Schwellenländer haben Schulden halbiert
5. November 2012In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind fast alle der zehn größten Schwellenländer mindestens einmal in eine schwere Finanzkrise geraten. Den Anfang machte Indien. Dort sorgten in den Jahren 1989 bis 1991 steigende Staatsausgaben und rückläufige Steuereinnahmen für eine Wirtschafts- und Finanzkrise mit den üblichen Symptomen: Hohe Inflation, steigende Staatsverschuldung. Der Rückzug von ausländischem Kapital und die Verknappung der Devisenbestände sorgten dafür, dass die Kreditwürdigkeit des Landes fast auf Ramsch-Status sank.
In Mexiko konnte die Regierung im Dezember 1994 nicht mehr den fixierten Pesokurs gegenüber dem US-Dollar aufrecht erhalten, was zu einer allgemeinen Vertrauenskrise führte. Dies hatte einen massiven Abzug ausländischen Kapitals zur Folge. Das fehlende Kapital brachte dann die mexikanischen Unternehmen in Schwierigkeiten, was schließlich zu einer allgemeinen Wirtschaftskrise, der so genannten Tequila-Krise führte.
1997 gerieten Korea und Indonesien in Schwierigkeiten, 1998 Russland und Brasilien. Und Argentiniens Staatsbankrott im Jahr 2001 war der größte jemals bisher verzeichnete Zahlungsausfall. Fazit: Von den zehn größten Schwellenländern, im Fachjargon EM-10 genannt, haben im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts nur China und Saudi-Arabien größere Finanzkrisen vermeiden können.
Alles Geschichte
Aber das alles ist Geschichte. Denn: "Aufgrund der stark verbesserten externen und öffentlichen Schuldenposition gehören Staatsschuldenkrisen und Zahlungsbilanzkrisen in den zehn größten Emerging Markets der Vergangenheit an", resümiert Markus Jäger, der die Schuldenposition dieser Länder für die Deutsche Bank Research untersucht hat. "Die Staatsverschuldung der EM-10-Länder hat sich seit dem Jahr 2000 im Schnitt von 50 auf 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts halbiert - die Verschuldung der G7-Länder ist hingegen inzwischen von knapp 80 auf fast 120 Prozent des BIP gestiegen", weiß Jäger.
Indonesien und Saudi-Arabien verzeichneten beispielsweise einen Rückgang ihrer Schuldenquoten von 95 beziehungsweise bzw. 87 Prozent des BIP auf 25 beziehungsweise acht Prozent. Brasilien und Indien sind mit knapp 70 Prozent zwar immer noch die beiden Länder mit der höchsten Schuldenquote der zehn größten Schwellenländer, doch das liegt immer noch weit unter dem Durchschnitt der Industrieländer. Hinzu kommt: Beide Länder sind fast vollständig in ihrer eigenen Währung verschuldet, und der Großteil wird von Inländern gehalten. Das aber macht diese Staaten weit weniger abhängig von den erratischen Schwankungen der ausländischen Kapitalmärkte.
Besser integriert
Tatsächlich hat sich die außenwirtschaftliche Position der EM-10 enorm verbessert. "Die durchschnittliche Nettoauslandsverschuldung hat sich von über 30 Prozent des BIP Ende der 90er Jahre auf derzeit unter zehn Prozent des BIP verringert", hat DB-Research-Mitarbeiter Markus Jäger ausgerechnet. "Die EM-10-Länder sind derzeit viel mehr in die Weltwirtschaft integriert als noch vor zehn Jahren", so Jäger.
Die Kehrseite der Medaille: Die starke Einbindung der Schwellenländer in den Welthandel "hat sie auch empfindlicher für exogene Schocks gemacht, wie die internationale Finanzkrise von 2008 oder die gegenwärtige Eurokrise gezeigt haben", so Jäger. Dennoch hätten die verbesserten wirtschaftlichen Rahmendaten für diese Länder einen viel größeren wirtschaftspolitischen Spielraum geschaffen. "Die meisten Länder könnten nun auf Wachstumsschocks reagieren, indem sie eine antizyklische Politik verfolgen." Denn moderate staatliche Schuldenquoten erlauben es diesen Staaten nicht nur, in einer potenziellen Krise Haushaltskürzungen zu vermeiden, sondern auch, falls notwendig, Geld für Konjunkturspritzen in die Hand zu nehmen.
Jägers Fazit: "Die größeren Emerging Markets verzeichnen eine erhebliche Verbesserung ihrer Finanzlage, sowohl relativ gegenüber den Industrieländern als auch absolut." Dagegen dürften die G7-Länder nach aktuellen Prognosen ungefähr zur Mitte des Jahrzehnts einen Höchststand des annähernd sechsfachen der EM-10 erreichen. Obwohl die stärkere Integration in die Weltwirtschaft die Anfälligkeit der EM-10-Länder für exogene wirtschaftliche und finanzielle Schocks erhöht hat, sind sie dank ihrer deutlich besseren Finanzposition weniger anfällig für Krisen, wie sie in den 80ern und 90ern noch so charakteristisch waren.