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Bergrutsch: Schweizer Alpendorf Brienz vor neuer Evakuierung

11. November 2024

Wieder müssen die Menschen im Bergdorf Brienz in der Schweiz eilig das Wichtigste zusammenpacken und sich darauf vorbereiten, dass eine Gerölllawine ihr Zuhause zerstören könnte. Bei manchen liegen die Nerven blank.

Die Kirche in Brienz-Brinzauls, dahinter eine hoher Hang voller Geröll, das beim Felsrutsch am 15. Juni 2023 den Berg herabrutschte
2023 verschonte der Berg das Dorf, wenn auch nur knapp - doch nun bedroht er die Ortschaft wieder mit einer GerölllawineBild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/picture alliance

Die Bedrohung ist gewaltig: Gut 1,2 Millionen Kubikmeter Felsschutt könnten in Kürze talwärts stürzen und das Bergdorf Brienz in den Schweizer Alpen unter sich begraben. Und sie könnte sich rasch zu einer tödlichen Gefahr auswachsen. Aktuell bewegt sich das Geröll pro Tag rund 25 Zentimeter in Richtung Tal.

Niederschläge oder Felsstürze im Bereich der Schutthalde könnten die Geschwindigkeit auf 80 Kilometer pro Stunde oder mehr erhöhen, erklärte der Geologe Stefan Schneider auf einer Informationsveranstaltung am Samstagabend den rund 90 Einwohnerinnen und Einwohnern. Solch ein Schuttstrom sei zwar derzeit nicht wahrscheinlich, aber wenn er eintrete, seien rechtzeitige Warnungen kaum mehr möglich.

Schweizer Alpendorf Brienz könnte monatelang evakuiert bleiben

Daher müssten sich die Menschen in Brienz darauf vorbereiten, schon in den kommenden Tagen ihre Häuser zu verlassen und im schlimmsten Fall mehrere Monate lang nicht mehr zurückkehren zu können.

Bedrohte Idylle: das Bergdorf Brienz in den Schweizer Alpen nach dem Abgang eines Schuttstroms im Jahr 2023 Bild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/picture alliance

"Bereiten Sie sich bitte umgehend darauf vor", mahnte Pascal Porchet, Leiter des Amts für Militär und Zivilschutz im Kanton Graubünden die Betroffenen. Neben Gepäck für Alltag und Arbeit und allen wichtigen Dokumenten sollten die Brienzerinnen und Brienzer auch das einpacken, "was Versicherungen oder Geld nicht ersetzen können, also die Dinge, die Ihnen einfach persönlich wertvoll sind."

Wie gehen die Menschen in Brienz mit der Bedrohung um?

"Seit heute morgen herrscht innerlich ein Gefühl von Angst, oder sagen wir vielleicht Unsicherheit", gesteht Arnold von Allem, der ein Haus in Brienz hat, dem Schweizer Rundfunk (SRF). Am Samstagmorgen hatten die Behörden die Betroffenen per SMS, E-Mail und auf der Social-Media-Plattform X (ehemals Twitter) über die akute Gefahrenlage informiert. Man habe weniger Angst um das eigene Leben, sagte Landwirt Ursin Bonifazi dem SRF, aber: "Wir haben Angst, vor der Evakuierung - und vor dem ganzen Prozess haben wir Angst."

Für Landwirte, die wie Bonifazi auch Tiere haben, ist die Evakuierung besonders aufwendig. Denn das Vieh muss nicht nur von den Weiden oder aus den Ställen geholt und abtransportiert werden - es müssen auch neue Unterbringungsmöglichkeiten gefunden werden.

Auch für Kühe und andere Tiere muss im Fall einer Evakuierung eine neue Unterkunft herBild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Genau wie für die Menschen aus Brienz. Zwar könnten Gemeinde und Kanton bei der Wohnungssuche helfen, betont Jörg Marguth von der Hotline, die für die Betroffenen eingerichtet wurde. Priorität habe aber die Selbsthilfe.

