Selbstbestimmungsgesetz: Geschlechtseintrag nun frei wählbar
1. November 2024Von diesem 1. November an können volljährige Personen (ab 18 Jahren) nach dem neuen deutschen Selbstbestimmungsgesetz ihren Namen und ihr Geschlecht in amtlichen Unterlagen ändern oder die Geschlechtsmarkierung ganz streichen lassen. Auch der Vorname kann problemlos der Geschlechtsidentität entsprechend angepasst werden. Zwischen der Antragstellung und der Abgabe der persönlichen Erklärung müssen drei Monate vergehen. Die bislang vorgeschriebenen psychiatrischen Gutachten und gerichtlichen Anhörungen entfallen.
Minderjährige unter 14 Jahren können nicht eigenständig eine entsprechende Erklärung abgeben; aber den Eltern ist das erlaubt. Das Kind muss zustimmen und persönlich beim Standesamt erscheinen. Minderjährige ab 14 Jahren können die notwendige Erklärung zwar schon selbst abgeben, die Erklärung bedarf aber der Zustimmung der Sorgerechtsberechtigten. Stimmen diese nicht zu, könnte diese Zustimmung ein Familiengericht geben.
"Eine historische Reform mit internationaler Bedeutung"
Kalle Hümpfner, im Politikreferat des BundesverbandTrans* (BVT), begrüßt die Tatsache, dass die Selbstanerkennung des Geschlechts nun viel leichter zugänglich und weniger kostspielig werde.
Hümpfner betont im Gespräch mit der DW, dass das neue Verfahren deutlich weniger entwürdigend sei als die bislang übliche gerichtliche Anhörung: "In den Begutachtungen mussten Personen sehr viele persönliche Informationen über sich preisgeben. Da sind viele schlimme Geschichten berichtet worden, in denen Menschen über ihre sexuellen Vorlieben, über Masturbationsverhalten, über die Wahl ihrer Unterwäsche erzählen mussten." In der Hauptstadt Berlin mit einer großen LGBTQI*-Community haben Medienberichten zufolge rund 1200 Menschen bereits einen Antrag gestellt. Auch in anderen Großstädten ist das Interesse groß.
Nyke Slawik ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie gehört zu den ersten Trans-Frauen im Parlament. Maßgeblich hat sie das Gesetz mit ausgehandelt. Es sei eine historische Reform von internationaler Bedeutung, sagt sie der DW. "Ich glaube, dass das ein Zeichen der Hoffnung ist in Zeiten, wo rechtspopulistische Stimmen wieder lauter geworden sind, wo es leider auch Rückschritte gibt in vielen Ländern bei den Rechten von queeren Menschen."
Richard Köhler ist Fachberater für Transgender Europe (TGEU), einem Interessenverband der Trans*Community. Deutschland befinde sich mit der Reform auf dem richtigen Weg, halte nun internationale und europäische Menschenrechtsstandards wieder ein. Deutschland sei das zwölfte Land in Europa, das ein Gesetz über die rechtliche Selbstbestimmung einführe, ergänzt Köhler im Gespräch mit der DW.
"Seien wir ehrlich, es ist ein Thema, das eine kleine Anzahl von Menschen auf sehr persönliche Weise betrifft. Wenn wir ihre Entscheidungen respektieren, schadet das niemandem sonst, aber es hält die Grundwerte der Würde und Freiheit aufrecht, die wir alle teilen." Das Familienministerium rechnet mit 4000 Anträgen pro Jahr.
Mehr Selbstbestimmung für oft ausgegrenzte Menschen
Die Änderungen erleichtern den praktischen Alltag von trans-, intergeschlechtlichen und nicht binären Menschen. Das äußere Erscheinungsbild stimmt mit den amtlichen Papieren überein, was Auslandsreisen ebenso wie Bezahlvorgänge mit Kreditkarten erleichtern wird. Sobald jemand einen Antrag auf Änderung seines Geschlechts und Vornamens gestellt hat, können für mindestens zwölf Monate keine weiteren Anträge gestellt werden. Rechtspopulisten hatten dennoch kritisiert, dass dies dazu führen könne, dass Menschen ihr Geschlecht jährlich ändern lassen würden.
