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Politik

Seenot: "Staaten setzen auf Abschreckung"

Nermin Ismail
3. Oktober 2018

Der Seerechtsexperte Alexander Proelß findet es rechtlich problematisch, NGOs die Seenotrettung zu verbieten, ohne für Alternativen zu sorgen. Doch auch die Helfer scheinen einen gravierenden Fehler gemacht zu haben.

Rettungsschiff Aquarius
Bild: picture-alliance/dpa/R. Runza

Aquarius, Seefuchs, Open Arms, Iuventa, Sea-Watch und Sea-Eye - seit Anfang Juli ist keines dieser Rettungsschiffe mehr im zentralen Mittelmeer unterwegs. Dabei kamen alleine im Juni 629 Menschen im Mittelmeer ums Leben. Die Schiffe der verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden in den Häfen von Malta, Lampedusa und Barcelona festgesetzt. Malta alleine blockiert die Ausfahrt von drei zivilen Schiffen. Konkrete Gründe werden nicht angegeben. 

Je nachdem, wo das Schiff registriert ist, erhält es die jeweilige Landesflagge als Zulassung. Nur der Flaggenstaat kann Rechte des Schiffes durchsetzen. Manche Rettungsschiffe, wie die in den Niederlanden registrierte Sea Watch, können korrekte Dokumente vorweisen. Doch bis die maltesischen Behörden alle Fragen mit dem Land geklärt haben, bleibt das Schiff blockiert. 

Momentan gibt es keine Seenotrettung im Mittelmeer. Ist das Handeln der Staaten rechtens? Auf wessen Seite steht das Recht?

Es gibt keinen Rechtsgrund dafür, die Schiffe zu blockieren. Es sind ja keine Piraten, sondern es sind Seenotrettungsorganisationen, die einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet haben, dass weniger Menschen  gestorben sind.

Das kann man relativ klar sagen: Das Recht steht auf Seite der NGOs. Es ist rechtlich nicht zulässig, einfach fremde Schiffe zu beschlagnahmen. Das darf man nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen tun, und die sind im UN-Seerechtsübereinkommen kodifiziert. Sie sind im Falle der NGOs nicht gegeben. Die NGOs haben zum Teil einen schweren Fehler gemacht, weil sie diese Schiffe als "Pleasure Craft" haben registrieren lassen. Das sind private Vergnügungsschiffe. Theoretisch müssten beispielsweise die Niederländer ein Verfahren gegen Malta eröffnen (weil die Sea Watch dort festgehalten wird - d.Red.), aber das möchte offensichtlich niemand. Die Niederländer behaupten, das ist keine ordentliche Registrierung, und weigern sich daher ihre Pflichten als Flaggenstaat wahrzunehmen. Damit können sich die NGOs im Prinzip kaum zur Wehr setzen. Ihnen bleibt nur der Weg, selbst vor Gericht vorzugehen.

Gerichtliche Verfahren dauern bekanntlich lange. Wie kann es jetzt weitergehen? Haben die NGOs Aussicht auf Erfolg?

Alexander Proelß: "Es ist rechtlich nicht zulässig, einfach fremde Schiffe zu beschlagnahmen"Bild: privat

Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit. Das ist Sinn und Zweck, dafür zu sorgen, dass die privaten NGOs nicht mehr weiter diese Aktionen durchführen. Das Problem ist, dass man auf der anderen Seite nicht bereit ist - das gilt vor allem für Italien -, selbst die Aufgaben wahrzunehmen. Es wird momentan im europäischen Rahmen an der Reform der Rechtsgrundlagen der Frontex-Einsätze gearbeitet; es weiß aber niemand, was genau dabei rauskommt. Am Ende geht es darum, dass künftig die Libyer diese Aufgabe übernehmen. Das ist das Schlimmste, weil die Zustände in den Lagern Libyens mit den internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein neutrales Gericht zum Ergebnis kommt, dass die Beschlagnahme rechtmäßig ist. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Gerichte zu einem anderen Ergebnis kommen - aus Gründen des nationalen Rechts.

Ist die Flaggen-Problematik wirklich Grund genug, Schiffe zu beschlagnahmen?

