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PolitikEuropa

Selenskyj erwartet russischen Sturm auf Kiew

25. Februar 2022

Der ukrainische Präsident Selenskyj erwartet in der Nacht auf Samstag den Ansturm der russischen Armee auf Kiew. Er rief die Bevölkerung zur Verteidigung der Hauptstadt auf.

Ukraine-Konflikt - Präsident Selenskyj
Bild: Ukrainian President's Office/ZUMA Press/picture alliance

Hier die wichtigsten Informationen im Überblick:      

  • Russland verhindert Resolution des UN-Sicherheitsrats
  • NATO verlegt Einheiten ihrer schnellen Einsatztruppe
  • Auch Präsident Putin wird mit EU-Sanktionen belegt
  • Erste russische Einheiten dringen nach ukrainischen Angaben in die Hauptstadt Kiew vor
  • Europarat suspendiert Russland wegen Angriff auf Ukraine
  • Hilfswerke und Kirchen fordern Ende der Gewalt in der Ukraine

 

"Das Schicksal des Landes entscheidet sich gerade jetzt", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft auf seinem Telegram-Kanal. Der Feind werde alle seine Kräfte einsetzen, um unseren Widerstand zu brechen, so Selenskyj. Er fügte hinzu: "In dieser Nacht setzen sie zum Sturm auf Kiew an." 

Russisches Veto bei den UN

Russland hat wie erwartet verhindert, dass der UN-Sicherheitsrat den russischen Einmarsch in die Ukraine per Resolution kritisiert. Der russische Vertreter machte bei der Abstimmung am Freitag vom Vetorecht seines Landes Gebrauch. Von den 15 Mitgliedern des Rates stimmten 11 für den Entwurf, China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate enthielten sich.

Dem von den USA und Albanien vorgelegten Entwurf zufolge sollte das Gremium die "Aggression" Russlands gegen die Ukraine "auf das Schärfste verurteilen". In den Stunden vor der Abstimmung war der Text noch abgeschwächt worden.

NATO verlegt Einheiten

Die NATO verlegt zur Abschreckung Russlands Einheiten ihrer schnellen Eingreiftruppe NRF. Das kündigte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einer Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der 30 Bündnisstaaten an. Wohin die Einheiten verlegt werden, sagte er zunächst nicht. Er sprach lediglich von mehreren Tausend Soldaten, die auf dem Land, auf der See und in der Luft im Einsatz sein sollten.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur könnten Bodentruppen in das südwestlich der Ukraine gelegene Rumänien geschickt werden. Ohnehin geplant ist, NRF-Einheiten zu einer Übung in das an Russland grenzende NATO-Land Norwegen zu entsenden.

Die NATO-Mitgliedsländer konferieren bei einem virtuellen Treffen Bild: Michel Euler/REUTERS

Es sei das erste Mal, dass Teile der NRF im Zuge der Abschreckung und Verteidigung des Bündnisgebiets verlegt würden, sagte Stoltenberg. Die Staats- und Regierungschefs der 30 Mitgliedstaaten betonten in einer Erklärung, die Maßnahmen seien "präventiv, verhältnismäßig und nichteskalierend.“ Auch Deutschland wird für den Schutz der NATO-Partner im Osten Europas weitere Soldaten und Waffensysteme stellen.

EU-Sanktionen gegen Putin und Lawrow

Zuvor hatte die Europäische Union "harte" Sanktionen gegen Russlands Staatschef Wladimir Putin und seinen Außenminister Sergej Lawrow verhängt. Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten verabschiedeten einen entsprechenden Rechtsakt. Die EU habe ein Sanktionspaket aufgelegt an Wirtschafts- und Finanzsanktionen, aber eben auch an Sanktionen gegen diejenigen, die für diese furchtbaren Taten an den Menschen in der Ukraine verantwortlich sind", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Rande des EU-Außenministerrats in Brüssel. "Das wird Russland ruinieren", betonte Baerbock. Nach der Europäischen Union verhängten auch die USA und Großbritannien Sanktionen gegen Putin und Lawrow.

