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Politik

Israels arabischstämmige Wähler

Kersten Knipp | Maram Shahatit Mitarbeit
5. März 2020

Die arabische Liste war bei der israelischen Parlamentswahl so erfolgreich wie nie. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Der Protest gegen Diskriminierung ist einer. Doch zugleich bekennen sich ihre Wähler zu Israel.

Israel Ayman Odeh
VAL-Chef Ayman Odeh am Wahltag im Hauptquartier des arabischen ParteienbündnissesBild: picture-alliance/JINI/G. Eliyahu

Die Wahlbeteiligung der rund 1,8 Millionen arabischstämmigen Israelis war so hoch wie nie zuvor: Knapp 65 Prozent gaben bei der Parlamentswahl am vergangenen Montag ihre Stimme ab. Überwiegend - zu rund 88 Prozent - stimmten sie für jenes Bündnis, durch das sie ihre spezifischen Interessen am besten vertreten sahen: die von Ayman Odeh geführte Vereinte Arabischen Liste (VAL). Die holte nun gut zehn Prozent der Stimmen insgesamt und damit 15 Sitze in der Knesset. Damit übertraf sie das bereits starke Ergebnis der letzten Wahlen im September vergangenen Jahres. Damals brachte es das Bündnis auf 13 Sitze. Beide Male wurde die VAL zur drittstärksten Fraktion.

Das Ergebnis gehe auf innen- wie außenpolitischen Motiven zurück, sagt der Historiker Arik Rudnitzky vom Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies und dem Israel Democracy Institute. Die arabischstämmigen Wähler hätten zum einen auf die außenpolitischen Initiativen der Trump-Regierung reagiert. Durch die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt und die Verlegung der US-Botschaft dorthin hatte Trump für erhebliche Empörung in der arabischen Welt gesorgt. Auch der vor einigen Wochen vorgelegte "Jahrhundert-Deal" zur Beilegung des palästinensisch-arabischen Konflikts wurde in der arabischen Welt überwiegend ablehnend zur Kenntnis genommen.

Hinzu kämen innenpolitische Motive, so Rudnitzky im Gespräch mit der DW. Die arabischstämmigen Wähler hätten die Politik von Premierminister Benjamin Netanjahu als gegen sie gerichteten Angriff wahrgenommen. Als Beispiel nennt Rudnitzky das im Juli 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz, das Israel als "nationale Heimstätte des jüdischen Volkes" festschreibt. Durch dieses Gesetz fühlten sich die meisten arabischstämmigen Israelis - sie stellen ein gutes Fünftel der Gesamtbevölkerung - ausgegrenzt.

Bedenken und Skepsis

Die VAL ist ein ideologisch heterogenes Bündnis verschiedener Parteien. Hervorgegangen 1996 aus dem Zusammenschluss der Arabischen Demokratischen Partei und der Islamischen Bewegung Israels umfasste sie bei bei den jüngsten Wahlen so unterschiedliche Partner wie die säkulare Ta'al-Partei, die nationalistische Balad-Partei, die Israel nicht als jüdischen Staat anerkennt, und die Ra'am-Partei, die sich als politischer Arm der islamistischen Bewegung in Israel versteht. Ebenso gehört ihr die kommunistische Chadasch-Partei an.

Teile der jüdischen Bevölkerung misstrauen dem Bündnis und bezweifeln seine Loyalität zum Staat. Skeptisch betrachten viele Wähler etwa die VAL-Kandidatin Iman Khatib Yassin. Mit ihr zieht nun die erste Frau in die Knesset ein, die einen Hidschab, also ein Kopftuch, trägt. So hatte wenige Tage vor der Wahl der Politologe Asher Cohen in der Zeitung "Israel Hayom" gewarnt, dass es Kandidaten wie Iman Khatib Yassin zugute kommen würde, wenn Teile des rechten Randes ihre "verantwortungslose Apathie" fortsetzten und der Wahl fernblieben.

Politisch engagiert: arabischstämmige Israelis, hier bei den Wahlen im September 2019Bild: picture-alliance/dpa/O. Ziv

"Rassistische Rhetorik"?

Dieses Misstrauen wurde von einigen Politikern auch im Wahlkampf aufgegriffen. Die konservative Zeitung "Jerusalem Post" erinnert in der Ausgabe vom Dienstag an entsprechende Äußerungen von Benny Gantz vom Wahlbündnis Blau Weiß: "Wir werden die größte Partei sein, und ich denke, wir werden nicht auf die Stimmen der 'Vereinten Liste' angewiesen sein", hatte er im Februar vergangenen Jahres seinen Wählern zugerufen. Gantz habe auf eine "rassistische Rhetorik" gesetzt, die "Araber als Ethnie und Nation negiert und ihnen Legitimität abspricht", zitiert die "Jerusalem Post" Amnon Be'eri-Sulitzeanu, Mitglied des Direktoriums der NGO Abraham Initiatives.

Auf das Misstrauen eines Teils ihrer jüdischen Landsleute wie auch auf einige schrille Wahlkampftöne haben die arabischen Israelis an der Wahlurne reagiert. Aber das habe auch die VAL getan, so Rudnitzky. Sie habe interne Differenzen ausgeräumt. Auch das hätten die arabischstämmigen Wähler honoriert. "Darüber hinaus hatten sie Gründe, zur Wahl zu gehen und ein Zeichen ihrer Einheit zu setzen." Zwar gaben auch rund zwölf Prozent von ihnen jüdischen Parteien ihre Stimme, doch bei vorhergehenden Wahlen hatten dies bis zu einem Viertel getan.

Israel als Heimat

Die VAL werde ihre starke Präsenz nun dazu nutzen, gegen die rechten Parteien zu opponieren, sagt der arabischstämmige Knesset-Abgeordnete Jaber Asakleh von der Chadasch-Partei. Bündnispartner sehe er derzeit nicht, sagte er der DW. "Mit Netanjahu können wir keine Allianz bilden. Generell unterstützen wir keine Partei, die sich als dezidiert jüdische nationale Regierung versteht." Darum werde sich die VAL damit begnügen, konstruktive parlamentarische Arbeit zu leisten - "und zwar ganz gleich, unter welcher Regierung."

Kontraproduktive Rhetorik? Benny Gantz, Kandidat des Bündnisses "Blau Weiß"Bild: Getty Images/AFP/G. Tibbon

Die hohe Beteiligung der arabischen Israelis zeige aber auch, dass sie sich vor allem als Bürger ihres Staats engagierten, sagt Rudnitzky. "Wenn Sie Personen aus dieser Gruppe fragen, wie sie sich definieren, hört man meistens als Antwort, sie seien palästinensische Araber. Das heißt aber nicht, dass sie sich allein für die palästinensische Frage interessierten. Im Gegenteil: Wir wissen inzwischen, dass ihr Hauptaugenmerk auf den täglichen Bedürfnissen liegt." Zwar identifizierten sich die meisten Befragten mit den Palästinensern außerhalb Israels, gerade auch in Konfliktfällen. "Aber sie identifizieren sich nicht unbedingt mit der Hamas."

Die meisten Mitglieder der arabischstämmigen Gemeinde seien sich darüber im Klaren, dass ihre Zukunft in Israel liege. Das sei noch in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts anders gewesen. Damals hätten viele Palästinenser noch den Wunsch nach einer Vereinigung mit den Autonomiegebieten verspürt. "Das ist heute nicht mehr der Fall. Diese Leute wollen in Israel leben, und das erklären sie bei jeder Umfrage ganz offen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika