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Politik

Italien: Was juristisch auf Salvini zukommt

3. August 2020

Als Matteo Salvini noch Italiens Innenminister war, profilierte er sich mit harten Entscheidungen gegen Flüchtlinge. Nun sieht er sich einem zweiten Prozess gegenüber. Seenotretter erhoffen sich davon ein Signal.

Kommission stimmt für Prozess gegen Salvini
Bild: picture-alliance/dpa/F. Cimaglia

Als am Wochenende mehrere Boote mit insgesamt rund 250 Menschen an Bord an der süditalienischen Insel Lampedusa anlandeten, ließ eine Reaktion von Matteo Salvini nicht lange auf sich warten. Der ehemalige Innenminister kommentiert nur noch von der Seitenlinie, denn nach einem folgenschweren Fehler im Machtpoker sitzt er seit September 2019 in der Opposition. Darum reagierte der Parteichef der rechtsextremen Lega auf Twitter.

In einem Video ist die Ankunft eines Boots auf Lampedusa mit heiterer Steeldrum-Urlaubsmusik unterlegt. Oben links im Bild spricht verhöhnt der Schriftzug "Touristen für immer" die Schutzsuchenden nach der risikoreichen Überfahrt. Im Tweet darunter wirft Salvini der Regierung vor, "falsche Flüchtlinge und COVID-Positive" zu "importieren" und damit Italien zu ruinieren. "Die Italiener werden ein Urteil ohne Berufung fällen."

Salvini droht weiterer Prozess

Gemeint sind wohl die nächsten Wahlen, zum Beispiel auf regionaler Ebene im Herbst, bei denen Salvinis Lega auf Zugewinne hofft. Salvini bringt sich bereits in Stellung, "nächstes Jahr als Ministerpräsident zurückzukehren", wie er am Samstag sagte. Sicherer ist jedoch derzeit, dass er vor Gericht erscheinen muss. Juristisch aufgearbeitet werden zwei Entscheidungen aus seiner Zeit als Innenminister, bei denen er Boote mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen die Einfahrt verweigerte.

Voll bepacktes Rettungsschiff: Flüchtlinge auf der "Open Arms" bei der Landung auf LampedusaBild: picture-alliance/AP Photo/S. Cavalli

Am Donnerstag votierte eine knappe Mehrheit der italienischen Senatoren nach langer Debatte dafür, Salvinis Immunität aufzuheben. Es geht um den Vorwurf der Freiheitsberaubung - Salvini hatte dem spanischen Rettungsschiff "Open Arms" mit mehr als 100 Männern, Frauen und Kindern an Bord im August 2019 fast drei Wochen lang keine Einfahrt in italienische Gewässer gestattet. Bereits im Februar hatte der Senat in einem ersten Fall die Immunität des Ex-Ministers und Senators aufgehoben, voraussichtlich am 3. Oktober beginnt im sizilianischen Catania der Prozess zur Blockade der "Gregoretti", eines Boots der italienischen Küstenwache mit 131 Migranten.

Es geht um mehr als um einen Politiker und zwei Schiffe

Für Salvini könnten die beiden Gerichtsverfahren durchaus Konsequenzen haben, schätzt Christopher Hein, Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Migrationspolitik und Asylrecht an der LUISS-Universität Rom: "Das Strafgesetzbuch sieht eine verschärfte Strafe vor, wenn die Freiheitsberaubung als Hoheitsakt stattgefunden hat", so der Professor zur DW. Noch schwerer wiege, "wenn sie sich auch auf Minderjährige bezogen hat, was zumindest bei der 'Open Arms' der Fall ist, weniger klar bei der 'Gregoretti'." Dem Ex-Minister müsse aus strafrechtlicher Sicht zudem eine persönliche Handlung nachgewiesen werden.

Sollte Salvini in einem der beiden Prozesse tatsächlich verurteilt werden, wäre seine politische Karriere aber nicht sofort zu Ende. Bevor ein rechtskräftiges Urteil erginge, rechnet Hein mit einem langwierigen Gang durch die Instanzen.

Auf politischer Ebene könnte laut Hein am Ende "die Überzeugung verstärkt werden, dass die Seenotrettung Vorrang vor allen anderen Erwägungen hat".

Der erste Fall, für den Salvini sich verantworten muss: Das Festhalten der "Gregoretti" der Küstenwache (Archivbild)Bild: picture-alliance /AP/L. Azzopardi

"Dieser Prozess ist für uns wichtig - nicht primär, weil Salvini angeklagt wird, sondern weil über eine Vision der Welt und der Politik geurteilt wird" sagt Veronica Alfonsi von der Organisation Sea-Watch, um deren Schiff es in dem jüngsten Fall geht. "Seit 2015 driftet Europa gefährlich ab. Dieser Prozess bietet eine Möglichkeit, eine schmerzhafte Wahrheit wieder klarstellen, nämlich wie unsere Schiffe gestoppt werden und was alles im Mittelmeer passiert ist", so Alfonsi zur DW. Der Prozess ebne den Weg, den Respekt vor Menschenrechten in den Mittelpunkt zu stellen.

Italien nimmt Salvinis Erlasse zurück

Im Januar hatte das oberste italienische Gericht bereits einen Freispruch der deutschen Kapitänin Carola Rackete bestätigt, die mit dem Rettungsschiff "Sea-Watch 3" trotz ausdrücklichen Verbots in italienische Hoheitsgewässer gefahren war. "Das Kassationsgericht hat klargestellt, dass die völkerrechtliche Verpflichtung zur Seenotrettung jegliche nationale Norm überragt", betont Hein, der lange Jahre Vorsitzender des von ihm begründeten Italienischen Flüchtlingsrats war. Das Gericht habe somit "das zweite Salvini-Dekret ausgehöhlt". Die italienische Regierung hatte auf Salvinis Betreiben die unerlaubte Einfahrt für private Rettungsschiffe unter Strafe gestellt.

Gegenspieler: Matteo Salvini im Fernsehen vor einem Monitorbild von "Sea-Watch 3"-Kapitänin Carola RacketeBild: picture-alliance/ZUMA Press/LaPresse/C. Cozzoli

Damals hatte die regierende populistische Fünf-Sterne-Bewegung die vom Koalitionspartner Lega angestoßenen Verschärfungen mitgetragen. Inzwischen regiert sie mit dem linksliberalen Partito Democratico (PD) - beide Partner haben sich kürzlich geeinigt, die Salvini-Dekrete im Wesentlichen zurückzunehmen.

An dieser politischen Entscheidung rüttelt auch nicht, dass die Flüchtlingszahlen jüngst gestiegenen sind, schätzt Christopher Hein. Einrichtungen auf Lampedusa sind bereits zehnfach überbelegt, Ausbrüche aus engen Unterkünften haben Schlagzeilen gemacht. "Man kann nicht von abstrakten Zahlen reden, sondern muss sich anschauen, wer die Menschen sind, die übers Meer kommen. Man muss den Kontext verstehen." Derzeit machten sich vor allem Tunesier auf die lebensgefährliche Reise - was sowohl mit der desolaten Situation für Arbeitsmigranten im Nachbarland Libyen zusammenhänge als auch damit, dass der tunesische Tourismus durch Corona komplett kollabiert sei. Die Chancen tunesischer Staatsbürger auf einen Asylbescheid seien jedoch gering.

Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

03:15

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Dass so viele Flüchtlingsunterkünfte überfüllt sind, liegt auch daran, dass sie immer noch nicht dauerhaft EU-weit verteilt werden, was die von Bootsmigration besonders betroffenen Mittelmeeranrainer wie Italien entlasten würde. Darauf weist auch Christopher Hein hin: "Da gibt es eine Verantwortlichkeit der anderen EU-Staaten und der EU als solcher, die es bis heute nicht geschafft haben, einen solchen Umverteilungsschlüssel wirklich auszuarbeiten. Man kann nur hoffen, dass die deutsche EU-Präsidentschaft da etwas ändern wird."

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