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Politik

Im Schatten der eigenen Vergangenheit

Richard Orange jv
8. September 2018

Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten könnten bei den Parlamentswahlen bis zu ein Fünftel der Wählerstimmen gewinnen. Aber können sie sich auch von ihrem Neonazi-Image befreien? Richard Orange berichtet aus Malmö.

Schweden Rechtspopulisten
Bild: DW/R. Orange

Jimmie Akesson, der 39-jährige Parteivorsitzende der Schwedendemokraten (SD), nimmt das Mikro in die Hand - und sofort beginnen die Sprechchöre: "Keine Rassisten auf unseren Straßen!" Auf Schildern aus Pappe steht "Halt die Klappe, du verdammter Rassist" und "SD: Nazis 1988, Nazis 2018" Die überwältigende Mehrheit derer, die gekommen sind, um Akessons Rede zu hören, sind das, was der Parteichef "helt vanlight folk" nennen würde, ganz normale Menschen.

Es sind nicht nur die Demonstranten, die die Partei und ihre Mitglieder Nazis nennen. Auch Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven bezeichnet die Partei als "neofaschistische Einheitspartei" mit "nationalsozialistischen und rassistischen Wurzeln". Die Anhänger der Partei wissen, dass dieses Stigma ein Problem ist.

"Mit manchen Leuten kann es schwierig werden", sagt U.C. Nilsson, ein 16-jähriger Schüler, der mit einigen Klassenkameraden gekommen ist, um die Schwedendemokraten zu unterstützen: "Du bekommst oft ziemlich harte Gegenreaktionen, weil manche Leute die Politik nicht mögen. Aber ich denke, sie ist gut für Schweden: wir können nicht so viele Migranten aufnehmen."

SD befürwortet "kulturellen Nationalismus”

Im Vergleich mit anderen populistischen Parteien Europas ist die Ideologie der Schwedendemokraten weniger extrem. Die SD steht für einen "kulturellen Nationalismus", der allen offen steht, egal, wo sie geboren sind oder welche Hautfarbe sie haben.

Gleichzeitig fordert die Partei, die Einwanderung nach Schweden stark einzuschränken. Das Land solle nur Flüchtlinge aus Dänemark, Norwegen und Finnland aufnehmen. Zudem befürwortet die SD strengere Regelungen bei der Vergabe von Arbeitsgenehmigungen.

Die Schwedendemokraten zeichnen sich allerdings auch dadurch aus, dass sie ihre Wurzeln in der schwedischen Neonazi-Bewegung haben. Selbst Mattias Karlsson, Fraktionsvorsitzender und ideologischer Kopf der Partei, räumt ein, dass viele Gründungsmitglieder aus der offen rassistischen Gruppe "Bevara Sverige Svenskt", zu deutsch etwa "Schweden bleibt schwedisch", stammen. "Aber diese Organisation wurde 1986 aufgelöst und die SD 1988 gegründet", betont Karlsson. Die SD sei demnach keine Nachfolge-Organisation der Gruppe.

Gustaf Ekström, bei der Gründung Kassenwart der Partei, war ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS. Anders Klarstrom, der erste Parteichef, hatte sich in der neonazistischen "Nordischen Reichspartei" engagiert

Wolf im Schafspelz?

Seit Akesson 2005 die Parteiführung übernommen hat, bemüht er sich um Reformen und einen Imagewandel; trotzdem bleibt die Frage, ob die Partei nicht nach wie vor durch ihre ideologischen Ursprünge gefärbt ist.

"Wir sind in dieser Hinsicht entschieden und kompromisslos", sagt der Fraktionsvorsitzende Karlsson. "Sobald wir Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bemerken, schließen wir die entsprechenden Mitglieder sofort aus."

Julia Kronlid ist überzeugt, dass die Wähler die Positionen der SD allmählich zu schätzen wissenBild: DW/R. Orange

Julia Kronlid, die ranghöchste Frau in der Parteiführung, findet, das Rassisten-Stigma sei weniger verbreitet als noch vor einem Jahrzehnt, als sie sich als Unterstützerin offenbarte. "Als mein Mann und ich in der Kirche erzählten, dass wir uns der SD anschließen, sind die Leute fast an ihrem Kaffee erstickt", sagte Kronlid. "Aber jetzt schätzen sie mein Engagement, und einige von ihnen wollen sich ebenfalls der Partei anschließen."

