Schweiz stimmt über Verhüllungsverbot ab
7. März 2021Walter Wobmann ist zufrieden. Mit der Initiative für ein Verhüllungsverbot in der gesamten Schweiz haben der Abgeordnete im Nationalrat und seine Mitstreiter eine Diskussion über den Umgang mit dem politischen Islam ausgelöst.
Die Bundesregierung, das Parlament, Frauenverbände, Islamwissenschaftler, Kirchen: Alle diskutieren über das vorgeschlagene Verbot von Schleiern, Burkas und die Unterdrückung von muslimischen Frauen. Dass es auch um das Verbot von Vermummung bei Demonstrationen oder Fußballspielen geht, ist eher Nebensache.
Walter Wobmann hat schon vor elf Jahren erfolgreich für das Verbot von neuen Minaretten in der Schweiz gekämpft. Das Verbot für Niqab, Burka und anderer Verhüllungsformen sei da nur ein logischer nächster Schritt sagt Wobmann, der zum rechten Flügel der nationalkonservativen "Schweizer Volkspartei" gezählt wird.
Er und seine Mitstreiter fühlen sich bedroht, so Wobmann: "Durch den radikalen politischen Islam, der auch beginnt, bei uns Fuß zu fassen. In anderen Länder ist er weiter, aber bei uns kommt er auch schleichend. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir das jetzt am Anfang klar regeln."
Der Initiative zu einer Verfassungsänderung, über die am Sonntag in der ganzen Schweiz abgestimmt wird, gehe es um die Befreiung der Frau, erklärt Walter Wobman im Gespräch mit der DW. "Die Unterdrückung der Frau, die Wegnahme der Persönlichkeit der Frau hat bei uns nichts zu suchen, und deshalb haben wir die Initiative gestartet. Bei uns zeigt man das Gesicht. Das ist ein Zeichen unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaftsordnung."
Schweizer Regierung empfiehlt ein Nein
Die Schweizer Bundesregierung (Bundesrat) und die große Mehrheit im Parlament in Bern sehen das allerdings anders. Sie empfehlen, gegen das Verhüllungsverbot zu stimmen.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die Justiz und Polizeiwesen leitet, rät der wahlberechtigten Bevölkerung, am Sonntag mit Nein zu stimmen. "Die Initiative gibt vor, ein Problem zu lösen, das als Randphänomen bezeichnet werden darf", sagt Keller-Sutter. In der Schweiz gebe es nur 20 bis 30 Frauen, die voll verschleiert unterwegs seien. Meistens sind es Touristinnen, die nur kurz in der Schweiz verweilten.
"Das Verhüllungsverbot bietet keinen Schutz vor Extremismus oder Terrorismus. Dafür gibt es effizientere Instrumente", so die Justiz-Bundesrätin. Es sei gerade ein neues Polizeigesetz vom Parlament verabschiedet worden, das radikale Islamisten und Terroristen abwehren solle.
Ist der Niqab ein politisches Symbol?
Eine der geschätzten 20 bis 30 verhüllten Frauen in der Schweiz ist "Umm Meryem", die ihren wirklichen Namen nicht nennen will. Sie ist zum Islam konvertiert und trägt den Niqab, also den Schleier, der nur einen Sehschlitz freilässt, freiwillig und aus Überzeugung, sagt sie im Schweizer Rundfunk.
"Männer sind dazu geschaffen, Frauen schön zu finden. Sie haben meinen Wunsch nach Distanz nicht akzeptiert. Das ist jetzt mit dem Niqab viel besser", erzählt Umm Meryem.
Anders als Walter Wobmann hält sie ihren Gesichtsschleier auch nicht für politisch. "Ich bin nicht fundamentalistisch, genauso wie andere Frauen, die den Niqab tragen. Salafismus, Wahhabismus. Das sind neue Erfindungen, mit denen ich mich nicht identifizieren kann."
Der Frauenrat der katholischen Bischofskonferenz der Schweiz, islamische Verbände und einige feministische Politikerinnen sehen durch ein Verhüllungsverbot die Religionsfreiheit in der Schweiz gefährdet. Walter Wobmann von der Initiative, die mit über 100.000 gesammelten Unterschriften die Volksabstimmung durchgesetzt hat, widerspricht.