Außenministerin Annalena Baerbock: "Sanktionen werden Russland ruinieren"Bild: Valeria Mongelli/AP/picture alliance

"Wir treffen das System Putin dort, wo es getroffen werden muss: eben nicht nur wirtschaftlich und finanziell, sondern in seinem Machtkern", sagte Baerbock. "Deshalb listen wir nicht nur Oligarchen, deshalb haben wir bereits nicht nur zahlreiche Abgeordnete gelistet, sondern wir listen jetzt auch den Staatspräsidenten, Herrn Putin, und den Außenminister, Herrn Lawrow." Beide seien dafür verantwortlich, "dass unschuldige Menschen in der Ukraine sterben, sie sind dafür verantwortlich, dass das internationale System mit Füßen getreten wird".

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg bestätigte, dass sich die neuen Sanktionen der EU auch direkt gegen Putin richten. "Wir reagieren jetzt, indem wir Putin und sein System isolieren", sagte er vor Beratungen der EU-Außenminister. Konkret will die EU offenbar wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine die Vermögen Putins und Lawrows einfrieren. Darauf hätten sich die 27 Mitgliedstaaten der EU geeinigt.

Russland kritisierte die Sanktionen des Westens gegen
Präsident Putin und Außenminister Lawrow.
Das sei ein Beispiel für eine absolute außenpolitische Schwäche, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, im Staatsfernsehen. 

Russische Soldaten erreichen Kiew

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums sind erste russische Einheiten in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen. Russische "Saboteure" hielten sich im Norden Kiews auf, teilte die Behörde auf Facebook mit. Das Ministerium rief die Bevölkerung auf, sogenannte Molotow-Cocktails zum Kampf vorzubereiten und Sichtungen über russische Militärtechnik zu melden. Einwohner sollten ihre Wohnungen nicht verlassen.

Zuvor hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärt, die Metropole werde mit Raketen attackiert. Auf Twitter schrieb Kuleba: "Schrecklicher russischer Raketenbeschuss auf Kiew. Das letzte Mal, dass unsere Hauptstadt etwas Ähnliches erlebt hat, war 1941, als sie von Nazi-Deutschland angegriffen wurde."

Am frühen Freitagmorgen (Ortszeit) hatten Zeugen von Explosionen im Stadtzentrum von Kiew berichtet. Ein Berater des Innenministeriums, Anton Gerachtschenko, schrieb auf Telegram: "Attacken auf Kiew mit Marschflugkörpern und Raketen haben gerade wieder eingesetzt. Ich habe zwei starke Explosionen gehört." Gerachtschenko zufolge landete die ukrainische Armee einen Treffer und brachte ein feindliches Flugobjekt zum Absturz, dessen Trümmer dann ein neunstöckiges Haus in Brand gesetzt hätten.

Ein ukrainischer Soldat inspiziert Wrackteile eines abgestürzten Flugzeuges in KiewBild: Vadim Zamirovsky/AP/dpa/picture alliance

Moskau dementiert

Russland zufolge dementiert jedoch, Raketen auf Kiew abgeschossen zu haben. Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums erklärte, bei dem am Freitagmorgen über Kiew abgeschossenen Kampfjet habe es sich um ein ukrainisches Militärflugzeug gehandelt, das von der eigenen Seite getroffen worden sei. Die widersprüchlichen Darstellungen lassen sich - ebenso wie zahlreiche andere Aussagen der Konfliktparteien - derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs liefert sich das eigene Militär heftige Gefechte mit russischen Angreifern im Kiewer Gebiet. In Iwankiw rund 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt hätten sich Fallschirmjäger einer "überwältigenden" Anzahl russischer Truppen entgegengestellt, die mit gepanzerten Fahrzeugen vorrückten. Eine Brücke sei zerstört worden.

Menschen suchen Schutz in einem Keller eines Gebäudes in KiewBild: Emilio Morenatti/AP/dpa/picture alliance

Auch auf dem strategisch wichtigen Flugplatz Hostomel nordwestlich von Kiew werde gekämpft, teilte der Generalstab weiter mit. Medienberichten zufolge griffen russische Soldaten überdies den Flughafen der Stadt Riwne im Westen an. Aus Sumy im Nordosten des Landes nahe der russischen Grenze wurden ebenfalls Kämpfe gemeldet.