Cecilia Bladh stammt aus der gebildeten Mittelschicht und ist ebenfalls SD-Politikerin. Sie beklagt, dass Menschen, die die SD unterstützen, immer noch Gefahr laufen, deshalb Schwierigkeiten mit ihren Arbeitgebern zu bekommen. "Ich hoffe, dass sich das ändern wird. Denn wenn wir ein Fünftel der schwedischen Bevölkerung [hinter uns] haben, vielleicht sogar ein Viertel, dann kann es nicht so weitergehen", sagt sie. "Irgendwo ist Schluss."

Nazi-Wurzeln verfolgen Schwedendemokraten

Dass sich das Nazi-Stigma so hartnäckig hält, liegt unter anderem daran, dass viele Mitglieder eindeutig Rassisten sind. Erst vergangene Woche enthüllte die schwedische Zeitung "Expressen", dass ein lokaler SD-Politiker in einer geschlossenen Facebook-Gruppe über "die jüdische Pest" geschrieben hatte. Weiter hieß es dort, dass "Hitler sich in Bezug auf die Juden nicht geirrt hat". Solche rassistischen Kommentare in geschlossenen Foren oder auf der russischen Social-Media-Webseite VK zu posten, sei typisch für SD-Aktivisten, sagt der Autor des Zeitungsartikels, David Baas. "Sie haben zwei Gesichter. Auf ihren öffentlichen Facebook-Profilen würden sie solche Dinge nicht schreiben. Auf VK posten sie allerdings etwas völlig anderes", sagt er.

Expressen und die antifaschistische Zeitschrift "Expo" berichteten außerdem, dass mindestens acht der aktuell zur Wahl stehenden SD-Politiker ehemalige Mitglieder neonazistischer Organisationen sind. Eine dieser Gruppen zahlte noch 2016 Mitgliedsbeiträge an die gewaltbereite und antisemitische "Schwedische Widerstandsbewegung".

Andreas Olofsson kämpft für die Schwedendemokraten in Klippan, eine Stadt nahe Malmö. In den späten 90er Jahren leitete Olofsson die Ortsgruppe der neonazistischen Nationalsozialistischen Front (NSF). "Es war eine sehr traurige Zeit für mich", sagte der Politiker. "Ich war jung und dumm. Ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch."

Keine Toleranz gegenüber Rassismus?

Die Partei behauptet, den Hintergrund aller Kandidaten zu überprüfen. In Klippan ist Olofssons Vergangenheit allerdings nicht nur bekannt, sie wurde ihm auch weitgehend verziehen. Jonathan Leman, der an den im Expo-Magazin veröffentlichten Enthüllungen mitgewirkt hat, sieht dies als Beweis dafür, dass die Null-Toleranz-Politik "nicht in der Partei verwurzelt" sei. "Sie sprechen lieber mit Menschen wie dir über ihre Null-Toleranz-Politik, als sich an die eigenen Leute zu wenden und sicherzustellen, dass diese Politik auch tatsächlich gelehrt und durchgesetzt wird", sagt Leman.

Ricky Lowenborg beharrt darauf, dass die Schwedendemokraten keine Nazis sindBild: DW/R. Orange

In Malmö verliert Ricky Lowenborg, ein SD-Anhänger im Fußballtrikot und mit einem verblassten Tattoo im Nacken, langsam die Geduld. Akessons Rede wird immer wieder von den Sprechchören übertönt. "Nazis?", bellt er und wühlt sich durch die Menge in Richtung Demonstranten. "Die Sozialdemokraten sind Nationalsozialisten!" Ein Polizist fixiert ihn mit einem warnenden Blick, Lowenborg zieht sich zurück. "Mein Steuergeld geht an diesen Abschaum da drüben", murmelt er, als er zurückkehrt. "Deshalb bin ich wütend."

Im Hintergrund spricht Akesson von Immigranten, die "riesige Moscheekomplexe mit riesigen Minaretten überall bauen" wollen. Als Lowenborg hört, dass der DW-Reporter aus England kommt, beginnt er über einen islamfeindlichen Film der Alt-right-Bewegung zu sprechen, den er gesehen hat. "Es ist wirklich schlimm mit den Muslimen da drüben, wie ich höre. Muslime übernehmen die Macht." 

Er denkt über sich selbst nach. "Wir sind keine Nazis", sagt er mit aller Entschlossenheit. "Die denken, wir sind Nazis, aber das sind wir auf keinen Fall. Ich bin kein Rassist, ich hoffe, du schreibst das auf. Ich bin mit einer Filipina verheiratet. Ich liebe fremde Menschen."

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