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Politik

Vergangenheitsbewältigung auf Taiwan

Klaus Bardenhagen
26. Januar 2018

Um deutsche Erfahrungen mit der SED-Aufarbeitung zu teilen, reist der DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann nach Taiwan. Allerdings ist dort die Vergangenheitsbewältigung ein recht langer Weg. Klaus Bardenhagen aus Taipeh.

Eppelmann in Taiwan
Bild: DW/K. Bardenhagen

Er war gekommen, um über Deutschlands Aufarbeitung von Diktaturen zu berichten und zu erfahren, wie es um Taiwans Vergangenheitsbewältigung steht. Rainer Eppelmann musste am letzten Tag seiner einwöchigen Taiwan-Reise unmittelbar erleben, wie gespalten Taiwans Gesellschaft noch immer ist. Während der frühere DDR-Oppositionsführer auf einer Podiumsdiskussion in Taipeh seine Erfahrungen teilte, bauten sich draußen vor dem Fenster der Buchhandlung ein halbes Dutzend junge Demonstranten auf. Ihre Gesichter hatten die meisten hinter Atemschutzmasken verborgen, wie es bei Demonstrationen in Taiwan häufig passiert.

Sie gehörten zu einer Jugendorganisation der Kuomintang (KMT). Das ist die Partei, die 1949 nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei Chinas nach Taiwan floh und dort das Kriegsrecht bis 1987 gelten ließ.  De facto waren Grundrechte sogar bis 1992 außer Kraft gesetzt. Die Bedrohung durch die Volksrepublik China diente als Begründung, viele tausend Dissidenten einzusperren oder - vor allem in der Frühphase des Kriegsrechts - hinzurichten.

Eppelmann (r.) in TaiwanBild: DW/K. Bardenhagen

Zwar ist die KMT heute ein Teil des politischen Mehrparteiensystems auf Taiwan, doch die Präsidentschaftswahlen 2016 konnte die KMT wegen ihrer politischen Nähe zum Festland nicht gewinnen. Die langjährige Opposition, die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), konnte die Mehrheit der Taiwaner überzeugen, vorsichtige Distanz zu Peking zu wahren. Die gewählte Präsidentin Tsai Ing-wen hat die Aufarbeitung der KMT-Diktatur zum Ziel erklärt..

Ungerechte Kritik?

Die jungen KMT-Anhänger warfen Eppelmann ungerechte Kritik vor. "Herr Eppelmann, wussten Sie das?", fragte eines ihrer eigens gedruckten englischen Schilder, "die KMT steht gegen Kommunismus und Diktatur." Ein anderes forderte ihn auf, sich nicht von Taiwans regierender DPP "irreführen" zu lassen: Die DPP sei ein Paradebeispiel für Diktatur.

"Die Debatte ist hier noch im Lauf", sagte Eppelmann der DW. "Wenn diese Gesellschaft erfolgreich ihren Weg der Demokratisierung weitergehen will, dann wird sie sich dieser Diskussion offen und differenziert stellen müssen."

Taiwans Regierung hatte ihn mit zwei Kollegen in seiner Funktion als Vorstand der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eingeladen. Die 1998 gegründete Stiftung soll unter anderem den Austausch mit anderen Ländern fördern, die eine autoritäre Vergangenheit haben.

Taiwans Präsidentin Tsai will "Leid und Unrecht" der Diktatur gründlich aufarbeitenBild: picture alliance/AP Photo/Chiang Ying-Ying

"Taiwan auf einem guten Weg"

Auf seinem dritten Besuch nach 2000 und 2008 stellte Eppelmann fest: "Taiwan ist weiterhin auf einem guten demokratischen Weg. Es hat das ohne Bürgerkrieg oder Revolution geschafft, sondern durch eine sanfte demokratische Weiterentwicklung."

Anders als in der DDR gab es auf Taiwan keine Entmachtung der Staatspartei. Die KMT habe sich "dem Demokratisierungsprozess geöffnet und die Regeln der Demokratie akzeptiert", sagt Eppelmann. Als die aus der Oppositionsbewegung hervorgegangene DPP 2016 erstmals nicht nur das Präsidentenamt, sondern auch die Mehrheit im Parlament errang, geriet vieles in Bewegung. Nach und nach verabschiedet die DPP nun Gesetze unter dem Oberbegriff der "Transitional Justice".

