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Politik

Schweden nach der Wahl: Ratlos im Reichstag

Barbara Wesel
10. September 2018

Der Aufstieg der Rechtspopulisten und das Patt der beiden großen Blöcke im Reichstag wirbeln das eingespielte politische System in Schweden durcheinander. Es ist das Ende der Harmonie in der schwedischen Politik.

Schweden Wahlen Schwedendemokraten Jimmie Akesson Jubel
Bild: -picture alliance/DPR/A. Wiklund

Sensationsgetriebene Umfragen sahen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten schon mit einem Viertel der Stimmen an erster Stelle im schwedischen Parlament oder gar an der Regierung. Die Schweden wählten anders: Die Rechtsausleger haben zwar kräftig gewonnen, aber mit rund 17 Prozent der Wählerstimmen wachsen ihre Bäume noch nicht in den Himmel - auch wenn ihre siegesstrunkene Rhetorik das glauben machen will.

Umdenken bei den etablierten Parteien

In Schweden herrschte über Jahrzehnte ein eingespieltes System der politischen Bündnisse, in dem ein Mitte-Links-Block sich mit einem Mitte-Rechts-Block in schöner Eintracht an der Regierung abwechselte. Dabei hatten in der jüngeren Geschichte des Landes meist die Sozialdemokraten die Nase vorn.

Diese informelle Verabredung sorgte dafür, dass häufig Minderheitsregierungen die Geschicke des Landes bestimmten, die sich von der anderen Seite tolerieren ließen und dafür mit gewissen Kompromissen in der Gesetzgebung bezahlten. Das Ergebnis war eine konsensgetriebene Politik, die man auch harmoniesüchtig nennen könnte - wenn man diese Funktionsweise negativ betrachtet.

Nach der Wahl, mit einem Patt der beiden Blöcke, müssen die etablierten Parteien nun aber umdenken. Der Aufstieg der Schwedendemokraten zwingt sie, über die Lagergrenzen hinweg nach Gemeinsamkeiten zu suchen und möglicherweise eine neue Konstellation der politischen Mitte zu basteln. Sie könnten sich dabei an den Niederlanden orientieren, wo nach der Wahl im vergangenen Jahr eine ähnliche Situation entstanden war, als der Rechtspopulist Geert Wilders ein relativ gutes Wahlergebnis einfuhr.

Es dauerte acht Monate, bevor eine Gruppierung von Mitte-Rechts-Parteien in Den Haag eine Regierung bilden konnte. Der gelang es übrigens, durch die Isolation von Wilders seine Bedeutung in der niederländischen Politik zu minimieren. Heute ist er bedeutungslos, wenn auch inzwischen neue Gruppen auf der extremen Rechten entstanden sind. Von diesem Beispiel könnte man in Stockholm lernen, eingefahrene politische Muster zu durchbrechen und neue Koalitionen zu schmieden, die auch dem Willen der Wähler möglicherweise mehr entsprechen als das bisherige Lagerdenken.

Hält die Firewall?

Alle etablierten Parteien haben während des Wahlkampfs versprochen, mit den Schwedendemokraten kein Bündnis eingehen zu wollen. In den letzten Wochen allerdings gab es hier und da Äußerungen aus kleineren Parteien, die doch mit solchen Ideen zu liebäugeln schienen. Die größeren Parteien sollten sie bei der Regierungsbildung vor solchen Experimenten warnen. Immerhin haben rund 83 Prozent der Schweden nicht für die Rechtsausleger gestimmt.

Ende des Blockdenkens? Wahlzettel in einem Stockholmer WahllokalBild: Reuters/I. Kalnins

In der öffentlichen Darstellung und im Spiegel der Medien gelingt es den Rechtsparteien häufig, den Luftraum über den Stammtischen des öffentlichen Diskurses zu besetzen. Es liegt an den Altparteien, die rechten Stimmen auf das richtige Maß zurückzudrängen. Über Fehler der Vergangenheit muss offen geredet werden; das Land braucht mehr Polizisten, mehr Lehrer und eine andere Art der Integrationspolitik. Dennoch können sich die Schweden klar machen, dass sie - bei einigen berechtigten Sorgen - immer noch in einem der reichsten und sichersten Länder der Welt leben.

Vorsicht, die Schwedendemokraten sind gefährlich

Ein Teil des Erfolges von Parteichef Jimmy Akesson liegt zweifellos in seiner Kunst der Außendarstellung. Er kommt daher wie eine Mischung aus erfolgreichem Anwalt und Schwiegermutters Liebling. Er ist gut gescheitelt und angezogen, lächelt gewinnend und hat seine Rhetorik so weit gemäßigt, dass sie vielen Schweden kaum noch als rechtsradikal oder gefährlich erscheinen mag.

Schwiegermutters Liebling, oberflächlich entgiftet: Jimmie AkessonBild: picture-alliance/NurPhoto/J. Reinhart

Akesson hat es geschafft, seine Partei oberflächlich zu entgiften und so darzustellen, als ob dahinter eine "normale" politische Bewegung steht. Die Schwedendemokraten allerdings haben ihre Wurzeln in der Neonaziszene, sie kommen aus einem dunklen brauen Untergrund, der seit den 80er Jahren an der Rändern der schwedischen Politik agierte. Akkesson leugnet zwar heute, dass seine Ideologie rassistisch oder islamfeindlich sei, aber es gibt genug Zitate von ihm auch aus jüngerer Vergangenheit, die das Gegenteil belegen. Und unter den Mitgliedern der Partei findet sich genug rechtsradikales Gedankengut, um größte Vorsicht gegenüber einem weiteren Aufstieg der Schwedendemokraten zu empfehlen.

Schweden wurde später als andere europäische Länder vom neuen Nationalismus und einer Identitätspolitik eingeholt, die fremden-und europafeindlich ist und, ähnlich wie ihre Gesinnungsfreunde in Ungarn, Polen und Italien, die Forderung "Schweden zuerst" auf ihre Fahnen schreibt. Die Schwedendemokraten stehen im völligen Gegensatz zu der auf Harmonie und Ausgleich bedachten politischen Kultur des Landes. Die Auseinandersetzungen im Reichstag in Stockholm werden härter und schonungsloser werden. Und die etablierten Parteien müssen aus ihrer Komfortzone herauskommen, um sich mit den Unsicherheiten und Ängsten ihrer Bürger aktiv auseinander zu setzen.

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