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Seelische Wunden der Kölner Silvesternacht

Andreas Gorzewski6. Januar 2016

Die Empörung über das Ausmaß der sexuellen Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof wächst weiter. So langwierig wie die Suche nach den Tätern könnte für einige Opfer auch die persönliche Verarbeitung der Demütigungen werden.

Vor dem Kölner Hauptbahnhof geriet die Lage in der Silvesternacht außer Kontrolle (Foto: dpa)
Vor dem Kölner Hauptbahnhof geriet die Lage in der Silvesternacht außer KontrolleBild: picture-alliance/dpa/M. Böhm

Anna (Name geändert) hat das Gedränge und die vielen Hände, die in der Nacht auf Neujahr zwischen die Beine der Frauen fassten, miterlebt. "Eine Hand, die man wegschob, wurde durch eine andere ersetzt", schildert sie die massenhaften sexuellen Übergriffe vor dem Kölner Hauptbahnhof. Erst im Bahnhof merkte sie, dass ihr Handy gestohlen wurde. "Ich bin direkt zur Polizei im Bahnhof. In der Wache waren auch viele Mädchen, die hemmungslos weinten", erzählt die junge Frau der DW. Doch die Beamten hätten sie wegen des Andrangs an andere Dienststellen verwiesen. "Man merkte den Beamten den Stress sichtlich an, was ich auch verstehe, trotzdem hätten sie wenigstens zuhören können", sagt sie. In ihrer Schilderung schwingen Entsetzen, Unverständnis und Wut mit.

Etwa tausend Männer sollen laut Polizei-Berichten in dem Bereich zwischen Dom und Hauptbahnhof gewesen sein. Aus dieser Menschenmenge sollen sich mehrere Gruppen von jungen Männern gebildet haben, die Frauen gezielt einkreisten, im Intimbereich begrabschten und oft auch ausraubten. Immer mehr Frauen schildern gegenüber TV-Sendern und Zeitungen oder in den Sozialen Medien, was sie dabei durchgemacht haben. Berichte von heruntergerissenen Slips, betatschten Brüsten und des Verdachts von Vergewaltigungen in zwei Fällen rufen bundesweit Entsetzen und Empörung hervor. Bis Mittwoch (6.01.2016) registrierte die Polizei mehr als hundert Anzeigen von sexuellen Übergriffen, Taschendiebstählen und einer Kombination aus beidem.

Kontakt zu Opferhilfe-Vereinen

Opfer sexueller Gewalt oder anderer Verbrechen erleiden oft auch seelische Verletzungen. Wer deshalb Hilfe sucht - was längst nicht alle tun - weiß jedoch meist nicht, an wen sie oder er sich wenden kann. Deshalb erhalten diejenigen, die eine entsprechende Strafanzeige erstatten, von der Polizei ein Faltblatt mit den Kontaktdaten von Opferhilfe-Organisationen.

Bei der Kölner Stelle des Opferhilfe-Vereins "Weißer Ring" meldete sich jedoch zunächst niemand. "Es ist nicht ungewöhnlich, dass Opfer nicht unmittelbar zu uns kommen, sondern erst mal bis zu 14 Tage vergehen lassen", sagt Marianne Weich. Sie arbeitet seit 28 Jahren ehrenamtlich für den "Weißen Ring" in der Domstadt. Viele Betroffene von Verbrechen und Gewalttaten bräuchten erst einige Zeit für sich, bevor sie das Gespräch suchten. Weich hat im Zusammenhang mit dem Hauptbahnhof meist mit Geschädigten von Trickdiebstählen zu tun. Eine solche Welle von sexuellen Übergriffen hat sie in ihrer langen Zeit in der Opferhilfe noch nicht erlebt.

Viele Opfer nicht aus Köln
Auch an den Verein "Kölner Opferhilfe" wandte sich anfangs keine der vielen Frauen, die mittlerweile bei der Polizei Anzeige erstatteten. Ein Grund dafür sei, dass die meisten Betroffenen nicht aus Köln stammten, vermutet der Vereinsvorsitzende und ehemalige Oberbürgermeister Fritz Schramma. Er rechnet aber damit, dass sich in den kommenden Tagen noch Frauen melden werden. Betroffene von Gewalt, Übergriffen oder Verbrechen ganz unterschiedlicher Art bräuchten zunächst ein offenes Ohr. "Viele wollen mit jemandem fachkundig darüber reden, Gehör und Verständnis finden", sagt Schramma.

Wer darüber hinaus professionelle Hilfe braucht und eine mögliche Traumatisierung überwinden will, stößt jedoch auf ein Problem. Sich auf eigene Faust einen Therapeuten oder Psychiater zu suchen, ist schwierig, sagt Weich. "Die meisten Therapeuten geben dem Opfer erst nach einem halben Jahr einen Termin", erläutert die Mitarbeiterin des Weißen Rings.

Die Kölner Polizei verstärkte ihre Präsenz vor dem Hauptbahnhof.Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Antrag auf Behandlungskosten
So lange können traumatisierte Menschen nicht warten. Deshalb vermitteln die Opferhilfe-Organisationen den Kontakt zu einer Trauma-Ambulanz. Dabei geht es auch ums Geld. Die Vereine helfen, Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz zu stellen. "Die Behandlungskosten werden dann vom Landschaftsverband Rheinland übernommen", erklärt Weich.

Die Auseinandersetzung mit der Demütigung, der Schutzlosigkeit und vielen anderen Gefühlen kann lange dauern. Mit einem Gespräch ist es laut der Helferin vom Weißen Ring oft nicht getan. Schramma erzählt von den Erfahrungen des Kölner Vereins: "Wir wissen von vielen Fällen, das so etwas auch nach Jahren wieder aufbrechen kann."

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