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Schweiz: Frühwarnsystem sagte Gletschersturz voraus

31. Mai 2025

Erfolgreiche Prävention: Erdrutsche vorherzusagen ist kaum möglich. In der Schweiz ist es - dank Frühwarnsystem - gelungen, fast alle Bewohner aus dem Dorf Blatten vor dem verheerenden Gletscherabbruch zu retten.

Schweiz Wallis 2025 | Luftaufnahme zeigt Zerstörung nach Gletscherlawine in Blatten
Die Gerölllawine hat das Schweizer Dorf Blatten verschüttet und Bäche zu einem See aufgestaut.Bild: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa/picture alliance

Der zerstörerische Erdrutsch in Blatten ist die jüngste, aber nicht die erste derartige Naturkatastrophe, die eine Talgemeinde in der Schweiz getroffen hat. Am Mittwoch verschüttete eine gigantische Eis-, Fels- und Gerölllawine weite Teile des Dorfes in den Alpen.

Dadurch gestaute Bachläufe mussten freigebaggert werden, um eine Flutwelle zu verhindern. Eine Person wird vermisst, die Suche nach ihr wurde inzwischen eingestellt.

Dennoch gilt das Frühwarnsystem der Schweiz als Erfolgsgeschichte. Denn die meisten Bewohner konnten dank frühzeitiger Warnungen vor einem möglichen Erdrutsch rechtzeitig evakuiert werden.

Nationale Gefahrenkarten retten Leben

Dafür setzen die Behörden eine breite Palette von Technologien und Methoden ein, um Risiken zu bewerten, die Leben und Eigentum bedrohen könnten. Dazu gehören die Kartierung des Geländes und die kontinuierliche Überwachung von Niederschlägen, Grundwasserständen, tektonischen Verschiebungen, Bodenbewegungen und der Permafrostschmelze.

Diese Daten ermöglichen es den Behörden, landesweit Gefahrenkarten zu führen, erklärt Brian McArdell, Geomorphologe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL): "Jede Gemeinde in der Schweiz, die von einer Gefahr betroffen ist, hat eine Gefahrenkarte. Sie sind für die Gebiete, in denen die Menschen leben, vom Bund vorgeschrieben."

Der Erdrutsch von Blatten war besonders

Im Fall von Blatten hatten die Behörden Alarm geschlagen, nachdem ein Felssturz in der Nähe den Birchgletscher destabilisiert hatte. In Kombination mit sommerlichen Temperaturen brach der Gletscher ab, rauschte den Berg hinunter und riss weiteres Geröll mit sich.

"Wenn Felsen und Eis zusammenschlagen, verflüssigt sich ein Teil des Eises", sagt Daniel Farinotti, Glaziologe an der ETH Zürich, der DW. Was dann im Dorf ankam, war ein Schlamm aus Eis, Wasser und Sedimenten - ein sogenannter Murgang.

"Die schiere Größe, die Menge an Material, die dort bewegt wurde, ist etwas, das man nicht jeden Tag, nicht jedes Jahr, nicht jedes Jahrzehnt in der Schweiz sieht", sagte Farinotti über den Gletschersturz von Blatten. "Es ist ein historisches Ereignis."

Weltweit sind Bergregionen gefährdet

Steile Hänge, instabiles Gelände in Kombination mit hohen Niederschlagsmengen oder schmelzenden Gletschern oder Permafrostböden machen Bergregionen besonders anfällig für Erdrutsche und Lawinen.

Für Talgemeinden in der Schweiz kann die Gefahr eines Bergrutsches bedeuten, dass ganze Ortschaften evakuiert werden müssen. Nach dem Erdrutsch von Blatten sind mehrere Gemeinden in der Nähe weiterhin in Alarmbereitschaft, auch wegen möglicher Überschwemmungen.

Das Dorf Brienz entging 2023 knapp der Katastrophe: Die Gerölllawine, die abging, erreichte das Dorf nicht.Bild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/picture alliance

Brienz, ein Dorf rund 41 km nördlich von Blatten, bereitet sich ebenfalls auf eine mögliche Evakuierung vor - schon wieder. Der Ort wurde bereits 2023 evakuiert und nur knapp von einer Gerölllawine verfehlt. Seither gab es weitere Warnungen.

