Angst vor dem Designer-Baby
14. Juni 2015Mit toten Babys macht man normalerweise keine Werbung. Und doch wird auf diese drastische Art und Weise in der Schweiz über die Präimplantationsdiganostik (PID) debattiert. Die Werbekampagne des konservativen "Komitee nein zur PDI" wirft ein Schlaglicht auf die emotional geführte Debatte. Unter der Überschrift "Von 40 Embryonen überlebt nur 1" sind auf vierzig Fotos Babys abgebildet. Die meisten sind durchgestrichen oder mit einem Kreuz versehen. Nur neben einem findet sich ein grüner Haken. Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, in denen die PID noch nicht erlaubt ist. Die Zeichen stehen allerdings auch hier auf Wandel. Schon im November 2014 hatte das Parlament eine weitgehende Liberalisierung des "Fortpflanzungsmedizingesetzes" beschlossen. Allerdings muss dazu auch die Bundesverfassung geändert werden. Und in solchen Fällen haben die Schweizer Bürger das letzte Wort.
Zwischen Fortschritt und Wertvorstellungen
Professor Thomas Katzorke, Leiter des Zentrums für Reproduktionsmedizin in Essen, erklärt im DW-Gespräch, was bei der PID geschieht. In einem ersten Schritt werde dem Embryo in einem sehr frühen Stadium eine Eizelle entnommen. "Diese Zelle wird dahingehend untersucht, ob sie genetisch intakt ist." Aufgrund dieses Ergebnisses, so Katzorke weiter, könne man Rückschlüsse auf die Gesundheit des Embryos ziehen. Dadurch könnten Krankheiten und Genmutationen wie Trisomie 21 frühzeitig erkannt werden.
Segnung der Forschung für die einen, ethisch verwerflich für die anderen: Die Kritiker in der Schweiz fürchten vor allem, dass durch ein "Ja" an diesem Sonntag der Weg freigemacht wird für eine Selektion zwischen "wertvollem" und "minderwertigem" Leben. "Wir wollen die Selektion von Menschen verhindern", betont Dirk Meisel vom "Komitee Nein zur PID" im DW-Gespräch. Tatsächlich ist es mit der PID möglich, eine genetische Vorauswahl zu treffen: "Damit kann man im weitesten Sinne natürlich auch bestimmte genetische Erscheinungen untersuchen", bestätigt Katzorke. Er gibt zu, dass das einer "Zuchtauswahl bestimmter Embryonen" nahe komme.
Kaum wissenschaftliche Erkenntnisse
Falls die Schweizer mit "Nein" votieren, wären solche Möglichkeiten erst einmal vom Tisch. Die Debatte betrifft zunächst auch nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung: Unter den jährlich 80.000 Neugeborenen in der Schweiz sind nur etwa 2000 Babys, die durch künstliche Befruchtung auf die Welt kommen.
Dirk Meisel sieht in dem Gesetz allerdings ein Einfallstor für die Einführung des "Designer-Babys". Die Angst: Eltern würden sich in Zukunft perfekte Kinder selbst "zusammenstellen". Er sieht außerdem die Gefahr, dass als Folge der PID unzählige eingelagerte Embryonen langfristig vernichtet würden. Dies würde auch einen Verstoß gegen die Schweizer Verfassung nach sich ziehen: Denn sie legt ausdrücklich den Schutz von Embryonen fest.
Neben moralischen Bedenken sieht er auch medizinische Beweise auf seiner Seite: "Laut den Befürwortern erhöht die PID die Erfolgschancen bei der Behandlung kinderloser Paare. Verschiedene internationale Studien belegen das Gegenteil." So sinke die Geburtenrate bei künstlicher Befruchtung bei Anwendung der PID sogar, so Meisel weiter, "da dabei zahlreiche Embryonen geschädigt werden".
Schützenhilfe bekommt er vom Europäischen Dachverband für Reproduktionsmedizin (ESHRE), einer Fachgesellschaft, die sich der Reproduktionsmedizin und Embryologie verschrieben hat. "Die Vorteile von PID sind immer noch nicht wissenschaftlich erwiesen", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Bisher gebe es "wenig Erfahrungen", erklärt auch Thomas Katzorke. In Deutschland sei die PID zwar schon seit 2011 erlaubt, aber "jeder Fall müsse einer Ethik-Kommission" vorgestellt werden. Das dauert. Dennoch kann Katzorke die harte Kritik an der PID nicht nachvollziehen: "Als Arzt ist unser Auftrag, Krankheiten zu heilen, oder das Gesunde zu fördern. Nicht mehr und nicht weniger." Wenn man alles so streng sähe, so der Professor weiter, "müsste man die gesamte Humangenetik in Frage stellen".