Die Situation ist nicht einfach. Aber eines ist klar: Man darf nicht einfach so fremde Schiffe in einem Hafen festhalten. Insofern handeln Italien und Malta völkerrechtswidrig. Das gilt aber nur dann, wenn die Schiffe vorher ordentlich registriert wurden. In gewissen Fällen ist das zweifelhaft. Die nationalen Gerichte werden mit der falschen Registrierung argumentieren. Bislang ist aber immer noch nicht ganz klar, was den NGOs vorgeworfen wird. Es ist reine Spekulation, was zurzeit betrieben wird. Das zeigt mir alles, dass es ein politisches Spiel ist. 

Was will man mit der Kriminalisierung der Retter erreichen?

Es ist rechtlich problematisch, zivilen Seenotrettungsorganisationen ihr Tun zu verbieten, und nicht dafür zu sorgen, dass die Menschen, die in Seenot geraten, gerettet werden. Das alles lässt nur den Schluss zu, dass es hier um eine bewusste politische Entscheidung geht, um die zivilen Seenotretter aus dem Mittelmeerraum zu verdrängen. Auch um die Menschen, die erwägen über das Mittelmeer nach Europa zu flüchten, davon abzuhalten - indem man sagt, wenn ihr das tut, besteht die Gefahr, dass ihr umkommt und nicht gerettet werdet.

Ist denn eine Lösung in Sicht? Sea-Watch hatte ein Safe Passage, eine Art legalen Korridor für Flüchtlinge, vorgeschlagen. Was wurde aus dieser Idee?

Das wäre natürlich der elegante Weg. In der politischen Situation kann ich mir das aber nicht vorstellen. Vor allen Dingen scheint mir Italien mit der populistisch-rechtskonservativen Regierungskoalition eine Politik zu fahren, die ausschließlich darauf beruht, die Menschen abzuschrecken. 

Ein geretteter Mann umarmt einen Retter auf dem Rettungsschiff "Open Arms"Bild: picture-alliance/AP Photo/O. Calvo

Die Staaten wollen sich nicht für eine klare Lösung einsetzen. Die Bevölkerung ist nicht mehr empathiefähig. Jeder Mensch, der flüchtet, wird per se als Gefahr wahrgenommen. Das erklärt auch, warum die gewählten staatlichen Repräsentanten offenbar auch Angst haben, Verantwortung zu übernehmen in dieser Situation, was aber total inakzeptabel ist.

Wenn keine Seenotretter mehr im Mittelmeer unterwegs sind, heißt das: Es werden mehr Menschen sterben? Oder werden sie es erst gar nicht mehr versuchen? Funktioniert diese Abschreckungsstrategie überhaupt?

Faktisch gibt es große Unsicherheiten. Es gibt offenbar eine Abschreckwirkung. Denn es haben sich deutlich weniger Menschen auf dem Weg gemacht als zuvor. Auf der anderen Seite gibt es Studien, die das widerlegen. Jeder rational denkende Mensch wird jetzt dreimal überlegen, ob er sich auf diese gefährliche Reise macht, wenn es relativ klar ist, dass es keine Rettungsaktionen mehr gibt. Vermutlich wird es also schon einen Einfluss haben. Nur ist das ethisch und moralisch inakzeptabel und auch rechtlich bedenklich.

Meine Forderung ist: Wenn man die NGOs diese Tätigkeit nicht verrichten lassen will, dann muss man selbst als Staat, als EU oder im Rahmen einer NATO-Aktion dafür sorgen, dass die Seenotrettungsaktionen durchgeführt werden. Das wird aber blockiert, weil einige Staaten auf Abschreckung setzen und die anderen das stillschweigend billigen und dulden; dazu gehört auch Deutschland.

Wer trägt dann die Verantwortung für die Menschen, die sterben? Sind es die Staaten, die die Schiffe eingezogen haben?

Das kann man im Prinzip sagen. Aber ist das ein Rechtsverstoß? Das kann ich nicht abschließend beurteilen. Das Recht ist an dieser Stelle nicht eindeutig. Das internationale Recht gibt für eine solche Konstellation nicht genug her. Es hätte sich niemand vorstellen können, dass Staaten so handeln, wie sie das jetzt tun. Das ist wirklich zynisch.

Alexander Proelß ist Jurist und lehrt an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das See- und Umweltvölkerrecht.

Das Gespräch führte Nermin Ismail

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