Die Änderung einer Geburtsurkunde führt zu einem enormen bürokratischen Aufwand auch für andere amtliche Dokumente; vom Führerschein bis zum Schulabschlusszeugnis. "Es ist ein enormer Aufwand, seine Dokumente anpassen zu lassen. Niemand macht das einfach so zum Spaß", sagt Kalle Hümpfner vom BundesverbandTrans*.
Reformen bei Inklusion und Geschlechterpolitik im Koalitionsvertrag
Die Dreier-Koalition aus SPD, FDP und Grünen hatte von Anfang an versprochen, auch gesellschaftspolitische Reformen voranzubringen. Die Reform des Geschlechtseintrages gehörte zu den wichtigen Vorhaben, die im Koalitionsvertrag der drei Parteien festgeschrieben wurden. Doch der politische Widerstand war groß. Vor allem die Unionsparteien - also CDU/CSU - sowie die AfD waren dagegen. Doch im April 2024 wurde das Gesetz verabschiedet.
Hümpfner bedauerte, dass Angst und Furcht die Debatte prägten. "Es wurde in dem ganzen Verfahren, also dem Gesetzgebungsverfahren, immer wieder vergessen, dass es hier um Grundrechte geht von einer ausgegrenzten und weiterhin sehr benachteiligten Bevölkerungsgruppe."
Angst und komische Blicke in der Sauna
Zu den Änderungen gehört, dass Eigentümern offenbar das Recht eingeräumt wird, zu entscheiden, ob sie Personen aufgrund ihres Geschlechts den Zugang zu ihren Räumlichkeiten verweigern oder nicht, beispielsweise wenn es um Intimsphäre und Sicherheit geht.
"Es wurde sehr viel über Frauensaunen diskutiert. Wir erleben hier ganz häufig, dass zum Beispiel Transfrauen ganz selten oder nie in Saunen gehen, weil das auch als unangenehm erlebt wird, an diesen Orten zu sein und aufgrund der Körperlichkeit zum Beispiel sehr viel angestarrt zu werden."
Richard Köhler ergänzt, dass auch die Art und Weise, wie die Debatte geführt wurde, erheblich polarisiert habe. Menschen aus der Trans-Gemeinschaft seien angefeindet und belästigt worden. "Wir erleben einen orchestrierten Angriff auf die Demokratie, auf die Gleichberechtigung, auf die Vielfalt in unserer Gesellschaft. Und das ist vorsätzlich und inszeniert und wird massiv finanziert." Transgeschlechtliche Menschen, so Köhler, seien ein leichtes Ziel, weil sie eine so kleine Minderheit darstellten und nur wenige Menschen überhaupt persönlichen Kontakt zu ihnen hätten.
Instrumentalisierung der Ängste von Frauen
Beate von Miquel - Vorsitzende des Deutschen Frauenrates (DF) und selbst Genderforscherin - sagt der DW, das Thema werde politisch instrumentalisiert und sei Teil eines Kulturkampfes. Vor allem rechtsextremistische Gruppen griffen die Debatte auf. "Es ist wirklich auch bitter für die Frauenbewegung, dass das Thema sehr stark spaltet. Wir dürfen uns dadurch aber nicht spalten lassen."
Von Miquel, deren Dachverband 60 Frauenverbände und -gruppen vertritt, warnt davor, die Trans-Gemeinschaft und Frauenorganisationen gegeneinander auszuspielen. "Dahinter steckt die Sorge, dass die Kategorie Frau oder Frauen verschwindet, und dass es nicht mehr um Frauen geht", so Miquel weiter. "Wir werden der Deutsche Frauenrat bleiben. Aber es muss mehr Freiheit und Individualität geben, das Geschlecht - und auch das Frausein - zu leben. Also, es gibt mehr als eine einzige Variante!"
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.