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"Selbstverständliche Fremdenfeindlichkeit"

Alexander Andreev19. März 2016

In den osteuropäischen Medien werden die Flüchtlinge pauschal verunglimpft, die Sprache ist oft fremdenfeindlich. Das hat mit der jüngeren geschichtlichen Erfahrung zu tun, sagt die Kulturwissenschaftlerin Juliana Roth.

Tschechien Protest gegen Flüchtlinge (Foto: CTK Photo/Vaclav Salek)
Bild: picture-alliance/dpa/CTK Photo/V. Salek

DW: Sie stellen eine ansteigende Fremdenfeindlichkeit in Osteuropa fest. Worin liegt dieser Trend?

Juliana Roth: Der Begriff "Osteuropa" ist ein Konstrukt mit erheblicher Geschichte. Er entsteht im westlichen Europa im 18. Jahrhundert und ist von Anbeginn geprägt von der Vorstellung über die östlichen Teile des Kontinents als "anders", "fremd", "unheimlich", häufig auch "zurückgeblieben". Diese Kennzeichen haben sich bis heute kaum verändert. Eigentlich haben die Gesellschaften, die dazu gezählt werden, wenig miteinander gemeinsam. Unterschiedlich sind ihre Religionen, Sprachen, Traditionen, Kulturen und auch ihre jeweilige Geschichte. Ihre Gemeinsamkeiten sind neueren Datums: vor allem die Zwangsjacke des sowjetischen Systems und die sich daraus ergebenden politischen und mentalen Folgen. Eine dieser Folgen ist die gegenwärtig zunehmende Fremdenfeindlichkeit. Sie hängt eng mit der sowjetischen Zeit zusammen.

Jene Gesellschaften waren von der Außenwelt abgeschlossen, extrem immobil, es gab kaum Kontakte zu den Außenwelten, nicht einmal zu den "Brüdervölkern", der Blick war nur nach innen und auf das Eigene gerichtet. Fremde kamen darin kaum vor. Selbst Kontakte zu den ausländischen Studenten aus Afrika und Lateinamerika waren untersagt. Internationalität im eigentlichen Sinne und "Denken über dem Tellerrand hinaus" waren unbekannte Größen.

Der tiefe Wandel nach dem Zerfall des sowjetischen Systems hat viele Unsicherheiten in allen Lebensbereichen gebracht. Die meiste Energie der Menschen war auf die Bewältigung ihres Alltags gelenkt. Das ließ wenige Freiräume für Horizonterweiterung und Zivilität. Bei der Suche nach einer neuen Selbstfindung, nach einer neuen Identität wurde die Grenze zum Anderen, die Teilung nach "Wir und die Anderen" viel bemüht: im Baltikum etwa gegen die Russen, in der Slowakei gegen die Ungarn, in Rumänien gegen die Roma usw. Einen latenten Nationalismus hat es in den Mehrheitsbevölkerungen immer gegeben, aus dem Anlass der Flüchtlingsströme wird er heute aktiviert und vertieft.

Juliana Roth von der LMU MünchenBild: J. Roth

Gilt das nur für "Osteuropa"?

Das Thema "fremdenfeindliches Osteuropa" hat wegen der jüngsten Querelen innerhalb der EU große Aufmerksamkeit erhalten, wobei die genannten Stereotypen von "Osteuropa" gerne bedient werden. Gleichzeitig beobachten wir aber auch einen starken Ruck zur Fremdenfeindlichkeit in ganz Europa - wo ist also hier das spezifisch "osteuropäische"? Fremdenangst ist etwas allgemein Menschliches. Eine subjektive emotionale Reaktion auf Unbekanntes, Unerwartetes und Bedrohliches. Auch wenn Fremdenangst und –ablehnung generelle Eigenschaften der menschlichen Psyche sind, die wir überall in der Welt antreffen können, so ist doch der Umgang damit von Gesellschaft zu Gesellschaft sehr unterschiedlich.

