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Seitenwechsler unter Beschuss

Jeanette Seiffert4. Januar 2014

Gestern noch Kanzleramtschef, morgen schon Bahnvorstand? Der mögliche Wechsel von Ronald Pofalla (CDU) zur Deutschen Bahn hat eine alte Debatte neu entfacht: Wie viel Nähe zwischen Politik und Wirtschaft darf sein?

Bundeskanzlerin Merkel und Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla in einem TEE-Aussichtswaggon der Deutschen Bahn - Foto: Oliver Berg (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

So schnell kann es gehen: Noch vor ein paar Wochen erklärte Ronald Pofalla (CDU), in der alten Regierung Chef des Kanzleramts, er wolle sich künftig mehr seinem Privatleben widmen. Jetzt wurde bekannt, dass er sich stattdessen vor allem um die Belange der Deutschen Bahn kümmern wird: Schon in diesem Frühjahr könnte er in den Vorstand des Unternehmens wechseln. Das Ressort, das für ihn geschaffen werden soll, umfasst die langfristige Unternehmensstrategie und, besonders heikel: das Pflegen der Kontakte zur Politik.

Der langjährige Vertraute und enge Mitarbeiter von Kanzlerin Angela Merkel mit exzellenten politischen Kontakten als Cheflobbyist der Deutschen Bahn? Die Opposition im Deutschen Bundestag reagierte mit Empörung, und selbst einige Politiker des Koalitionspartners SPD übten Kritik an dem plötzlichen Seitenwechsel des Ex-Kanzleramtsministers.

Staatsunternehmen als Politiker-Endlager?

Dass Ronald Pofalla, eigentlich kein Verkehrsexperte, ausgerechnet bei der Deutschen Bahn einen Job bekommen soll, liegt möglicherweise daran, dass das Unternehmen zu hundert Prozent dem Staat gehört. Für Gerd Aschoff, stellvertretender Vorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn,ist allerdings gerade das ein Problem. Prinzipiell habe er nichts dagegen, wenn Politiker nach dem Ende ihrer Amtszeit in die Wirtschaft wechseln: "Bei der Bahn ist das aber eine spezielle Situation, weil es sich um ein Staatsunternehmen handelt, das in vielerlei Weise abhängig ist vom Bund als Eigentümer", sagt Aschoff im DW-Interview."Und da ist dieser direkte Wechsel natürlich problematisch."

Noch schwerer wiege für ihn aber, dass der CDU-Politiker Pofalla sein Mandat als Bundestagsabgeordneter behalten wolle - für Aschoff ein unüberwindbarer Interessenskonflikt. Darüber hinaus gebe es aber noch ein ganz praktisches Problem, denn schon die Arbeit als Abgeordneter sei ein Vollzeitjob: "Und jetzt will er nebenher einen weiteren Vollzeitjob übernehmen, nämlich einen gut bezahlten bei der Deutschen Bahn - ich meine, das geht schon aus Zeitgründen nicht." Ein Bahnvorstand erhält gewöhnlich zwischen 1,3 und 1,8 Millionen Euro Gehalt pro Jahr.

Pro-Bahn-Vize Aschoff: "Ein direkter Wechsel ist problematisch"Bild: PRO BAHN

Maßgeschneiderter Job für Pofalla?

Christian Humborg, Geschäftsführer der Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI)in Deutschland, sieht grundsätzlich kein Problem darin, wenn Politiker nach ihrer aktiven Zeit in die Wirtschaft wechseln: "Das sollte sogar der Normalfall sein, dass ein Politiker, der seine Karriere beendet hat, einen neuen Job finden kann und da keinen Beschränkungen ausgesetzt ist." Er nennt allerdings eine ganz entscheidende Einschränkung: Die neue Tätigkeit dürfe nicht im Zusammenhang mit der politischen Arbeit zuvor stehen. Das schließe eine reine Lobbytätigkeit definitiv aus, welcher Ex-Politiker offenbar immer häufiger nachgehen. Für diese Fälle fordert TI eine Karenzzeit von drei Jahren nach dem Ausscheiden aus der Politik, um zu verhindern, "dass eine so schnelle Rochade stattfindet". Man wisse dann nämlich nicht mehr genau, ob jemand jetzt gerade für ein Unternehmen oder für den Staat spricht.