Im Mai 2023 mussten die Bewohnerinnen und Bewohner das Bergdorf schon einmal verlassen. Damals drohte eine Felsrutschung. Das Gebiet blieb wochenlang gesperrt. Und tatsächlich donnerte im Juni 2023 dann ein gewaltiger Strom aus Fels und Geröll den Berg hinunter - und stoppte nur wenige Meter vor dem alten Schulhaus.

Die Häuser von Brienz blieben verschont. Doch Wiesen und eine Straße lagen teils meterhoch unter Geröll und Schutt begraben. In Juli 2023 dann konnten die Menschen in ihren Ort zurückkehren.

Bergdorf rutscht 2,40 Meter pro Jahr in Richtung Tal

Und nun droht sogar eine vermutlich noch größere Gefahr. Denn während die Schuttmassen im Jahr 2023 während einer Trockenperiode abgingen, sei das Geröll nach dem vielen Regen in diesem Jahr und den jüngsten Herbstniederschlägen nun nass und könnte daher deutlich weiter ins Dorf hinein gelangen, sagt Geologe Schneider. Zwar wird derzeit für 40 Millionen Franken ein Entwässerungsstollen unterhalb des Dorfs gebaut, um das Abrutschen des Bergs von Brienz zu verlangsamen. Doch dieser ist eben noch nicht fertig.

Brienz liegt in der Nähe von Davos, wo alljährlich das Weltwirtschaftsforum stattfindet, auf einer Höhe von rund 1150 Metern. Der Berg oberhalb des Dorfes bewegt sich schon seit langem - Risse in den Häusern und die Neigung des Kirchturms erzählen davon. 2,40 Meter pro Jahr rutscht der Grund unter dem Dorf ins Tal hinab.

Die Nerven in Brienz liegen blank

"Das sind 20 Zentimeter pro Monat", sagt ein Teilnehmer der Informationsveranstaltung. Die Schäden, die das verursache, nähmen laufend zu: "Türen die nicht mehr schließen, Kanalisation die nicht mehr funktioniert, Wände, Decken, Böden zerrissen - das ist meine Realität."

Informationsabend über die aktuelle Lage in Brienz: Viele Menschen sind verunsichert und fürchten um ihre ExistenzBild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/picture alliance

Er beklagt, dass es zwar eine Versicherung gebe, doch die zahle nur im Fall eines Totalschadens: "Sicherheit heißt nicht nur Überleben, sondern auch emotionale und existenzielle Sicherheit, und wenn mein Haus, in dem ein Teil meiner Altersvorsorge steckt, den Bach runtergeht, dann habe ich keine existentielle Sicherheit."

Ist der Klimawandel für die Bedrohung von Brienz verantwortlich?

Der Klimawandel verstärke die Erosion, ist als Online-Kommentar unter der Berichterstattung einer Schweizer Zeitung zur aktuellen Lage in Brienz zu lesen. Das trifft im Fall von Brienz allerdings nicht zu. Zwar taue im Zuge des menschengemachten Klimawandels auch in den Alpen der Permafrost, erklärte der Geomorphologe Michael Dietze von der Universität Göttingen im SRF bereits nach der Felsrutschung Mitte 2023. Doch das spiele sich in einer Höhe von etwa 3000 Metern ab. Brienz liege zu niedrig, als dass dies eine Ursache für das Rutschen des Bergs sein könnte.

Dennoch: Die Schweiz sei in Bewegung, sagte Dietze. Vor allem in den Höhenlagen veränderten sich die Prozesse an der Erdoberfläche. Zwar wachse wegen der steigenden Temperaturen nun auch in höheren Lagen Wald und das sorge für mehr Stabilität. Gleichzeitig aber taue der Permafrost. Und das wiederum führe zu mehr Aktivität zwischen den Felsschichten in höheren Lagen.

Die Alpen bröckeln

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Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen
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