Generalisiert gesagt: In den "alten" europäischen Demokratien ist Fremdenfeindlichkeit negativ konnotiert und steht unter einer politischen Kontrolle, in den "neuen" Demokratien hingegen ist das Phänomen politisch und gesellschaftlich noch nie unter Kontrolle gewesen. Ich versuche, in den osteuropäischen Medien den aktuellen Flüchtlingsdiskurs zu verfolgen und bin entsetzt über die Freiheit, die man sich dort nimmt, um die Flüchtlinge pauschal zu verunglimpfen. Die Sprache von vielen Politikern und Kommentatoren, aber auch "des gemeinen Mannes" ist wie selbstverständlich hart fremdenfeindlich.

In den osteuropäischen Gesellschaften, die - wie Sie sagen - weniger Erfahrung mit Fremden haben und auf eine kürzere demokratische Geschichte zurückblicken können, dominieren Traditionalismus und Paternalismus über den Liberalismus. Spielt das auch eine Rolle?

Ich bin mit der Formulierung der Frage nicht einverstanden, denn sie geht von einer wertenden Haltung aus. Die westlichen Gesellschaftsmodelle - Demokratie und Liberalismus - werden darin positiv konnotiert, während dem "Osten" die weniger sympathischen Werte wie Traditionalismus, Familismus und Patriarchalismus zugeordnet werden. Wir leben in einer Zeit, in der die Eindeutigkeit solcher Zuschreibungen ins Wanken geraten ist. Die Globalisierung hat in den Gesellschaftsordnungen vieles geändert, vor allem hat sie gezeigt, dass schwarz-weiße Vergleiche wenig Erkenntnisgewinn bringen. Mir scheint es, dass bei der westlichen Betrachtung des postsozialistischen Osteuropa häufig von überholten Paradigmen ausgegangen wird. Ganz im Gegensatz zu Ihrer Annahme: Anders als Deutschland haben alle osteuropäische Gesellschaften historische Erfahrungen des Lebens mit Fremden. Sie waren in ihrer Geschichte Teile von größeren Staatsgebilden, vom Russischen, vom Osmanischen, vom Habsburger Reich. Die Multikulturalität der alten Imperien war - im Vergleich zu den daraus hervorgegangenen Nationalstaaten - enorm, die Vielfalt der Sprachen, Religionen, Traditionen und Kulturen heute kaum vorstellbar. Gemanagt wurde diese Vielfalt allerdings nach anderen Gesichtspunkten, als es uns heute lieb ist: hierarchisch, in einem geregelten ethnischen Nebeneinander. Sehr abweichend von unseren heutigen Vorstellungen von Integration.

In Idomeni warten Zehntausende darauf, nach Nordeuropa weiterreisen zu könnenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Wie schätzen Sie das Tun und Lassen der Politiker in diesen Ländern in Sachen Flüchtlingspolitik ein?

Die osteuropäischen Politiker sind in einer "Sandwich"-Situation. Einerseits müssen sie die Stimmungen ihrer nationalen Wählerschaften beachten – und diese lehnen dominant die Fremden ab. Sie müssen zudem auch ihre innenpolitischen Allianzen zufriedenstellen. Andererseits sind sie in der Pflicht, die gemeinsame Klammer der EU-Beschlüsse einzuhalten. In der Flüchtlingsfrage beobachten wir, wie das Nationale und das Europäische sich zunehmend auseinanderbewegen. Es zeichnen sich gegenwärtig drei Orientierungen ab: offene Konfrontation mit den europäischen Vorgaben, Einnahme von nebelhaften Positionen und das Praktizieren von Doppelzüngigkeit. Das Gemeinsame aller drei Varianten ist der Unwille, der Brüsseler Dominanz zu folgen.

Juliana Roth ist Professorin am Institut für Interkulturelle Kommunikation der LMU München.

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