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PolitikAfrika

Schweigt die EU zu Westafrikas Krisen?

Martina Schwikowski
3. November 2020

Umstrittene Wahlen in der Elfenbeinküste und Guinea, Gewalt in Nigeria: Viele Menschen vor Ort hoffen auf Unterstützung durch das Ausland, doch die Europäische Union hält sich öffentlich zurück. Dafür gibt es Gründe.

Sicherheitskräfte in der Elfenbeinküste
Am Wahltag kam es in der Elfenbeinküste zu AusschreitungenBild: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images

Eigentlich sollte er gar nicht mehr antreten: Alassane Ouattara, Präsident der Elfenbeinküste, wollte jedoch eine dritte Amtszeit. Mithilfe eines juristischen Kniffs trat er wieder an, auch gegen den erbitterten Willen der Opposition. Mit Erfolg: Laut Wahlkommission erhielt er bei der Abstimmung vergangenen Sonntag (31.10.) mit über 94 Prozent der Stimmen. Doch damit ist die Krise längst nicht vorbei: Die Opposition erkennt die Ergebnisse nicht an. Schon im Wahlkampf hatte es gewaltsame Proteste mit Toten und Verletzten gegeben.

Doch die EU reagiert zurückhaltend. Man nehme die Ergebnisse zur Kenntnis, teilte der Außenbeauftragte Joseph Borrel in einer Stellungnahme mit. "Die EU erwartet von allen Beteiligten, einen Beitrag dazu zu leisten, die Lage zu beruhigen und den Dialog wieder aufzunehmen (…) und Versöhnung durch konkrete Maßnahmen zu fördern", hieß es fast flehentlich weiter.

Mahnende Worte, keine Taten

Ähnlich in Guinea: Dort ließ der 83-jährige Präsident Alpha Condé die Verfassung ändern, trat noch einmal an und gewann. Auch dort kam es zu gewaltsamen Protesten und Vorwürfen, die Wahl sei manipuliert worden. Doch die EU beließ es bei mahnenden Worten: Es gebe Fragen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Abstimmung, hieß es diplomatisch-zurückhaltend aus Brüssel. 

In Mali bildet die EU lokale Sicherheitskräfte ausBild: Imago Images/photothek/T. Wiegold

Ein ähnliches Szenario zeigt sich in Nigeria: Dort kam es in den letzten Wochen immer wieder Massenproteste vor allem junger Menschen gegen die korrupte Regierung, Polizeigewalt und Unterdrückung. Die Polizei reagierte teils mit brutaler Gewalt, mindestens 12 Demonstranten starben bisher. Die EU zeigte keine bislang Reaktion.

Brüssel setzt auf regionale Lösungen

Viele Menschen in den betroffenen Ländern ärgern sich über die Passivität der internationalen Gemeinschaft. "Diese Gleichgültigkeit lässt sich dadurch erklären, dass die internationale Gemeinschaft nicht über eine bestimmte Linie der Einmischung hinausgehen will", sagt Ramadan Diallo, Politikwissenschaftler an der Universität Sonfonia-Conakry in Guinea zur DW. Sein bitteres Fazit: "Wir werden von nun an mehr auf interne Ressourcen zurückgreifen müssen, um die Probleme lösen zu können. Deshalb sollten wir von dieser internationalen Gemeinschaft nicht viel erwarten. Jedenfalls in Anbetracht ihrer Haltung."

Die EU mische sich durchaus in afrikanische Krisen ein, lautet dagegen das Fazit des deutschen Afrikawissenschaftlers Robert Kappel. Zum Beispiel mit einer Ausbildungsmission für lokale Sicherheitskräfte im westafrikanischen Mali. Außerdem unterstützt die EU eine regionale Truppe, mit denen die Sahelländer Extremisten bekämpfen wollen. 

Dass sie sich bei den Wahlen in der Elfenbeinküste öffentlich zurückhält, hat laut Kappel einen einfachen Grund: "Die EU vertraut inzwischen darauf, dass sich die regionalen Kräfte wie die [regionale Staatengemeinschaft] ECOWAS dort einigen", sagt er zur DW.

Im März stelle EU-Außenkommissar Borrell die neue Afrikastrategie vorBild: picture-alliance/Zuma/N. Landemard

Die hat bei mehreren politischen Krisen in der Region erfolgreich interveniert, unter anderem 2017 in Gambia und 2013 in Mali. Eine Einmischung der EU komme dagegen bei afrikanischen Regierungen längst nicht immer gut an, so Kappel. Ein Beispiel: Verschiedene Regierungen lehnen den Internationalen Strafgerichtshof als Instrument westlicher Einflussnahme ab. Daher halte sich die EU bei solchen Konflikten öffentlich stärker zurück.

Gemeinsame Erklärung und Wahlbeobachter

Hinter den Kulissen sei das anders, sagt Thilo Schöne, Landesvertreter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in der Elfenbeinküste. "Die EU gehört in den letzten Wochen und Monaten zu den entscheidenden Akteuren bei den Vermittlungen zwischen Regierung und Opposition", so Schöne zur DW. Botschafter mehrerer EU-Mitgliedstaaten hätten sich erneut in Gesprächen bei der Regierung dafür stark gemacht, sagt er im DW-Interview.

Es gebe auch eine sehr seltene außenpolitische Erklärung der EU-Kommission und aller Mitgliedsstaaten zur Lage. Außerdem hatte die EU Wahlbeobachter entsandt, wegen der Corona-Pandemie fiel die Mission allerdings deutlich kleiner aus als bei anderen Abstimmungen. 

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit AU-Chef FakiBild: picture-alliance/Anadolu Agency/M. Wondimu Hailu

Laut Schöne finanziert die EU auch umfangreiche Berichte zu den Wahlen und zur Friedenssicherung. Sie tue aber gut daran, sich nicht in interne Konflikte einzumischen, und damit den Anschein zu geben, als westliche Macht Partei zu ergreifen.

Eine solche Wende scheint die EU momentan vollziehen zu wollen. Im März stellte die Kommission eine neue Afrikastrategie vor. Darin betont sie auch die Bedeutung von Frieden und Sicherheit auf dem Nachbarkontinent. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe sei gefragt, betont Robert Kappel. Das bedeute auch: Mehr eigene Verantwortung der afrikanischen Regierungen.

"Man setzt viel stärker als bisher auf die Unterstützung der afrikanischen Seite, des Militärs und der Zivilgesellschaft und nimmt Abschied von militärischen Interventionen." Die Einsicht sei vorhanden, dass die Militäreinsätze in den letzten Jahren nicht erfolgreich waren. Der neue EU-Ansatz sei daher dringend nötig, so Kappel: Um Frieden herzustellen und Demokratie zu sichern, müssten die Selbstheilungskräfte unterstützt werden.