TI-Geschäftsführer Humborg: "Drei Jahre Karenzzeit für Seitenwechsler"Bild: picture-alliance/ZB

Im aktuellen Fall von Ronald Pofalla mache es sogar den Eindruck, so Christian Humborg, als ob dieser Posten überhaupt erst für den langjährigen Merkel-Vertrauten geschaffen wurde. Denn aus Sicht des TI-Geschäftsführers gibt es nichts, was den ehemaligen Kanzleramtsminister und Juristen für seinen neuen Job qualifiziert. Er sei deshalb sehr verwundert darüber, "wie jemand, der bisher weder Erfahrung in einem Logistikunternehmen noch in der Strategieplanung hat, jetzt auf einmal Strategiechef eines der weltweit größten Mobilitätskonzerne wird".

Ex-Kanzler berät Gazprom, ehemaliger Verkehrsminister die Autoindustrie

Die Diskussion um Seitenwechsler von der Politik in die Wirtschaft ist nicht neu. Vor wenigen Monaten erst sorgte ein anderer Fall für Aufregung: Der CDU-Politiker Eckart von Klaeden hatte seinen Posten als Staatsminister im Kanzleramt sogar noch inne, als er bekannt gab, als Lobbyist zum Autokonzern Daimler zu wechseln.

Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wurde dafür kritisiert, dass er wenige Wochen nach seiner Abwahl 2005 einen Posten bei der Nord Stream AG übernahm, einem Tochterunternehmen des vom russischen Staat kontrollierten Energiekonzerns Gazprom. Sein Parteikollege Wolfgang Clement wurde kurz nach seiner Tätigkeit als Bundeswirtschaftsminister Aufsichtsrat beim Energieunternehmen RWE. Otto Schily, ebenfalls SPD, setzte sich in seiner Zeit als Bundesinnenminister massiv für die Einführung biometrischer Merkmale in Ausweispapieren ein. Nach seiner Ministerzeit wurde er Aufsichtsratsmitglied bei zwei Unternehmen, die biometrische Anwendungen herstellen.

Schröder (links) bei Pipeline-Eröffnung: Vom Kanzler zum Aufsichtsratschef der BetreibergesellschaftBild: picture-alliance/dpa

Es ließen sich Dutzende weitere Beispiele nennen: Von der CDU-Frau Hildegard Müller, die als Staatsministerin im Kanzleramt zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft wechselte, bis zum Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (ebenfalls CDU), der anschließend beim Verband der Automobilindustrie anheuerte. "Drehtüreffekt" nennt der Journalist und Buchautor Pascal Beucker ("Die verlogene Politik: Macht um jeden Preis") das Phänomen: "Ein Politiker geht durch eine Tür hinaus und kommt dann als Lobbyist zurück, um seine guten Kontakte in der Politik für seinen neuen Arbeitgeber zu nutzen." Das sei zwar in den meisten Fällen legal - aber doch "mindestens anrüchig".

Alle Vorurteile bestätigt?

Ex-Politiker als Türöffner für Wirtschaftsunternehmen? Aus Sicht von Gerd Aschoff von Pro Bahn könnten Posten-Vergaben wie der an Ronald Pofalla im Bahn-Vorstand am Ende beiden Seiten schaden: den Politikern, die ohnehin unter dem Vorwurf leiden, dass sie nur auf ihrem eigenen Vorteil bedacht sind. Und einem Unternehmen wie der Bahn, das ohnehin im Ruf stehe, nur die Interessen der Politik, aber nicht die der Fahrgäste zu bedienen.

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