Vettels letztes Mal in Rot
11. Dezember 2020Wenn er nun geht, dann macht Sebastian Vettel das zwar mit einem Lächeln im Gesicht, aber auch mit der geballten Faust in der Tasche seines roten Rennanzugs. Das Saisonfinale in Abu Dhabi (Start am Sonntag um 14:10 Uhr MEZ, DW-Liveticker ab ca. 14 Uhr). Sechs Jahre lang hat der Deutsche vergeblich versucht, im Ferrari die Formel-1-Weltmeisterschaft zu gewinnen. Für Vettel wäre es der fünfte Fahrertitel gewesen, für die Scuderia der erste seit 2007. Das Projekt, das hoffnungsvoll begann und sich gut weiterentwickelte, endet nun unrühmlich und unvollendet.
"Wir waren zweimal nah am Titel, aber es sollte einfach nicht sein", mit diesen Worten blickt Vettel auf die Jahre 2017 und 2018 zurück, als er jeweils hinter Weltmeister Lewis Hamilton WM-Zweiter wurde. In den vergangenen beiden Saisons allerdings, war es für Vettel eher eine Qual, den roten Boliden über die Rennstrecken zu steuern. Der Wagen war nicht mehr konkurrenzfähig, zudem wurden bessere Platzierungen oft durch taktische Fehlentscheidungen vergeben und auch der teaminterne Konkurrent, Charles Leclerc, fuhr Vettel zuletzt regelmäßig davon. Auch in seinem letzten Qualifying konnte Vettel den Teamkollegen nicht schlagen.
Im Frühjahr kam dann die Bekanntgabe der Trennung - im Grunde war es ein Rauswurf. Vettel wäre gerne bei Ferrari geblieben und wollte über eine Vertragsverlängerung sprechen, doch die Scuderia plante ohne ihn und hatte mit Carlos Sainz jr. bereits einen Nachfolger zur Hand. Eine menschliche Enttäuschung, zahlreiche sportliche folgten: In seinem letzten Ferrari-Jahr wird Vettel das schlechteste Endergebnis einfahren, seit er 2008 Stammfahrer in der Formel 1 wurde. Sebastian Vettel hinterlasse "riesige Fußstapfen" bei der Scuderia, lobte Teamchef Mattia Binotto dennoch und zog sogar Vergleiche zu Michael Schumacher und Niki Lauda. Vettel bilanzierte nüchterner: "Wir respektieren uns", sagte er über Binotto in der "Gazzetta dello Sport, "aber zwischen uns ist nie diese Art von Liebe entstanden, die als Fundament dient."
Neue Liebe, neuer Erfolg?
Ob es beim neuen Team, Aston Martin, zwischen Vettel und Teamchef Otmar Szafnauer Liebe wird? Die beiden kennen und schätzen sich seit Jahren. Besonders der US-Amerikaner freut sich auf die Zusammenarbeit. "Durch ihn werden wir lernen, dass in jedem noch so kleinen Detail die Chance liegt, sich zu verbessern", sagte Szafnauer der "Sport Bild". "Wir hoffen, dass er uns beibringt, was wir tun müssen, um wie er vier WM-Titel zu holen."
Vettel nannte den anstehenden Wechsel "eine spannende Reise, in der wir versuchen werden, an die Spitze zu gelangen." Allerdings wird es ihm nicht in erster Linie um den WM-Titel gehen, sondern darum, wieder frustfreie Rennwochenenden zu erleben und regelmäßig auf das Podium zu fahren.
Die Voraussetzungen dafür sind gut. Der Aston Martin wird - wie zuvor der Racing Point - von einem Mercedes-Motor angetrieben und verwendet immer das Aggregat, das im Vorjahr noch bei den Silberpfeilen eingebaut war. Sowohl Vettels neuer Teamkollege Lance Stroll als auch der scheidende Sergio Perez haben bewiesen, dass man mit dem Auto schnell sein kann. Dennoch ist nach wie vor ein Abstand zu den beiden Mercedes gegeben, die wohl auch 2021 wieder mehr oder weniger konkurrenzlos sein werden, wenn sie sich keine eigenen Fehler leisten.
Ex-Weltmeister als "Senioren-Gang"
Für Sebastian Vettel wird Aston Martin das fünfte Team seiner Formel-1-Karriere sein. Seit 2007 fährt der 33-Jährige in der Königsklasse. Gemeinsam mit dem bereits 41-jährigen Kimi Räikkönen, Renault-Rückkehrer Fernando Alonso (39) und Weltmeister Lewis Hamilton (35), der seinen auslaufenden Vertrag bei Mercedes wohl demnächst verlängern wird, bildet Vettel dann eine Art "Senioren-Gang", in der alle vier Mitglieder mindestens einmal Weltmeister waren. Seit 2005 hat immer einer von ihnen den WM-Titel geholt. Einzige Ausnahmen waren die Jahre 2009 mit Jenson Button und 2016 mit Nico Rosberg als Champion.
Neben der Konkurrenz untereinander wird es für die "Alten" auch darum gehen, ihre Claims abzustecken und sich die Jüngeren noch eine Weile vom Leib zu halten. Denn da rücken einige nach und drängen nach vorne. Max Verstappen und Charles Leclerc (beide 23) sind bereits etabliert. Mit dem 21-jährigen Mick Schumacher kommt im nächsten Jahr ein Fahrer neu in die Formel 1, der mit Sicherheit irgendwann um den WM-Titel fahren wird. Sein erstes Jahr bei Haas wird für den aktuellen Formel-2-Champion zwar ein Lehrjahr, und er wird wohl die meiste Zeit nur hinterherfahren, doch dürfte die Scuderia Ferrari, in deren Driver Academy Schumacher im Januar 2019 aufgenommen wurde, in ihren Langzeitplanungen ein Cockpit für ihn bereithalten.
Ohne Skrupel zum eigenen Vorteil
Ein Jahr älter als Schumacher ist George Russell. Der Brite geht 2021 bereits in seine dritte Saison und hat beim Grand Prix von Sakhir gezeigt, zu was er imstande ist, wenn er im richtigen Auto sitzt. Spätestens, wenn Ende 2021 der Vertrag von Valtteri Bottas ausläuft, dürfte Russell bei Mercedes nachrücken. Pierre Gasly (24) hätte nach seiner starken Saison im Alpha Tauri eine Rückkehr ins Red-Bull-Cockpit verdient, aus dem ihn der zuletzt enttäuschende Alex Albon einst verdrängte. Und auch McLaren-Pilot Lando Norris (21) und Lance Stroll (22) fahren regelmäßig in die Punkte.
In der Formel 1 landet niemand, der mit geringem Selbstbewusstsein oder Mangel an Ehrgeiz zu kämpfen hat. Die jungen Fahrer werden sich bemühen, von den Stärken der Älteren zu lernen. Gleichzeitig aber lauern sie auf jede kleine Schwäche, um sie dann ohne Bedauern ausnutzen. Nur wer einigermaßen skrupellos den eigenen Vorteil sucht, schafft es in der Königsklasse nach oben. Die jungen Piloten wissen das, und sie werden danach handeln.
Im Grunde werden sie sich also genau so verhalten, wie es Räikkönen, Alonso, Hamilton und Vettel auch gemacht haben, als sie selbst noch die "Jüngeren" im Fahrerfeld der Formel 1 waren.