Nigeria: Der Kampf um die Wählerkarten
22. Januar 2019Aliyu M. Bello sitzt in seinem Büro in Abuja. Die Unabhängige Nationale Wahlkommission (INEC) hat in der Hauptstadt gleich drei Gebäudekomplexe - und alle Hände voll zu tun. Am 16. Februar sind gut 84 Millionen Menschen aufgerufen, einen Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Zwei Wochen später folgt die Wahl der Gouverneure und der Landesparlamente. Bello, stellvertretender INEC-Sprecher, lehnt sich zurück und sagt: "Die Wahlkommission hat sich mit wichtigen Interessengruppen getroffen und das Wählerregister vorbereitet. Bisher laufen die Vorbereitungen tatsächlich hervorragend."
Dabei sind die Wahlen ein extremer logistischer Aufwand. Noch nie haben sich so viele Wähler registriert. In 774 Landkreisen entstehen fast 120.000 Wahllokale. Bis zum Wahltag müssen sie mit Wahlunterlagen und dem nötigen Personal ausgestattet werden. Doch ob das bis zum 16. Februar gelingt, daran zweifelt Jude Udo Ilo. Er leitet das Landesbüro der Open Society Initative des US-amerikanischen Milliardärs George Soros: "Es gibt Grund zur Sorge. Einen Monat vor der Wahl sind weder die Rekrutierung noch die Ausbildung des zusätzlichen Personals abgeschlossen." Ebenfalls sei nicht sicher, ob das Material pünktlich im Land eintreffen und sorgfältig auf Fehler kontrolliert werden könne. "Es ist nicht klar, wie INEC all das gelingen wird", so IIo.
Über diese Details macht sich Mary Yusufu, die seit vier Jahren im Bundesstaat Adamawa an der kamerunischen Grenze lebt, indes keine Gedanken. Die 34-Jährige hatte in den vergangenen Wochen schon genug damit zu tun, eine Wählerkarte zu bekommen. Die Karte ist eine Art Wahlausweis. In Nigeria muss sie im Gegensatz zu anderen Ländern zwar nicht bei jeder Wahl neu beantragt werden. Doch Mary Yusufu erzählt, dass ihre alte Karte bei der Flucht vor der Terrormiliz Boko Haram verbrannt sei. Insgesamt sechsmal habe sie sich anstellen müssen, um eine neue zu beantragen. "Viermal war ich deshalb an einer Schule, wo die Registrierung stattfand", erzählt die Mutter von sieben Kindern. "Doch immer haben sie mich weggeschickt und gesagt, dass ich zu alt sei." In einem zweiten Registrierungszentrum hatte sie Glück. Mary Yusufu holt ihre Karte aus dem Portemonnaie und zeigt sie.
Viele Vertriebene sind ausgeschlossen
Ihre Stimme darf sie jedoch nur bei der Präsidentschaftswahl abgeben. "Das Rahmenwerk sieht vor, dass Vertriebene, die in einen anderen Bundesstaat geflüchtet sind, nur an der Präsidentschaftswahl teilnehmen können", sagt Aliyu M. Bello. Wer in seinem Heimatstaat geblieben ist, kann auch auf Landesebene wählen. Jude Udo Ilo kritisiert dieses System: "Wir sind besorgt, dass nigerianische Bürger ohne eigenes Verschulden von der Wahl ausgeschlossen werden können. Wir hoffen, dass alle Verantwortlichen nach den Wahlen ein System erarbeiten, das es uns ermöglicht, unsere politischen Rechte auch auszuüben." In Nigeria ist das nicht unerheblich. Allein im Nordwesten zählt das Amt für Nothilfekoordination der Vereinten Nationen (OCHA) 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge. In anderen Bundesstaaten haben Menschen aufgrund von Landkonflikten, Ausschreitungen und marodierenden Banden zu Zehntausenden ihre Heimatdörfer verlassen.
Zwar heißt es, dass Wähler bei einem Wohnortwechsel ihren Wahlort ändern können. Doch sowohl in Abuja als auch in Yola gibt es Berichte, dass sich Wähler doppelt registriert haben und nun zwei Wählerkarten besitzen. Offen möchte darüber niemand der Betroffenen sprechen. Einer sagt jedoch, ein neuer Antrag wäre einfacher gewesen, als den Wahlort ändern zu lassen. Doppelt wählen wolle er aber auf keinen Fall. "Solche Informationen stellen die Glaubwürdigkeit unseres Wählerregisters und die Möglichkeit, Betrug aufzudecken, in Frage", fürchtet Samson Itodo, Leiter der lokalen Nichtregierungsorganisation Yiaga. Aus seiner Sicht gefährden solche Vorkommnisse den Ruf der Wahlbehörde INEC: "Es ist gut möglich, dass Vertrauen verloren geht. Man denkt, solche Fälle sind keine Ausnahme, obwohl sie möglicherweise wirklich Einzelfälle sind."
Was passiert mit nicht abgeholten Karten?
Zudem besitzt die INEC Wählerkarten, die von den Antragstellern nicht abgeholt wurden. Laut Sprecher Bello seien diese jedoch gut unter Verschluss. "Missbrauch? Keine Chance. Die Kommission achtet sehr auf alle Karten, die nicht abgeholt worden sind. Darüber führt sie auch Buch", sagt Bello. Wie lange die Karten nach der Herstellung aufgehoben werden, kann er jedoch nicht sagen. Eins sei jedoch klar: "Vernichtet werden die Karten nicht."
Für die Wahlen ist jedoch noch etwas anderes wichtig: Sicherheit. Nur wenn sich die Wähler in Sicherheit fühlen, werden sie auch ins Wahllokal gehen. Das ist auch für den 68-jährigen Mathew Musa entscheidend. Er ist aus dem Landkreis Madagali nach Yola geflüchtet. Seine Wahlkarte nahm er mit. Das bedeutet: Will er seine Stimme abgeben, muss er zurück nach Madagali. Die Fahrt dauert mindestens vier Stunden und kostet rund 2000 Naira (4,83 Euro). Doch er hat es sich fest vorgenommen: "Wenn die Regierung für Sicherheit sorgt, dann werde ich auch wählen gehen."