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Politik

Schweizer stimmen über Rundfunkgebühr ab

Alison Langley sam
4. März 2018

In Zeiten von Streaming-Diensten wirken sie teuer und anachronistisch: An diesem Sonntag entscheiden die Schweizer über die finanzielle Zukunft ihrer öffentlich-rechtlichen Sender. Alison Langley berichtet aus Zürich.

Schweiz SRF Öffentlicher Rundfunk
Bild: picture-alliance/Keystone/G. Bally

An einem frostigen Februartag hält eine junge Studentin auf dem Weg zur Sporthalle kurz inne. Sie denkt darüber nach, wie sie am Sonntag bei der Volksabstimmung abstimmen könnte. Die Schweizer sind dazu aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob die jährliche Rundfunkgebühr abgeschafft werden soll oder nicht - sie deckt etwa drei Viertel des Budgets des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders SRF ab. "Ein Kommilitone sagt, ich solle mit 'ja' stimmen; ein anderer sagt nein", sagt Sabrina und fügt hinzu, dass sie sich bisher selbst keine Gedanken gemacht hat, wie sie sich entscheiden soll.

Die Befürworter, erklärt die angehende Lebensmittelwissenschaftlerin aus Zürich, sagten, dass die jährliche Gebühr von 450 Schweizer Franken (umgerechnet 390 Euro), die jeder Haushalt zahlen muss, zu hoch sei; dann fügt sie hinzu, dass sie selbst überhaupt nicht mehr den Fernseher einschaltet oder Radio hört.

Nachrichten - kostenlos im Internet?

Das Schweizer Fernsehen, sagt sie, scheine eine gute Sportberichterstattung zu haben. Würde die Gebühr abgeschafft, da ist sie sich sicher, dann würde eine private Firma die Rechte für die Sportübertragungen aufkaufen. Und Nachrichten? Die bekomme sie kostenlos im Internet, sagt sie.

Sollten die Befürworter des Vorschlags gewinnen, dann würde die Schweiz als erstes europäisches Land die obligatorische Rundfunkgebühr für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten abschaffen. Ein Schritt, so sagt die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), der das Aus für den Betrieb bedeuten könnte. Das Referendum kommt zu einer Zeit, in der Studien des Reuters-Institute und der European Broadcasting Union zeigen, dass unabhängige öffentlich-rechtliche Medien moderierenden Einfluss in einer immer stärker polarisierten Welt haben und dazu beitragen, dass das Vertrauen in die Mainstream-Medien gestärkt wird.

SRF sendet landesweite und internationale Sportübertragungen Bild: picture-alliance/Keystone/G. Bally

Wer unterstützt das Referendum?

Das Referendum hat zwei ungewöhnliche Verbündete zusammengebracht: extreme Rechte, die das Referendum initiiert haben, und die Schweizer Jugend, wie Sabrina, die keinen Mehrwert im öffentlichen Rundfunk sehen.

Andreas Kleeb, der vor vier Jahren die #NoBillag-Kampagne startete, glaubt nicht an das Argument, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei für eine Demokratie wichtig. "In der Schweiz gab es die Demokratie lange vor dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk", sagt er der Deutschen Welle. "Billag" heißt in der Schweiz die Stelle, die für die Eintreibung der Rundfunkgebühr zuständig ist.

Kleebs #NoBillag-Gruppe, die von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei unterstützt wird, rief die Kampagne ins Leben, weil sie nicht gezwungen werden will, eine, wie sie es sieht, "Mediensteuer" zu zahlen. Sie hat das Gefühl, dass sich die SRG zu sehr auf das gut gepolsterte Budget verlässt und keinen Grund sieht, ihre Kosten zu kontrollieren. Das Geld stattdessen in die Taschen der Schweizer Haushalte zu stecken, würde die Wirtschaft ankurbeln, sagt Kleeb.

Allmächtige öffentlich-rechtliche Sender

Öffentlich-rechtliche Sender dominieren die Schweizer Medienlandschaft. Mit einem Budget von 1,6 Milliarden Schweizer Franken betreibt die SRG 17 Radiosender, sieben TV-Kanäle sowie zahlreiche Online-Seiten. Die Angebote gibt es in vier Sprachen: in Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, einer Sprache, die noch von etwa 50.000 Einwohnern in Graubünden in den Ostalpen gesprochen wird.

Nach Angaben des Unternehmens schalten rund 87 Prozent aller TV-Zuschauer im deutschsprachigen Teil des Landes im Laufe einer Woche SRF ein. Und RTR, der Rätoromanische Sender, bietet das einzige Radio- und Fernsehprogramm in dieser Sprache. Laut SRG fördert das Unternehmen neben der Berichterstattung über nationale, regionale und lokale Nachrichten die Schweizer Kultur in den Bereichen Musik und Film.

Im Dezember reif Bundespräsidentin Doris Leuthard die Wähler auf, das Referendum abzulehnen. Sie argumentierte, die Schweizer Medien spielten eine entscheidende Rolle bei der Förderung der kulturellen Vielfalt und des politischen Diskurses im Land. "Ein vielfältiges Medienangebot ist für ein kleines, mehrsprachiges Land wie die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie wichtig", sagte Leuthard.

Das SRF-Studio in Zürich: Der Reformdruck beim Sender wächstBild: Reuters/A. Wiegmann

Eine geteilte Schweiz

Die Diskussion um das Referendum am Sonntag ist überraschend emotional, Morddrohungen gegen einen Gegner von #NoBillag inbegriffen. Und obwohl die jüngsten Umfragen das "Nein"-Lager, also die Befürworter der Rundfunkgebühr, zwischen 60 und 63 Prozent vorne sehen, ist es immer noch zu knapp für eine zuverlässige Prognose. Das Ergebnis wird wahrscheinlich davon abhängen, ob das "Ja" -Lager mehr junge Menschen mobilisieren kann, an dem Referendum teilzunehmen.

Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, verwundert das nicht. Die SRG habe lange Zeit ein junges Publikum ignoriert, sagt er. Das Durchschnittsalter der Schweizer Fernsehzuschauer  liegt bei knapp 61 Jahren und damit zwanzig Jahre über dem Schweizer Durchschnitt. Laut einer aktuellen Studie der Universität Zürich im Auftrag des Reuters-Instituts geben zudem rund 45 Prozent der Schweizer Erwachsenen an, dass sie Nachrichten überwiegend auf ihren Smartphones abrufen. Im internationalen Vergleich ist das überdurchschnittlich.

Eine kritische Einschätzung

"Die Debatte hat sich gelohnt", sagt Tristan Brenn, Chefredakteur des deutschsprachigen Senders SRF. "Sie hat uns gezwungen, intern zu überprüfen, wie es um uns steht, und uns selbst kritisch zu hinterfragen." Aber die Ergebnisse könnten schwer umzusetzen sein. Die SRG ist eingeschränkt in dem, was sie im Internet oder in den sozialen Medien veröffentlichen kann und was nicht. Auf der einen Seite muss sie mit neuen Formaten und Formen des Story-Tellings experimentieren, um junge Nutzer zu erreichen. Auf der anderen Seite könne sie nicht als Konkurrenz zu kommerziellen Unternehmen agieren, sagte Professor Wyss.

Auch wenn #NoBillag abgelehnt wird, dürfte der Druck auf den öffentlich-rechtlichen Sender weiter anhalten. Wyss sagt, das wäre vielleicht gut. "Die SRG muss gegenüber ihrer Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen."