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Schwierige Normalisierung in Kroatiens ehemaligen Kriegsgebieten

10. August 2006

Das Zusammenleben von Kroaten und serbischen Rückkehrern im Hinterland von Zadar ist auch elf Jahre nach dem Krieg immer noch belastet. Misstrauen und Vorurteile gibt es auf beiden Seiten.

Blick über rote Dächer in ZadarBild: dpa

In den Dörfern im Hinterland von Zadar herrscht Ruhe: Die Straßen sind leer, nur wenige Leute stehen vor dem Lebensmittelgeschäft, wenn es überhaupt eins gibt, Arbeit gibt es nicht, die Landwirtschaft liegt brach, noch nicht alle Menschen in der Region haben die Kriegsschäden erstattet bekommen. In einigen Dörfern sind mehr Polizisten als Einwohner auf der Straße. Wahrscheinlich wegen des Zwischenfalls Ende Juli, als Häuser und Felder von vier serbischen Rückkehrern angegriffen und angesteckt wurden. Kroatiens Premier Ivo Sanader und Präsident Stipe Mesic verurteilten die Tat umgehend aufs Schärfste und sagten eine umgehende Ermittlung der Täter zu.

Welten treffen aufeinander

DW-RADIO hat mit kroatischen und serbischen Einwohnern des Dorfes Smilcic gesprochen. Es war früher und ist auch heute wieder ein Ort, wo Welten aufeinandertreffen – die katholische und die orthodoxe. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten in Smilcic 70 Prozent Kroaten. Später zogen Serben dorthin und so wurde es zu einem mehrheitlich von Serben bewohnten Dorf. Heute leben dort wieder mehrheitlich Kroaten wegen der zugezogenen Kroaten aus Bosnien-Herzegowina.

"Die Menschen kommunizieren jetzt schlechter, früher haben wir alle zusammengehalten wie Geschwister, Freunde, Bekannte. Heute ist das weniger geworden, sehr viel weniger, praktisch gar nicht mehr. Wir hatten mit niemandem Streit, aber hin und wieder fallen abfällige Bemerkungen", sagt eine ältere Frau aus der Familie Saponja, die den gesamten Krieg in Smilcic verbracht hat. Heutzutage seien alle getrennt – auch die Kroaten, so die Eheleute Saponja. Die einheimischen und die aus Bosnien zugezogenen Kroaten würden sich nicht mögen. So gingen ihre Kinder in getrennte Schulen – in zwei verschiedenen Dörfern.

Die Familie Saponja gehört zur serbischen Ethnie. Auch wenn sie praktisch ihr Haus nicht verlassen haben, versteckten die Saponjas sich eine Nacht lang während der Aktion "Sturm" in Zadar und verloren alles: ihren Traktor, ihr Auto, das Haus wurde beschädigt. Bis heute haben sie keinen Antrag auf Entschädigung gestellt, sie warten darauf, dass dies eines Tages die Jungen tun, die während des Krieges nach Serbien gegangen sind.

Einige Serben, also die "Orthodoxen", wie sie im Hinterland von Zadar schon immer genannt wurden, sind inzwischen zurückgekehrt, es sind aber überwiegend ältere Leute. Denn die Jüngeren sagen, sie würden erst zurückkehren, wenn sich die Lage normalisiert habe, wenn die Häuser repariert und die Lebensbedingungen besser seien. Bis dahin blieben sie in Serbien, so die Eheleute Saponja.

Unterschiede zwischen Jungen und Älteren

Im Cafe, wo hauptsächlich Jugendliche verkehren, ist indes keiner von den jungen Leuten in der Stimmung vor dem Mikro zu sprechen, geschweige denn sich namentlich vorzustellen. Sie vertreten mehrheitlich die Meinung, dass es kein Zusammenleben gibt. Die Älteren behaupten, es würde nicht darauf geachtet, wer Kroate oder Serbe sei. Die jungen Frauen erklären dagegen, man wisse sehr wohl, wer was sei. "Das wissen wir alle. Wer sich kennt, redet miteinander. Man weiß genau, wessen Häuser erneuert werden. Einigen passt es nicht, dass Häuser von Serben erneuert werden und die von Kroaten nicht", sagt eine junge Frau. Ferner sei es auch nicht egal, ob jemand orthodox oder katholisch wäre. Die kroatische Bevölkerung in Smilcic habe es besonders gestört, dass das Haus des orthodoxen Geistlichen erneuert wurde, von dem es heißt, er sei während des Krieges alles andere, nur kein Friedensstifter gewesen.

Mehr Zeit erforderlich

Die älteren Leute sind noch ziemlich durch die Vergangenheit belastet. Auch wenn seit dem Krieg mehr als zehn Jahre vergangen sind, die Erinnerungen sind immer noch da. So schildern sie ihre Eindrücke über das Zusammenleben. "Es gibt ein Zusammenleben, nicht nur mit Serben, sondern mit allen Völkern. Wer gute Absichten hegt, ist willkommen. Niemand rührt sie an, das heißt, wir sind besonnene Menschen, wir wollten kein Groß-Kroatien, wie sie ein Groß-Serbien wollten. Ich spreche auch mit ihnen, wir waren zusammen in der Schule. Ich sage ihnen immer: ‚Schämt ihr euch nicht? Ihr habt auf uns geschossen. Du hättest mich töten können, du Narr!‘. Alle sagen, sie hätten nur geschossen, weil sie mussten", sagt ein älterer Kroate.

Kurz gesagt: Im Hinterland von Zadar ist nichts vergessen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen nicht doch eines Tages wieder miteinander Kaffee trinken, ohne darauf zu achten, ob ihr Begleiter Serbe oder Kroate ist. Dafür ist Zeit erforderlich. Und die Menschen müssen Arbeit finden und sich dem Alltag zuwenden, was im Hinterland von Zadar nicht einfach ist. Einige verkaufen Pfirsiche, die meisten sind indes arbeitslos. Und doch herrscht Optimismus: "Die Lage wird langsam besser. Es muss wieder alles in Ordnung kommen, man muss kommunizieren, niemand kann allein leben."

Ivana Zrilic, Zadar
DW-RADIO/Kroatisch, 9.8.2006, Fokus Ost-Südost