Selenskyj: "Das wird nie vergeben werden"

Unterdessen werden Wehrpflichtige und Reservisten zur Verteidigung ihres Landes eingezogen. Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnete ein Dekret zur Generalmobilmachung. Die Anordnung gilt für 90 Tage. Zudem dürfen männliche Staatsbürger im Alter von 18 bis 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen.

Ukrainische Soldaten beziehen unter einer Brücke in Kiew PositionBild: Emilio Morenatti/AP/picture alliance

Nach dem Einmarsch Russlands bleibt die Lage in den Kampfgebieten unübersichtlich. Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maljar erklärte, die russischen Streitkräfte hätten etwa 2800 Soldaten und 80 Panzer verloren. Zudem habe die Armee etwa 516 gepanzerte russische Kampffahrzeuge, zehn Flugzeuge und sieben Hubschrauber vernichtet. Das russische Verteidigungsministerium teilte hingegen mit, es gebe keine Verluste. Russland erklärte weiter, man habe 118 ukrainische Militärstandorte zerstört. 

Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte in der Nacht zum Freitag gesagt, dass bei den Kämpfen bis dahin 137 Militärangehörige und Zivilisten getötet und Hunderte von Menschen verletzt worden seien. Das UN-Menschenrechtsbüro erklärte, es gebe Berichte über mindestens 127 zivile Opfer in der Ukraine, davon 25 Tote und 102 Verletzte. Die eigentliche Zahl dürfte aber weitaus höher liegen. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace hatte am Morgen die Zahl der Opfer auf russischer Seite auf mehr als 450 geschätzt.

Widerstand stärker als erwartet

Der Vorstoß der russischen Streitkräfte in der Ukraine verliert nach Darstellung der USA etwas an Dynamik. Der Widerstand in der Ukraine sei größer als von der Führung in Moskau erwartet, sagt ein ranghohes Mitglied des US-Militärs. Die militärische Kommandogewalt der Ukraine sei intakt. Russland greife hauptsächlich militärische Ziele an. Aber auch Wohngegenden seien von Raketen getroffen worden.

Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, beobachtet die Lage in der Ukraine mit zunehmender Besorgnis. Er erinnere all jene, die Kampfhandlungen auf dem Gebiet der Ukraine ausführten, daran, dass sein Büro jeden Akt von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen in der Ukraine untersuchen könne, teilte Khan mit.

Macron: Telefonat ohne Wirkung

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefonierte - nach eigenen Angaben auf Bitten Selenskyjs - mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er habe Putin in dem "offenen, direkten und kurzen" Gespräch aufgefordert, die Kämpfe in der Ukraine so rasch wie möglich zu beenden, sagte Macron nach einem EU-Krisengipfel in Brüssel.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin (Archivbild)Bild: Sarah Meyssonnier/AP Photo/picture alliance

Mit Verweis auf die anhaltenden Kampfhandlungen in der Ukraine gestand Macron ein: "Es hat keine Wirkung gezeigt, das sehen Sie im Moment ganz deutlich, da der russische Präsident den Krieg gewählt hat." Das Telefonat war das erste bekanntgewordene Gespräch eines westlichen Politikers mit Putin nach dessen international scharf kritisiertem Einsatzbefehl.

Gesprächsbereitschaft des Kreml?

Russland erklärte sich nach Angaben des Kreml inzwischen bereit zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine. Moskau könne eine russische Delegation zu Gesprächen in die belarussische Hauptstadt Minsk schicken, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Später teilte der Kremlsprecher mit, die ukrainische Seite habe im Gegenzug die polnische Hauptstadt Warschau als Verhandlungsort vorgeschlagen. Präsident Selenskyj hatte das Angebot für ein Treffen dem russischen Staatschef Putin zweimal unterbreitet.

Zuvor hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow ebenfalls von einer Gesprächsbereitschaft im Ukraine-Konflikt gesprochen – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. "Wir sind jederzeit zu Verhandlungen bereit, sobald die ukrainischen Streitkräfte auf unsere Aufforderung reagieren und ihre Waffen niederlegen", sagte Lawrow in Moskau. Die russischen Truppen würden das Land von "Unterdrückung" befreien wollen, fügte er hinzu.

