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PolitikEuropa

Scholz' schwierige Westbalkanreise

9. Juni 2022

Fünf Länder in zwei Tagen: Im Schatten des Ukraine-Kriegs reist Bundeskanzler Olaf Scholz nach Südosteuropa. Die Lage dort ist spannungsreich, weil Kosovo und Serbien wenig Kompromissbereitschaft zeigen.

Deutschland Kanzler Scholz in Litauen
Bundeskanzler Olaf Scholz reist zu politischen Gesprächen nach SüdosteuropaBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Am Freitag (10.06.2022) startet Bundeskanzler Olaf Scholz eine zweitägige Reise nach Südosteuropa. Stationen sind die Hauptstädte Pristina (Kosovo), Belgrad (Serbien), Skopje (Nordmazedonien) und Sofia (Bulgarien) sowie die nordgriechische Metropole Thessaloniki. Im Fokus seiner Gespräche dort wird die Annäherung der Länder des Westbalkans an die EU stehen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Mittwoch (8.06.2022) in Berlin. Aus Sicht der Bundesregierung sei die EU-Perspektive nicht nur für die Sicherheit in der Region, sondern für die gesamte EU von Bedeutung. Doch ein EU-Beitritt scheiterte bisher - nicht nur an internen Unstimmigkeiten in der EU, sondern auch an den ungelösten Fragen in der Region selbst.

Die sicherheitspolitische Bedeutung des Westbalkans zeigt sich schon bei der ersten Station des Bundeskanzlers, in der kosovarischen Hauptstadt Pristina. Am 22.6.2022 wird der Bundestag über eine erneute Mandatsverlängerung für die deutsche Beteiligung an der KFOR-Schutztruppe abstimmen, die seit dem Ende des Kosovo-Krieges 1999 den Frieden dort sichert. Olaf Scholz wird bei seinem Besuch auch die in Kosovo stationierten Bundeswehrsoldaten besuchen.

Ein Bundeswehrsoldat mit Kfor-EmblemBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Deren Präsenz ist im Kosovo erwünscht und nötig, denn insbesondere die Lage im Norden des Landes wird von der Bundesregierung als fragil eingestuft. Der kosovarische Premierminister Albin Kurti, den Scholz in Pristina treffen wird, hat gegenüber dem Nachbarland Serbien sogenannte Reziprozitätsmaßnahmen - eingeführt. Das heißt, dass Pristina gegenüber Belgrad die gleichen Maßnahmen ergreift wie umgekehrt. So beschloss die Regierung Kosovos im September 2021, serbische Kfz-Kennzeichen nicht mehr anzuerkennen, weil Serbien kosovarische Kennzeichen zu keinem Zeitpunkt anerkannt hatte. Daraufhin hatte Serbien seine Militärpräsenz im Grenzgebiet zu Kosovo erheblich aufgestockt - eine "unverhältnismäßige Reaktion", urteilte die Bundesregierung.

Auch der 2011 durch die EU initiierte Normalisierungsdialog zwischen beiden Balkanstaaten verzeichnet kaum Fortschritte. Bundeskanzler Scholz, der noch am Freitag (10.06.2022) von Pristina nach Belgrad weiterreisen wird, hatte bereits einen Versuch unternommen, die zerstrittenen Parteien an einen Tisch zu bringen. Anfang Mai 2022 fädelte er ein Treffen des EU-Sonderbeauftragten Miroslav Lajcak mit Kosovos Premier Kurti und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic in Berlin ein. Dies brachte jedoch - außer einem gemeinsamen Foto beim Abendessen - kein Ergebnis.

"Schwierige Botschaften aus Berlin"

In Belgrad wird erwartet, dass der deutsche Bundeskanzler vor allem Serbien zu Kompromissbereitschaft drängen wird. "Gerade in Zeiten wie diesen, in denen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ein brutaler Krieg geführt wird, ist es von zentraler Bedeutung, dass beide Länder ihren Konflikt schrittweise lösen", hatte Scholz bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Kurti am 4.05.2022 in Berlin gesagt. Dazu gehöre auch die Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit durch Serbien.

Kosovos Premierminister Albin Kurti im Gespräch mit der DW am 4.5.2022Bild: Anila Shuka /DW

Auch Kurti pocht darauf, dass Kosovo bei den Verhandlungen als eigenständiger Staat behandelt wird: "Die Anerkennung muss im Zentrum und nicht am Ende der Gespräche stehen", sagte er damals im Interview mit der DW. Serbiens Präsident Vucic hingegen gab bei seiner Vereidigung für eine zweite Amtszeit am 31.05.2022 das Versprechen ab, Kosovo wieder zu einem integralen Bestandteil Serbiens zu machen. Vor dem Scholz-Besuch bereitete Vucic die serbische Bevölkerung schon mal auf schwierige Gespräche vor. Im staatlichen Fernsehen sagte er am Montag (6.06. 2022): "Es werden schwierige Botschaften aus Berlin kommen, die uns nicht gefallen werden."

Serbische Schaukelpolitik

Zu den schwierigen Botschaften gehört auch das Thema der EU-Sanktionen gegen Russland. Serbien ist das einzige Land des Westbalkan, das sich den europäischen Maßnahmen nicht angeschlossen hat. Bisher hatte sich der Bundeskanzler mit Kritik zurückgehalten und Serbien sogar dafür gelobt, dass es sich immerhin der UN-Resolution angeschlossen hatte, die die russische Aggression verurteilt. Belgrad habe zwar auf Sanktionen verzichtet, sich aber trotzdem auf die Seite der EU gestellt und damit die den EU-Beitrittskandidaten von Brüssel auferlegten außenpolitischen Vorgaben erfüllt, so Scholz bei Vucics Besuch in Berlin am 4.05.2022.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic am 4.5.2022 zu Besuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz in BerlinBild: Michael Sohn/AP Photo/picture alliance

Die Koalitionspartner des SPD-Kanzlers sprechen eine deutlichere Sprache. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) erklärte Anfang April in Brüssel: "Wenn man Mitglied der EU werden will, ist es wichtig, auch EU-Sanktionen mitzutragen." Eine ähnliche Position vertritt auch die FDP. Die Abgeordnete Renata Alt, ehemalige Berichterstatterin für den Westbalkan und heute Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, forderte den Kanzler auf, klare Bedingungen für den Beitrittskandidaten Serbien zu nennen: "Sollte Serbien weiterhin seine Schaukelpolitik fortsetzen und sich immer weiter von der Demokratie entfernen, so schlage ich vor, Finanzmittel einzufrieren und über eine Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen nachzudenken", so Alt gegenüber der DW.

Nicht nur der Kosovo-Konflikt steht bei der Westbalkanreise des Bundeskanzlers auf der Tagesordnung. In Skopje und Sofia, den beiden letzten Stationen, wird es um den Konflikt zwischen Nordmazedonien und Bulgarien gehen. Die bulgarische Regierung blockiert die EU-Annäherung des kleinen Nachbarlandes. Eine Alternative zu einer raschen EU-Vollmitgliedschaft könnte eine assoziierte Mitgliedschaft sein, so der CDU-Abgeordnete und Balkan-Kenner Knut Abraham: "Wir müssen Modelle überlegen, in denen die Staaten bereits Teile der europäischen Gesetzgebung übernehmen." Insbesondere im Binnenmarkt könnten Nicht-Mitglieder und Kandidaten so schon von den wirtschaftlichen Vorteilen Europas profitieren, bevor sie Vollmitglied werden.