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GesellschaftDeutschland

Sejnur. RYMEcast. Medien

Gilda-Nancy Horvath
14. April 2023

Sejnur Memisi und seine Familie mussten aus Kosovo nach Deutschland flüchten, als er noch ein Kind war. Heute gehört Sejnur zur jungen Generation der Medienmacher aus der Community der Roma und Sinti in Deutschland.

Sejnur Memisi, Journalist und Roma-Aktivist
Sejnur Memisi, Journalist und Roma-AktivistBild: Delfin Lakatosz

Sejnur Memisi ist seit gut zehn Jahren in der deutschen Medienbranche tätig. 2020 gründete er gemeinsam mit Nino Novakovic RYMEcast, den ersten Podcast von und über Sinti und Roma in Deutschland. Die Sendungen sollen Wissen vermitteln und gleichzeitig das Selbstbewusstsein der Roma und Sinti als Community stärken.

Eine der wichtigsten Missionen des RYMEcast ist daher Aufklärung: Das Wissen aus der europäischen Community wird gebündelt und öffentlich zugänglich gemacht. Dabei beschränkt sich der Podcast nicht auf Roma und Sinti, sondern agiert über ethnische, kulturelle und geographische Grenzen hinweg, sowohl bei der Auswahl der Themen als auch der Gäste, die ins Studio eingeladen werden.

Ein Traum wird wahr 

Bereits Sejnurs Vater hatte vor vielen Jahren im Radio gearbeitet, in seiner Heimatstadt Pristina. Als Kind hatte Sejnur zu Hause spontan Fantasie-Sendungen für die Familie moderiert. Der Weg zum Journalismus schien also vorgezeichnet. Dass Sejnur heute hauptsächlich über Roma und Sinti berichtet, resultiert aus seiner Geschichte, denn er versucht, negative Erlebnisse im Kontext seiner Herkunft zu reflektieren.

Seine Familie musste die Heimat während des Kosovokriegs 1999 verlassen, weil Roma dort verfolgt und ermordet wurden. Sejnur war sieben Jahre alt, als er mit seinen Eltern nach Deutschland kam. Als er in der 6. Klasse war, wären er und seine Familie fast wieder nach Kosovo abgeschoben worden: "Mein Vater ging vor Gericht, um gegen die Abschiebung zu kämpfen. Er konnte nachweisen, dass wir wegen seiner journalistischen Tätigkeit politische Flüchtlinge waren und dass für uns auch dann noch Lebensgefahr bestand, wenn Kosovo als sicheres Herkunftsland eingestuft wird."

Der Journalist und Roma-Aktivist Sejnur Memisi kämpft gegen Antiziganismus und RassismusBild: Privat

Sejnur sieht daher auch die gegenwärtigen Abschiebepraktiken sehr kritisch: "Eine neue Generation wurde in Deutschland geboren, sozialisiert und ausgebildet. Diese junge Generation ist hier zu Hause. Kosovo ist für sie auch heute kein sicheres Herkunftsland, denn jene, die damals Roma verfolgt und ermordet haben, sind heute an der Macht."

Für Sejnur ist es daher völlig klar, dass er versucht, mit seinen Sendungen aktiv gegen Antiziganismus und Rassismus zu wirken.

Vermeintliche Freunde verloren

In Deutschland thematisierte die Familie die eigene Herkunft aufgrund der erfahrenen Verfolgung nicht. Auch Sejnur sprach lange nicht über seine Roma-Wurzeln. Viele seiner Freunde dachten, er hätte türkische oder kurdische Wurzeln - so wie sie. Einige dieser vermeintlichen Freunde verlor er, als er sich in der 8. Klasse zu seiner Herkunft bekannte.

2017 besuchte Sejnur erstmals "Dikh he na bister"("Schau hin und vergiss nicht" in Romani) - ein Bildungs- und Vermittlungsprogramm für Roma und Sinti, das jährlich in Polen, im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, rund um den Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma am 2. August stattfindet.

"Bis dahin hatte ich mich allein gefühlt. Andere Roma und Sinti zu treffen, die sich aktiv mit ihrer Geschichte und Identität auseinandersetzen, hat mir viel Kraft gegeben. Ich habe das erste Mal eine Form der Gemeinschaft gespürt - mit Menschen aus verschiedenen Ländern und Generationen. Das hat mich bestärkt, weiterzumachen."

Ein Jahr später war Sejnur bereits Referent bei "Dikh he na bister". Seine wahren Freunde und seine Familie gaben ihm positive Rückmeldungen zu seinem Engagement für die Community. Er begann mit Workshops und Bildungsarbeit, doch das wurde während der Corona-Pandemie unmöglich. In dieser Zeit kam seine alte Sehnsucht wieder auf, journalistisch zu arbeiten. Gemeinsam mit Nino Novakovic produzierte er 2020 die erste Sendung des RYMEcast.

Sejnur Memisi war 2023 Mitglied der Auswahlkommission für den CIVIS Medienpreis in der Rubrik Audio AwardBild: Privat

Der Podcast findet inzwischen viel Anerkennung: 2022 wurde er für den CIVIS Medienpreis nominiert. 2023 war Sejnur Mitglied der Auswahlkommission für den CIVIS Medienpreis in der Rubrik Audio Award.

Experimentieren mit neuen Formaten

Privat ist Sejnur Fan des deutschen Entertainers und Satirikers Jan Böhmermann. Sejnur gefällt, wie Böhmermann Satire, Unterhaltung und investigativen Journalismus miteinander verbindet. Er selbst könnte sich sogar vorstellen, künftig ebenfalls ein Satireformat zu produzieren.

Allerdings wird dies sicher nicht auf Facebook geschehen: "Facebook ist tot. Instagram bröckelt auch bereits. Dort erreicht man die jungen Leute sicher nicht mehr", sagt er überzeugt.

Viel eher kommuniziere er mit der Jugend auf der Plattform "Twitch". Menschen, die in Live-Beiträgen ihre "Reactions" auf etwas mitteilen, stünden ganz oben im Interesse der jungen Generation. Sein persönliches Interesse liege im ständigen Experimentieren mit neuen Plattformen und Formaten. Dennoch sei er nicht blind gegenüber dem Stil klassischer Formate. Er fühle sich gut, wenn sein Podcast mit einem Radio-Feature verglichen wird - das stehe für Qualität. Und das mache ihn stolz.

Das nächste Experiment - mit Publikum - wird Sejnur Memisi gemeinsam mit seinem Kollegen Nino Novakovic am 20. April 2023 im Staatstheater Hannover während der "Rukeli Trollmann Tage" produzieren. Der Boxer Johann "Rukeli" Trollmann, eine Hannoveraner Ikone, wurde Opfer des Völkermords an den Sinti und Roma während des Nationalsozialismus. Gast der Podcast-Autoren ist Rita Vowe-Trollmann, die Tochter des legendären Sportlers.

Das Experiment, vor Publikum zu arbeiten, will Sejnur im Sommer 2023 in Spanien wiederholen: beim OPRE Empowerment-Symposium des Vereins Save Space e.V., das junge Roma und Sinti aus ganz Europa zusammenbringt.

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