Merkel: "Tiefgreifende Zäsur in der Geschichte Europas"

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den russischen Einmarsch in die Ukraine scharf verurteilt. "Dieser Angriffskrieg Russlands markiert eine tiefgreifende Zäsur in der Geschichte Europas nach dem Ende des Kalten Krieges", schreibt sie in einer Erklärung. "Für diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts gibt es keinerlei Rechtfertigung, ich verurteile ihn auf das Schärfste." Sie verfolge die Entwicklung mit größter Sorge und Anteilnahme.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief den russischen Präsidenten auf, den Militäreinsatz in der Ukraine zu beenden. "Stoppen Sie den Wahnsinn dieses Krieges, jetzt", erklärte Steinmeier in Berlin. Putin habe "unter lügnerischen Vorwänden einen Angriffskrieg gegen die Ukraine entfesselt". Es drohe "Tod und Verwundung, Zerstörung, Vertreibung, vieltausendfaches Leid ganz in unserer Nähe". Es sei furchtbar, was die Menschen dort jetzt durchleben müssten. Steinmeier betonte, niemand wolle eine Feindschaft mit dem russischen Volk. Aber dieses Unrecht könne nicht ohne deutliche Antwort bleiben, sagte das deutsche Staatsoberhaupt. Deutschland werde seinen Teil dazu beitragen, um Wladimir Putin von Gewalt gegen Partner im Bündnis abzuschrecken.

Außergewöhnliche Aktion des Papstes

Papst Franziskus hat mit einem ungewöhnlichen Schritt auf den russischen Einmarsch in die Ukraine reagiert. Er ging persönlich in die russische Botschaft im Vatikan, wie der Kirchenstaat mitteilte. Dort habe er dem Moskauer Botschafter seine Besorgnis über die russische Invasion mitgeteilt. Beobachtern zufolge ist es das erste Mal, dass ein Papst während eines Konflikts direkt eine Botschaft aufgesucht hat. Gewöhnlich werden Botschafter vom Staatssekretariat des Vatikans einberufen. Franziskus hatte sich bereits vor dem Einmarsch um eine diplomatische Lösung des Konfliktes bemüht.

UN-Generalsekretär António Guterres rief Putin auf, die Truppen zurückzuziehen. "Stoppen Sie den Militäreinsatz!", forderte Guterres. Der russische Einmarsch sei "inakzeptabel, aber er ist nicht unumkehrbar". Die Entscheidungen der kommenden Tage "werden unsere Welt formen" und direkten Einfluss auf das Schicksal von Millionen von Menschen haben. "Es ist nicht zu spät, um diese Generation vor der Geißel des Krieges zu bewahren", sagte Guterres in New York. Er kündigte 20 Millionen Dollar (18 Millionen Euro) an Soforthilfe für die Opfer des Konflikts an. Außerdem würden die UN ihre humanitären Einsätze "in und rund um die Ukraine" verstärken. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind rund 100.000 Menschen in der Ukraine auf der Flucht.

Europarat suspendiert Russland

Der Europarat hat Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine suspendiert. Die Teilnahme russischer Diplomaten und Delegierter an den wichtigsten Gremien der europäischen Organisation sei wegen des "bewaffneten Angriffs" auf die Ukraine "mit sofortiger Wirkung" ausgesetzt, teilte der Europarat mit. Das Land bleibt allerdings formell Mitglied. 

Großbritannien hatte bereits am Donnerstag seinen Luftraum für die russische Airline Aeroflot gesperrt hatte. Auch Moldau verbannte russische Maschinen am Donnerstag aus seinem Luftraum. Im Gegenzug sperrte Russland am Freitag seinen Luftraum für alle britischen Fluggesellschaften oder Airlines mit Sitz in Großbritannien. Das schließt auch Überflüge etwa nach Asien ein.

Kirchen mahnen zum Ende der Gewalt 

Angesichts der anhaltenden russischen Attacken auf die Ukraine fordern Kirchen und Hilfsorganisationen ein Ende der Gewalt. Vertreter der christlichen Kirchen riefen für Sonntagabend zu Friedensgottesdiensten und Gebeten für die Ukraine auf. "Unsere Bestürzung und Beklemmungen angesichts des Krieges tragen wir im Gebet vor Gott, der sich am Ende immer als mächtiger erweist als die Mächtigen dieser Erde", sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, sprach der Ukraine die Solidarität aus und würdigte länderübergreifende Proteste gegen das Vorgehen Russlands. In vielen deutschen Städten sind für das Wochenende Solidaritäts- und Friedenskundgebungen geplant. Zu einer großen Friedensdemonstration in Berlin ruft für Sonntag ein Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen auf.