"Dass die Kirchen das sagen, versteht ein normaler Mensch nicht. Denn es geht ja gegen den politischen extremen Islam, nicht die Religion Islam. Leute, die die Religion normal ausleben, haben überhaupt kein Problem. Grundsätzlich braucht es die Verhüllung des Gesichts der Frau zur Ausübung der Religion im Islam nicht, weil im Koran steht nirgends, dass das dringend notwendig wäre. Das ist ein Symbol, das später dazu gekommen ist." Genauso wie die Minarette an Moscheen sei der Schleier ein Ausdruck des politischen Islam mit seinem Sharia-Recht. "Das wollen wir sicher nicht in unserem Kulturkreis."
Feministinnen sind geteilter Meinung
Auch einige Feministinnen und Islamwissenschaftlerinnen haben sich der Volksinitiative angeschlossen und empfehlen am Sonntag, mit Ja zu stimmen. Die schweizerische Politikwissenschaftlerin Elham Manea, die arabische Wurzeln hat, sagte dem Schweizer Rundfunk, der Niqab sei ganz eindeutig ein "Symbol einer religiösen fundamentalistischen Rechtsaußenideologie. Wir sagen bis hierher und keinen Schritt weiter. In einer freien Gesellschaft müssen Frauen respektiert werden und ihre Rechte und Würde geschützt werden."
Der "interreligiöse Thinktank", ein Verbund gläubiger Frauen aus der Schweiz, vertritt die Ansicht, mit einem Burkaverbot würden die "Opfer" getroffen, nicht die vermeintlichen "Täter". "Frauen, die gezwungen würden sich zu verhüllen, sollen bestraft werden, statt ihnen zu helfen, den Schleier loszuwerden. In der Schweiz ist es heute schon strafbar, Frauen zum Tragen einer Verhüllung zu zwingen. Weder das Verhüllen noch das Enthüllen sollte man vorschreiben", heißt in einer Stellungnahme der Denkfabrik.
Ein ähnliches Argument bringt auch die "Alliance F" vor, einer der größten Frauenverbände in der Schweiz, der sich für Gleichstellung einsetzt. "Feministinnen setzen sich für die Rechte und Freiheiten von Frauen ein. Dazu gehört auch die freie Wahl der Kleidung", so Maya Graf, eine der Präsidentinnen des Verbandes.
Unklare Prognosen
Wie die Abstimmung am Sonntag ausgehen wird, ist Meinungsumfragen zu Folge noch nicht klar. Der Schweizer Rundfunk sagt in seiner Erhebung 49 Prozent gegen und 47 Prozent für das Verhüllungsverbot voraus. Vier Prozent sind unentschieden. "Es könnte knapp werden", mein Walter Wobmann von der "Initiative Verhüllungsverbot". "Bei uns in der Schweiz hat halt das Volk das letzte Wort. Warten wir es ab."
In zwei Kantonen der Schweiz, Tessin und St. Gallen, gilt bereits ein Verhüllungsverbot. Das war bisher in der Zuständigkeit der 26 Regionen, wo es nach Ansicht der Bundesrätin für Justiz, Karin Keller-Sutter auch bleiben sollte. Eine einheitliche Regelung für die ganze Schweiz sei nicht nötig.
In Frankreich und Österreich, Nachbarländern der Schweiz, gilt bereits ebenfalls ein Verhüllungsverbot. In sechs weiteren Mitgliedsländern der EU gibt es nationale oder regionale Beschränkungen für die Verschleierung.
Walter Wobman ist mit seinem Anliegen also nicht allein in Europa. In 22 europäischen Staaten hat es bisher Versuche gegeben, die Vollverschleierung ganz oder teilweise zu untersagen. Nur wenige Versuche waren nach einer Studie der "Open Society"-Stiftung erfolgreich.
In der Schweiz wurden 2009 neue Minarette an den 300 Moscheen des Landes verboten. Nur vier Minarette gibt es tatsächlich bei den 8,6 Millionen Eidgenossen, von denen sich 450.000 Menschen zum Islam bekennen. Die Schweizer Polizeibehörden zählten 2017 rund 90 Personen, die sich radikalisiert hatten und ausgereist seien, um sich dem sogenannten "Islamischen Staat" oder anderen Terrorgruppen anzuschließen.