"Ein Murgang kann ganz plötzlich auftreten und ist sehr, sehr gefährlich", sagt Experte McArdell. Zu den Regionen mit den meisten erdrutschbedingten Todesopfern weltweit gehören der Himalaya, Teile Mittel- und Südamerikas, Italien und der Iran.

Die Vorhersage von Erdrutschen bleibt eine Herausforderung

Wirklich vorhersagen lassen sich solche Erdrutsche nicht. Prognosen sind eher "probabilistisch" als präzise, sagte der Geomorphologe Fausto Guzzetti, der früher für das italienische Institut für Angewandte Mathematik und Informationstechnologien (IMATI) tätig war. Das heißt: Sie geben die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses innerhalb eines bestimmten Zeitraums an.

"Wir können Vorhersagen für ein allgemeines Gebiet, eine Gemeinde oder ein Wassereinzugsgebiet treffen", so Guzzetti. Die Überwachung von Erdrutschen sei noch schwieriger als die von Erdbeben und Überschwemmungen.

Während Erderschütterungen mit seismischen Instrumenten registriert und Überschwemmungen schnell visuell erkannt werden können, bleiben die meisten Erdrutsche unbemerkt. Dadurch fehlen empirische Daten, aus denen sich Prognosen ableiten ließen, erklärt Guzzetti: "Zehntausende von Erdrutschen werden einfach nicht gemeldet. Wir wissen nicht, wo sie sind, und das erschwert die Vorhersage.

Selbst kleine Erdrutsche - nur wenige Meter lang - können schreckliche Folgen haben, insbesondere wenn sie große Trümmerteile mit sich führen oder in der Nähe von Häusern oder Straßen auftreten. "Ein Pflasterstein, der ein Auto oder einen Fußgänger auf der Straße trifft, kann tödlich sein", sagte Guzzetti.

Es wird erwartet, dass durch den Klimawandel die Niederschläge in den Bergregionen zunehmen werden, was wiederum zu häufigeren kleineren Erdrutschen führen würde.

Weltweite Initiativen für Frühwarnysteme

Doch es gibt Bestrebungen, das zu ändern und die internationale Überwachung und die Vorbereitung auf Erdrutsche und Gletscherschmelzen zu verstärken. Derzeit findet in Tadschikistan die Internationale Konferenz zur Erhaltung der Gletscher statt, auf der Farinotti die Veröffentlichung einer "Gletschererklärung" erwartet, in der mehr Maßnahmen zum Schutz der Eismassen vor den Auswirkungen des Klimawandels gefordert werden. 

Die Alpen bröckeln

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"Darin werden verschiedene Maßnahmen gefordert, unter anderem eine bessere Vorbereitung auf kryosphärische Risiken wie Lawinen", sagte Farinotti. Auch Guzzetti weist auf die UN-Initiative "Frühwarnungen für alle" hin, die darauf abzielt, bis 2027 ein globales Frühwarnsystem einzurichten. Dies könnte ein wichtiger Schritt sein, um Menschenleben vor Naturkatastrophen zu retten. 

Während wohlhabende Länder wie die Schweiz über eine zuverlässige Infrastruktur zur Warnung der Bevölkerung vor potenziellen Katastrophen verfügen, haben viele andere Länder Nachholbedarf. Nach Angaben der UNO verfügten im vergangenen Jahr nur 108 Länder über die Kapazität für "Multi-hazard early warning systems" (Deutsch: Frühwarnsysteme für verschiedene Gefahren"), obwohl sich die Zahl gegenüber 2015 bereits mehr als verdoppelt hatte.

Die Vorteile liegen auf der Hand, sagt Guzzetti und verweist auf die Evakuierung von Blatten: "Es scheint, dass es ihnen sehr gut gelungen ist, die Stadt rechtzeitig zu evakuieren, sodass es keine oder nur sehr wenige Todesopfer gab."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.