 

USA verurteilen "Geiselnahmen" in Tschernobyl

Das ukrainische Militär bestätigte inzwischen, dass die Russen die Sperrzone um die Atomruine von Tschernobyl erobert haben. Zuvor hatte sich das Weiße Haus über "glaubhafte Berichte" von ukrainischen Offiziellen empört gezeigt, wonach russische Truppen die Besatzung des 1986 havarierten Kernkraftwerks als Geiseln genommen hätten. "Wir verurteilen das und fordern ihre Freilassung", sagte Sprecherin Jen Psaki in Washington. Die USA hätten keine Informationen über den Zustand der Anlage, die nach wie vor massiv radioaktiv verseucht ist. Die Geiselnahme könne jedoch die Instandhaltung beeinträchtigen; sie sei "höchst alarmierend und sehr besorgniserregend". Das ehemalige Kraftwerk liegt auf dem direkten Weg zwischen Belarus und Kiew.

Die Kernschmelze im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl war der schwerste Reaktorunfall des 20. JahrhundertsBild: Zufarov/AFP/Getty Images

Russland erklärte, Fallschirmjäger würden nach Tschernobyl gebracht, um dort den stillgelegten Atomreaktor zu bewachen, der unter einer Schutzhülle liegt. Die Strahlung rund um das Kraftwerk sei normal, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Dagegen meldete die ukrainische Nuklearbehörde, sie habe Kenntnis von deutlich erhöhten radioaktiven Werten in Tschernobyl.

Ukraine fordert SWIFT-Ausschluss Russlands

Die Europäische Union und die USA hatten mit weitreichenden Strafmaßnahmen gegen Russland reagiert - dabei jedoch bislang keinen Ausschluss aus dem SWIFT-System verhängt. Selenskyj forderte die EU auf, Russland mit einem solchen Schritt die Mittel zur Fortsetzung seiner Aggression zu entziehen. SWIFT ist ein zentrales System für internationale Überweisungen; ein Ausschluss Russlands würde eine weitgehende Abkopplung von den Zahlungsströmen bedeuten.

In der EU gehört auch Deutschland zu den Mitgliedsstaaten, die den Schritt aus strategischen Gründen noch zurückhalten wollen: Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, man müsse sich über die letzten Beschlüsse hinausgehende Maßnahmen "aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun". Am Donnerstagabend (Ortszeit) hatten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitglieder bei einem Sondergipfel in Brüssel weitreichende Sanktionen gegen Russland beschlossen. Einer Mitteilung zufolge zielen die Strafmaßnahmen vor allem auf den Finanz-, Energie- und Technologiesektor ab.

Russische Banken geben sich unbeeindruckt von Sanktionen

In den USA sollen fünf der größten russischen Banken vom Zahlungsverkehr in Dollar abgeschnitten werden, indem inländische Banken die Verrechnungskonten der russischen Institute schließen müssen. Ein entsprechendes Dekret von Präsident Joe Biden soll binnen 30 Tagen greifen. Der russische Marktführer Sberbank erklärte, der Betrieb laufe normal. Die russische Zentralbank teilte mit, die Banken seien gut gegen die Sanktionen gewappnet. Sie seien in der Lage, Devisen bei Anforderung ihrer Kunden auszuzahlen. Die Notenbank erklärte, sie werde Banken mit Liquidität in Rubel und ausländischen Währungen unterstützen.

Die ukrainische Zentralbank untersagte derweil den Zahlungsverkehr an Einrichtungen in Russland und Belarus. Zudem verbot sie Transaktionen mit den Währungen beider Länder. Deutschland setzte die sogenannten Hermesbürgschaften für Russland bis auf weiteres aus, wie eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums bestätigte. Zuvor hatte das "Handelsblatt" über den Schritt berichtet. Mit diesen Garantien sichert die Bundesrepublik deutsche Unternehmen bei deren Exporten gegen Ausfallrisiken ab.

