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PolitikDänemark

Jugendkriminalität: Mit dreizehn in den Strafvollzug?

Marie Joslyn
12. November 2025

Weil immer mehr Jugendliche Gewalttaten verüben, möchte Schweden die Strafmündigkeit herabsetzen. Schon 13-Jährige Kinder sollen künftig inhaftiert werden können. Wie sieht es im Rest von Europa aus?

Polizeiautos bei Nacht vor einem Wohnhaus im Stadtteil Johannelund
Strafmündig schon ab 13? Schweden will das Alter für die Strafmündigkeit herabsetzenBild: Jeppe Gustafsson/TT News Agency/picture alliance

Nach dem Willen von Ministerpräsident Ulf Kristersson soll in Schweden die Strafmündigkeit für schwere Verbrechen, darunter Mord und schwere Brandanschläge, von 15 auf 13 Jahre herabgesetzt werden. Im Oktober unterbreitete die Regierung einen entsprechenden Gesetzesvorschlag. Damit reagiert die schwedische Regierung auf einen Anstieg tödlicher Bandenkriminalität. Weil Minderjährige unter 15 Jahren nicht strafrechtlich verfolgt werden können, rekrutierten kriminelle Netzwerke nach Erkenntnissen der Ermittler verstärkt Kinder für Schießereien und die Lieferung von Waffen.

Zuvor hatte die Regierung in Stockholm angekündigt, in schwedischen Gefängnissen spezielle Hafteinrichtungen für 15- bis 17-Jährige zu schaffen. Der neue, verschärfte Gesetzesvorschlag sieht vor, diesen Plan um die Einrichtung von Jugendstrafvollzugseinrichtungen für 13- bis 14-Jährige zu erweitern. Bereits im kommenden Sommer sollen diese Einrichtungen jugendliche Straftäter aufnehmen können, so das schwedische Justizministerium.

Mit diesen Maßnahmen werde ein Schlupfloch geschlossen, das sich Banden zunutze machen, argumentiert die Regierung. Rechtsexperten, Kinderrechtsorganisationen und Sozialarbeiter warnen jedoch, dass durch eine solche Absenkung der Strafmündigkeit keine Straftaten verhindert, aber die Wiedereingliederung erschwert werden könnte.

Wie machen es andere EU-Länder?

Innerhalb der Europäischen Union gibt es große Unterschiede in Bezug auf das Alter, ab dem junge Menschen als strafmündig gelten. Während in Irland schon Zehnjährige strafmündig sind, ist dies in Portugal und Luxemburg erst ab 16 Jahren der Fall.

Trotz dieser Unterschiede werden Straftäter unter 18 Jahren in allen Ländern der Union in separaten Strafvollzugseinrichtungen untergebracht. Dort soll der Schwerpunkt nicht auf der Bestrafung, sondern auf Bildung und Wiedereingliederung liegen. Doch während die politische Debatte um Jugendkriminalität immer heftiger geführt wird, verwischt die Linie zwischen dem Schutz und der Strafverfolgung Minderjähriger zunehmend.

In Ländern wie Finnland oder Portugal, in denen die Strafmündigkeit erst später eintritt, liegt der Fokus klar auf der sozialen Wiedereingliederung. In anderen Ländern führt eine wachsende Besorgnis über jugendliche Gewalttäter zu Forderungen nach schärferen Vorschriften. Diese Entwicklung lässt sich zum Beispiel in Schweden und Deutschland beobachten.

Deutschland: Ruf nach schärferen Gesetzen

Im deutschen Strafrecht werden junge Menschen mit 14 strafmündig. Verhandlungen gegen Straftäter im Alter von 14 bis 17 Jahren werden vor Jugendgerichten geführt. Hier geht es statt um Haftstrafen vorrangig um Wiedereingliederung, Sozialstunden und Beratung.

Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, das Alter, ab dem Kinder strafrechtlich verfolgt werden können, herabzusetzenBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Abgeordnete der konservativen CDU von Bundeskanzler Friedrich Merz fordern ebenso wie rechtsextreme Politiker, schon Zwölfjährige strafmündig zu machen und weisen auf einen Anstieg jugendlicher Gewalt hin. In bundesweiten Kriminalitätsstatistiken ist die Zahl Minderjähriger, die der Beteiligung an Gewalttaten verdächtigt werden, 2024 um 11,3 Prozent gestiegen. Ihre Zahl liegt jedoch weiterhin deutlich unter denen der frühen 2000er.

Rechtsexperten und Kinderrechtler sprechen sich jedoch ebenso wie in Schweden gegen die Herabsetzung der Strafmündigkeit aus. Zuerst müsse untersucht werden, ob dadurch tatsächlich die Zahl minderjähriger Straftäter verringert werden könne und welche Auswirkungen die Herabsetzung des Alters auf Kinder habe, argumentieren einige von ihnen.

Bislang hat die deutsche Regierung wenig Interesse gezeigt, die Gesetzeslage zu ändern. Sie hält stattdessen an dem Ansatz fest, der schon lange ihre Philosophie der Jugendgerichtsbarkeit prägt: dem Fokus auf Wiedereingliederung. Doch die Debatte flammt immer wieder auf und eine Entscheidung Schwedens, die Strafmündigkeit herabzusetzen, könnte konservativen Politikern wieder Aufwind geben.

Irland: Strafmündig ab zehn

In keinem Land der EU ist die Strafmündigkeit so niedrig wie in Irland. Laut Jugendschutzgesetz liegt sie für die meisten Straftaten bei zwölf Jahren, bei besonders schweren Verbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung können Minderjährige bereits ab zehn Jahren strafrechtlich verfolgt werden.

In Irland sind schon Zehnjährige strafmündigBild: Artur Widak/NurPhoto/picture alliance

Organisationen wie UNICEF und der Europarat kritisieren diese Gesetzeslage und empfehlen, das Alter auf mindestens 14 anzuheben. Aktivisten in Irland weisen darauf hin, dass die aktuellen Gesetze modernen Kinderschutzstandards widersprechen, und fordern ebenfalls eine Heraufsetzung der Strafmündigkeit. Die irische Regierung verteidigt ihr Modell und verweist auf den Einsatz spezialisierter Jugendgerichte sowie auf Programme, die Bildung in den Vordergrund stellen, und eine opferorientierte Justiz. Angesichts des wachsenden internationalen Drucks wird jedoch eine Überarbeitung der Gesetze diskutiert.

Von Dänemark lernen

Das Beispiel Dänemark könnte eine Lehre sein. 2010 senkte die Mitte-Rechts-Regierung die Strafmündigkeit von 15 auf 14 Jahre. Zwei Jahre später machte die neue Regierung diese Änderung rückgängig. Untersuchungen hatten keinen Rückgang bei den von Vierzehnjährigen verübten Straftaten feststellen können. Stattdessen verdichteten sich die Hinweise, dass die Inhaftierung Minderjähriger die Rückfallquote erhöht. In Brüssel sehen das viele als Zeichen, dass strafrechtliche Reformen politische Zustimmung finden mögen, aber selten zu bleibenden Ergebnissen führen. 

Schweden: Kampf gegen Bandengewalt

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Die Frage, ab wann Minderjährige strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten, bleibt innerhalb der EU aufgeladen. Schwedens Bestrebungen passen zu einem breiteren Trend, Härte bei der Verfolgung jugendlicher Straftaten zu zeigen. Untersuchungen wie eine dänische Studie aus dem Jahr 2025 legen jedoch nahe, dass eine Kriminalisierung in jungen Jahren die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschweren kann. Auch Forschende in den USA haben festgestellt, dass die Inhaftierung Jugendlicher einer positiven Entwicklung von Kindern entgegensteht und häufig langfristige negative Auswirkungen hat.

In den EU-Staaten, die Abschreckung und Wiedereingliederung gegeneinander abwägen, liegt die wirkliche Herausforderung möglicherweise nicht in der Entscheidung, in welchem Alter die Strafmündigkeit einsetzen soll. Sondern darin, wie ihre Gesellschaften gefährdeten Kinder dabei helfen, nicht straffällig zu werden.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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