel Angst davor gehabt, dass die Wähler vielleicht ausgerechnet dann abstimmen müssen, wenn es kurz vorher ein Kapitalverbrechen gab." Und was ist, wenn die Hessen in zwei Wochen trotzdem an der Todesstrafe festhalten wollen? "Theoretisch kann das natürlich schon passieren, aber ich gehe nicht davon aus. Wahrscheinlich weiß eh‘ nur jeder zehnte Wähler, dass es die Todesstrafe hier noch gibt."

Jürgen Banzer leitet die Arbeit der Enquetekommission zur Verfassungsreform in HessenBild: Privat

Die Hessen stimmen am 28. Oktober insgesamt über 15 Reformvorschläge ab - die Todesstrafe ist der einzige Passus, der aus der Verfassung gestrichen werden soll. 14 Änderungen sollen dagegen in die Konstitution aufgenommen werden: "Zum Beispiel die Verankerung von Kinderrechten, die gleiche Behandlung von Stadt und Land und ein Bekenntnis zu Europa. Die hessische Verfassung soll einfach moderner werden", fasst Jürgen Banzer die Initiative zusammen.

Wiedereinführung der Todesstrafe war vor 50 Jahren in Deutschland wieder Thema

Wie Ludwig Hilbert ist es übrigens ein Mörder, welcher der letzten zivilen Hinrichtung auf westdeutschem Gebiet zum Opfer fällt: der gelernte Mechaniker Richard Schuh stirbt am 18. Februar 1949 in Tübingen durch die Guillotine. In West-Berlin beendet am 11. Mai 1949 das Fallbeil das Leben des Raubmörders Berthold Wehmeyer. Zwei Jahre später, am 7. Juni 1951, werden sieben verurteilte deutsche Kriegsverbrecher im bayerischen Landsberg in einem US-Militärgefängnis gehängt. In der DDR wird der Kindermörder Erwin Hagedorn am 15. September 1972 als letzter Zivilist hingerichtet, am 26. Juni 1981 als letzter Staatsbediensteter der Stasi-Hauptmann Werner Teske, dem Spionage vorgeworfen wird.

Arndtstraße 48, Leipzig: Zentrale Hinrichtungsstätte der DDR, in der Teske als letzter DDR-Bürger hingerichtet wurdeBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Und der letzte deutsche Henker? Johann Reichhart, der in der NS-Zeit über Hunderte Widerstandskämpfer hingerichtet hatte, stirbt am 26. April 1972 im bayerischen Dorfen - verarmt und von vielen verachtet. Als Anfang der 1960er Jahre nach einer Mordserie an Taxifahrern in Westdeutschland die Rufe nach der Wiedereinführung der Todesstrafe lauter werden (auch von Kanzler Konrad Adenauer), tritt Reichhart dem entschieden entgegen. Sein Kommentar: "Den Adenauer kann ich nicht begreifen. Ich tät's nie wieder!"

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