Russland kontrolliert wichtige Wasserstraße

Nach Angaben aus Moskau übernahmen eigene Truppen die Kontrolle über eine wichtige Wasserstraße auf der annektierten Halbinsel Krim. Russische Einheiten seien bis in die Stadt Cherson vorgedrungen, teilte die Armee in Moskau mit. Dadurch könne die Blockade des Nord-Krim-Kanals beendet und die Wasserversorgung der Krim wiederhergestellt werden.

Die ukrainischen Behörden hatten die Wasserzufuhr durch den Nord-Krim-Kanal, der 85 Prozent des Wasserbedarfs der Krim abdeckte, nach der Annexion der Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 gekappt. Seitdem herrscht akuter Wassermangel auf der Krim, insbesondere während der Dürreperioden im Sommer. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft auf der Halbinsel.

Große Solidaritätsaktionen im Baltikum

In den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland versammelten sich zahlreiche Menschen, um ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung zu bekunden. In der litauischen Hauptstadt Vilnius kamen Tausende auf dem Unabhängigkeitsplatz vor dem Parlament zusammen. Regierungschefin Ingrida Simonyte erinnerte bei der Kundgebung an den litauischen Freiheitskampf im Januar 1991, der damals auch von vielen Ukrainern unterstützt worden sei. "Jetzt ist die Stunde der Ukraine, und wir sollten sie gleichermaßen unterstützen". Litauen hatte sich damals als erste Teilrepublik aus der sowjetischen Zwangsherrschaft gelöst; alle drei baltischen Staaten sind heute Mitglieder der EU sowie der NATO.

China will Staatsbürger ausfliegen

Die chinesische Botschaft in Kiew rief chinesische Staatsbürger auf, sich bis Sonntag für eine Ausreise mit Charterflügen registrieren zu lassen. Wann die ersten Flüge starten sollen, wurde nicht mitgeteilt. Dies hänge auch von der Sicherheitslage ab. Nach Angaben Pekings halten sich derzeit rund 6000 Chinesen in der Ukraine auf.

China beteiligt sich nicht an westlichen Sanktionen gegen Russland - im Gegenteil: Peking erweiterte am Donnerstag sogar die Möglichkeit zur Einfuhr russischen Weizens und eröffnete Moskau somit einen alternativen Absatzmarkt. Der chinesische Außenminister Wang Yi hatte gegenüber seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow Verständnis für die "begründeten Sicherheitsbedenken" Russlands geäußert. Zugleich betonte Yi in dem Telefonat nach Beginn der russischen Offensive, China habe immer "die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektiert".

"Vollständige Lufthoheit"

Ein westlicher Geheimdienstvertreter sagte der Nachrichtenagentur AFP, Russland habe die "vollständige Lufthoheit" über die Ukraine erlangt. Die Ukraine habe "keine Luftwaffe mehr, um sich zu schützen". Er gehe davon aus, "dass die Russen in den kommenden Stunden versuchen werden, eine überwältigende Macht um die Hauptstadt zusammenzuziehen", sagte der Geheimdienstvertreter.

Das ukrainische Militär rechnet damit, dass russische Streitkräfte Kiew und die ukrainische Schwarzmeerküste abriegeln wollen. So könnten sie einen Landkorridor schaffen, der die 2014 von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim mit dem weiter westlich gelegenen Transnistrien verbindet. Das Gebiet gehört zur Republik Moldau, wird jedoch von pro-russischen Separatisten kontrolliert.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte kurz vor dem Einmarsch in einer TV-Ansprache die Entwaffnung und "Entnazifizierung" der Ukraine angekündigt. Dem Angriffskrieg vorausgegangen waren monatelange Truppenaufmärsche in russischen und belarussischen Grenzgebieten zur Ukraine sowie die Anerkennung zweier selbsternannter "Volksrepubliken" in der Ostukraine, die Russland seit 2014 destabilisiert hatte. Die demokratisch gewählte ukrainische Regierung unter Präsident Selenskyj treibt die von der Bevölkerung mehrheitlich unterstützte Westbindung der früheren Sowjetrepublik voran.

jj/haz/pg/ehl/mak/kle (dpa, afp, ap, rtr)

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