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Politik

Seenotretter zwischen Pflicht und Versuchung

10. August 2017

Libyen ist ein schwacher und armer Staat. Daraus entstehen Probleme, auch für die Küstenwache des Landes. Deren Mitarbeiter werden schlecht bezahlt - und sie sehen, wie viel Geld mit Menschenschmuggel zu verdienen ist.

Libyen Küstenwache rettet Flüchtlinge auf dem Mittelmeer
Bild: Getty Images/AFP/T. Jawashi

Gehören sie zur Küstenwache oder sehen sie nur so aus? Bringen sie Flüchtlinge zurück nach Libyen, um sie zu retten - oder nur, um weiteres Geld aus ihnen und ihren Angehörigen herauszupressen? Es ist schwer, in Libyen zwischen offiziellen und selbsternannten Seenotrettern zu unterscheiden, die Verflechtungen zwischen den beteiligten Gruppen und ihren jeweiligen Motiven nachzuvollziehen. 

Nein, seine Leute seien Teil der offiziellen libyschen Küstenwache, erklärt ein Milizenführer aus der Stadt Az-Zawiyah, 50 Kilometer von der Hauptstadt Libyen entfernt direkt am Mittelmeer gelegen, einem Reporter der Washington Post. Vor sechs Jahren habe er gegen den damaligen Staatschef Muammar Al-Gaddafi gekämpft. Darüber seien er und seine Leute dann zu den libyschen Küstenrettern gestoßen, sagt der Mann. Ob sie staatlich kontrolliert werden oder auf eigene Faust operieren, hat sich dem Reporter der US-Zeitung nicht zweifelsfrei erschlossen. Auf den Booten des Milizenchefs und seiner Leute steht jedenfalls die Aufschrift "Libysche Küstenwache".

Die Flüchtlinge, die sie aufgriffen, brächten sie in eigens für Flüchtlinge errichtete Internierungslager. Das sei ihre Aufgabe. Seine Männer, versichert der Milizenführer, seien ausschließlich auf dieses Weise aktiv. Und ja, es gebe auch Boote, die kassierten von den Schleppern Gebühren für jedes einzelne Schiff, das sie ungehindert passieren ließen. Das seien aber keine Mitglieder der Küstenwache. Vielmehr kleideten sie sich nur wie diese. "Und darum denken die internationalen Hilfsagenturen, dass die Küstenwache am Menschenschmuggel beteiligt ist."

Ein libyscher Soldat bewacht gerettete Flüchtlinge nahe TripoliBild: picture-alliance/dpa

Magerer und unsicherer Verdienst

Wer gehört zur libyschen Küstenwache? Die Verhältnisse an der libysche Küste seien schwierig, sagt der Libyenexperte Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, im Gespräch mit der DW.

Die libysche Küstenwache umfasse rund tausend Beamte, die relativ schlecht bezahlt seien. Umgerechnet verdienten sie rund 500 Euro pro Monat; oft sei der Lohn seit Monaten nicht ausbezahlt worden. Umgekehrt verdienten die Schlepper erhebliche Summen. Größere Schiffe machten einen Umsatz von bis zu einer Million Euro pro Fahrt. "Angesichts dieser Situation sind auch Teile  der Küstenwache in das Schlepperwesen involviert."

Dies sei auch darum möglich, weil es der vom Westen unterstützten Einheitsregierung an tatsächlicher Macht fehle. So sei sie auf Unterstützung  durch die unterschiedlichen Milizen angewiesen. "Darum sind auch die Personen auf den Schiffen der libyschen Küstenwache mit den wichtigsten Milizen verbunden."

Rechtstaatliche Standards fehlen

Auch die Internierungslager selbst sind von rechtstaatlichen Verhältnissen oft weit entfernt. Übereinstimmend berichten westliche Reporter und Menschenrechtsorganisationen von schweren Menschenrechtsverletzungen in den Lagern. Demnach herrschen mangelhafte hygienische Zustände. Bisweilen seien die Menschen unterernährt. Sie würden geschlagen und erpresst, Frauen würden vergewaltigt und verkauft. "Es ist also ein hochkriminelles Geschäft, das hier läuft. Schätzungen gehen von einer Größenordnung zwischen einer und anderthalb Milliarden Euro pro Jahr aus", so Günter Meyer. Inzwischen sei das Schlepperwesen einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Libyen, gerade im Süden des Landes. Bis zu 90 Prozent des gesamten dort erwirtschafteten Einkommens gingen in irgendeiner Form auf den Schmuggel zurück.

"Die Flüchtlingszahlen runterbringen"

Ungeachtet dieser Umstände bemüht sich die Europäische Union, die Mittelmeerroute nach und nach zu schließen. "Am Ende werden wir in der Bevölkerung nur daran gemessen, dass wir die Flüchtlingszahlen runterbringen", zitierte das Handelsblatt bereits im Februar einen hochrangigen EU-Beamten. Entsprechend will die EU laut einer Pressemitteilung von Ende Juli die libysche Küstenwache unterstützen und ausbauen. Zu diesem Zweck hatte die EU bereits im April 90 Millionen Euro bereitgestellt. Jetzt sollen noch weitere 46 Millionen Euro investiert werden. Dabei wolle man Sorge tragen, "dass die Menschenrechte geachtet werden", heißt es in dem Papier.

Dass sich menschenrechtliche Standards ernsthaft durchsetzen ließen, bezweifelt Günter Meyer. "Insgesamt sollen rund 500 Angehörige der Küstenwache ausgebildet werden. Wenn man aber weiß, dass diese Leute in das Migranten- und Schlepperbusiness einsteigen und dort ihre eigenen Interessen verfolgen, ist diese Ausbildung durchaus problematisch."

Marine rettet Flüchtlinge aus dem Mittelmeer

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EU versus libysches Hinterland

In Libyen ist der Staat schwach, die allermeisten Menschen leben in Armut. Solange diese beiden Faktoren sich nicht ändern, dürfte die Küstenwache für einen Teil der Libyer ein erstrebenswerter Arbeitsplatz sein, vermutet Meyer. Das Gleiche gelte für den Süden des Landes, wo die Menschen aus dem Subsahararaum nach Libyen einwanderten. Auch dort lasse sich die Migration aufgrund der möglichen gewaltigen Verdienstspannen kaum unterbinden.

Aus dem Süden reisen die Menschen an die libysche Mittelmeerküste. Ob sie von dort weiterkommen, dürfte sich absehbar weiterhin an der Frage entscheiden, wovon sich die Menschen im Umfeld der Küstenwache mehr versprechen: von der Arbeit mit der Europäischen Union oder mit den Schleppern und Schmugglern im libyschen Hinterland.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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