So durchleuchtet eine von der Regierung eingesetzte Kommission die Finanzen der KMT und ihrer parteinahen Organisationen mit dem Ziel, unrechtmäßig erworbenes Parteivermögen aus der Zeit der Alleinherrschaft zu beschlagnahmen. Als Vorbild diente eine deutsche Kommission zum SED-Vermögen, die bis 2006 mehrere Milliarden Euro eintreiben konnte. Die Öffnung politischer Archive soll folgen. Dass Taiwaner irgendwann wie bei der Stasi-Unterlagenbehörde selbst einsehen können, was der Staat über sie gesammelt hatte, ist aber noch nicht in Sicht.

Gefängnis-Gedenkstätte erinnert an Berlin

Eppelmann mit ehemaligem Häftling Fred ChinBild: DW/K. Bardenhagen

Was Eppelmann und seine Begleiter in einem Industriegebiet am Stadtrand von Taipeh erwartete, erinnerte dann doch deutlich an Berlin – und zwar an die Stasi-Gefängnisgedenkstätte Hohenschönhausen. Auch im früheren Militär-Untersuchungsgefängnis von Jingmei führen seit 2007 ehemalige politische Häftlinge Besucher durch die Anlage. Fred Chin war hier 1971 von einem Militärtribunal verurteilt worden. In einem schmucklosen Gerichtssaal erkundigte Eppelmann sich bei dem 68-Jährigen genau, wo damals der Staatsanwalt saß und wie lange das Verfahren dauerte.  Die Antwort: der Staatsanwalt hatte auf der Richterbank gesessen. Die Verhandlung dauerte zehn Minuten.

Der spätere Pfarrer aus Deutschland hatte in den 1960er Jahren in der DDR selbst acht Monate in polititischer Haft gesessen. Sichtlich bewegt hörte Eppelmann Chins Bericht: Unter einem Vorwand wurde er zwölf Jahre lang auf einer Gefängnisinsel eingekerkert. Fließendes Wasser lieferte in der Acht-Mann-Zelle nur das Toilettenloch im Boden. In einer Zelle in Jingmei demonstrierte Chin, wie er den Abfluss verstopfen musste, um Wasser zum Waschen und Zähneputzen zu haben.

Mehr als 9000 Namen sind auf dem Gefängnisgelände in eine Wand graviert. Es sind alle Taiwaner, die bislang als politische Häftlinge Entschädigung erhalten haben. Auch Chins Name und Haftzeit stehen hier. Er hat eine Rehabilitationsurkunde und eine Geldsumme erhalten, doch keine vollständige Akteneinsicht. "Die Richter und Staatsanwälte sollten selbst erklären, warum sie damals solche Entscheidungen getroffen haben", sagte Chin den deutschen Besuchern. Es gehe ihm nicht um Strafe oder Rache. "Für die Zukunft unseres Landes wünsche ich mir, dass Taiwans Gesellschaft diese Fragen offen diskutiert."

Kein Termin bei KMTBild: Reuters/P. Chuang

Gesellschaftliche Auseinandersetzung dringend erforderlich

Zurück zum KMT-Protest. Während Eppelmann auf dem Podium saß, versuchte seine Kollegin Sabine Kuder draußen vergeblich, mit den jungen Demonstranten ins Gespräch zu kommen. "Ich hätte sie gern gefragt, ob sie schon mal im Jingmei-Museum waren" sagte die Historikerin und Soziologin von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. "Und warum sie es schlecht finden, was die DPP im Hinblick auf Erinnerungskultur und Aufarbeitung tut."

Sie räumte ein, das taiwanesische Außenministerium habe in ihrem Reiseplan keinen Termin bei der KMT vorgesehen. Die Frage sei nun: "Wie wird es gelingen, den Umgang mit der Vergangenheit so zu gestalten, dass es kein Parteigerangel ist, sondern eine gesellschaftliche Auseinandersetzung? Die ist dringend erforderlich."

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