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Sehnsuchtsort Berlin: Gesichter einer Einwanderungsstadt

Lillie Harman / ak21. November 2014

Berlin strengt sich an, seine Gäste willkommen zu heißen, ob man Asylsuchender ist oder Ausländer. DW-Mitarbeiterin Lillie Harman, selber eine Zugereiste, über Intoleranz und Herzlichkeit in der Hauptstadt.

Grillen Flüchtlinge in Deutschland
Bild: GSBTB

Im vergangenen Sommer war ich auf dem Weg zu einer Verabredung im Berliner Bezirk Kreuzberg. Riesige grünweiße Polizeitransporter voll mit kräftigen, gelangweilt blickenden Beamten blockierten meinen Weg, es war merkwürdig still.

Doch das ist nicht wirklich ungewöhnlich. Fast jedes Wochenende gibt es hier eine Demo oder ein beängstigend großes Aufgebot von Polizeifahrzeugen mit Beamten, die Döner Kebab essen und darauf warten, dass etwas passiert. Um zu einer der gesperrten Straßen zu kommen musste ich einem Beamten meinen Ausweis zeigen, das war ungewöhnlich.

Später erfuhr ich, dass der massive Polizeieinsatz mit der Zwangsräumung von Flüchtlingen aus der Gerhard-Hauptmann-Schule im Zusammenhang stand. Schule und unmittelbare Nachbarschaft waren von Polizei, Protestanten und Presse acht Tage lang belagert worden. Manche sagen, es sei der teuerste Polizeieinsatz in Berlins Geschichte.

Polizeieinsatz bei einer DemonstrationBild: James Robinson

Nach der Zwangsräumung wurden die Flüchtlinge vorübergehend in Hostels untergebracht, waren dann aber obdachlos. Viele ihrer Asylanträge wurden ohne ausführliche Prüfung abgelehnt. Die Flüchtlinge fühlten sich im Stich gelassen und getäuscht, nach einer Reihe gebrochener Absprachen zwischen ihnen und dem Bezirk. Daraufhin haben hunderte Berliner den Flüchtlingen Platz in ihren Wohnungen angeboten, aber das ist natürlich keine langfristige Lösung für die Flüchtlinge.

Offen für andere

In Berlin zeigen viele ihr Mitgefühl und kämpfen für die Rechte von Minderheiten, für ihre Überzeugungen - weshalb ich mich schon immer zu dieser Stadt hingezogen gefühlt habe.

Empathie und Widerspruch gehören zum Charakter Berlins. Auch wenn der Widerstand sich häufig in kleinsten Gruppierungen verzettelt, erzeugen diese Demonstrationen und Aktionen eine Art von Gemeinsinn. Aus einem heillosen Durcheinander entsteht Solidarität.

Die Berliner halten mit ihrer Meinung nicht hinterm BergBild: DW/L. Harman

Besonders in den Bezirken Kreuzberg und Neukölln sieht man Sprüche wie "Flüchtlinge willkommen" und "Wem gehört die Stadt" als Grafitti, auf Flugblättern oder auf Toilettenwänden. Es hat sich herumgesprochen, dass Berlin eine Stadt der Toleranz und Offenheit ist. Viele von uns kommen hierher, um ein Zuhause unter Gleichgesinnten zu finden.

Leben und Leben lassen

Meine lettische Freundin Ieva lebte sechs Jahre in London, bevor sie nach Berlin zog. Wie auch mir, war es ihr in London zu teuer geworden, weniger Jobs, weniger Zeit und weniger Raum für Kreativität.

Wir sprachen über ihre Motive hierherzukommen und was Berlin zu einer Heimat macht. Zur Zeit sei es keine Option, in Lettland zu leben, erklärte sie. Wegen der andauernden Vorurteile sei es schwer, sich offen zu seiner Homosexualität zu bekennen und daher schwierig, einen Partner zu finden oder eine Familie zu gründen. Langsam würde sich diese Einstellung ändern und sie sei sicher, dass sie in Zukunft zurückkehren werde.

Weil Ivea hier eine Wohnung suchte, in der man sie ohne Vorurteile akzeptiert, zog sie in eine Wohngemeinschaft für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Es war ihr wichtig, dass ihre Mitbewohner anderen gegenüber tolerant sind, innerhalb und außerhalb ihrer Gemeinschaft.

Toleranz im Zeichen des RegenbogensBild: picture-alliance/dpa

Ausschlaggebend für ihren Umzug nach Berlin waren die fremdenfreundliche linke Politszene und die kulturelle Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen. Berlin sei eine Stadt, in der politisches Engagement und ungewöhnliches Alltagsleben zusammengehen, eine Stadt, in der sie sich zu Hause fühle.

Die Kehrseite der Medaille

Und trotzdem gibt es hier natürlich auch Intoleranz. Gerade zwei Wochen in Berlin lebend, stieß ich auf Sprüche wie "UK out! Aus out! Spain out! Italy out!". Betrübt fragte ich mich das erste Mal, ob ich wirklich so willkommen war, wie ich dachte.

Ausländerfeindlichkeit ist allgegenwärtig, wenn auch nicht überwältigend. Es gehört ebenso zu Berlin, dass es hier Menschen gibt, die gegen diese negative Haltung kämpfen und nach Lösungen suchen. Wie etwa Lucy von der Integrationsinitiative "Giving Something Back to Berlin". Bei einem Ingwer Tee in einer Neuköllner Kneipe erklärt sie mir, dass die Initiative wegen der wachsenden Spannungen zwischen "alten" und "neuen" Berliner gegründet wurde. Spannungen, die sich besonders gegen die jungen Zugereisten - viele davon aus dem Ausland - richteten, die hier in der Kreativ- und Startup-Szene Arbeit gefunden hatten. Ablesbar wiederum an Sprüchen wie "Touristen raus!" und "Hipster not welcome" die man überall in der Stadt lesen kann.

Wilkommensgruß an einer WandBild: DW/L. Harman

Dabei seien die globalen Migranten auch eine Chance, meint Lucy. Globale Migranten sind mobil, häufig gebildet und ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. In dieser Gruppe liegen ein großes Potential, Talent und die Sehnsucht, in einer Gemeinschaft anzukommen. Das ist es ja, was einen Ort zur Heimat macht.

Beruht das auf Gegenseitigkeit?Bild: DWL. Harman

Das ansteckende Berlin-Gefühl

Für Neuberliner kann es jedoch ganz schön anstrengend sein, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen. Deshalb macht die Integrationsinitiative gemeinschaftsorientierte Angebote für alte und neue Berliner, etwa Altenbesuche in Neukölln, Nachmittagsbetreuung für Schüler und Kochen in Obdachlosenheimen. Außerdem unterstützt die Initiative Flüchtlinge mit Kochgruppen, Sprachstunden, Musikveranstaltungen und anderen Aktivitäten.

Berlin wird niemals eine passive Stadt sein, auch vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte. Identifikation und Aktion ist Teil des Berlin-Gefühls. Und es ist ansteckend für alle, die hierher kommen. Ein Sehnsuchtsort, um sich zu entfalten, politisch und kreativ. So facettenreich wie die abblätternden Farbschichten in meiner Lieblingsbar.

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