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PolitikBelgien

Ukraine kann französische Waffen in Russland einsetzen

Veröffentlicht 28. Mai 2024Zuletzt aktualisiert 28. Mai 2024

Der ukrainische Präsident wiederholte seine Forderung in Belgien. Frankreich erlaubt daraufhin, den Einsatz seiner Waffen gegen Stellungen in Russland - unter bestimmten Bedingungen. Kanzler Scholz gerät unter Druck.

Die belgische Verteidigungsministerin Dedonder, Präsident Selenskyj, Premier De Croo am Luftwaffenstützpunkt Melsbroek
F-16 Maschinen aus Belgien gehen in die Ukraine: die belgische Verteidigungsministerin Dedonder, der ukrainische Präsident Selenskyj, der belgische Premier De Croo (v.l.n.r.)Bild: Piroschka Van De Wouw/REUTERS

Auf einem Fliegerhorst nahe der belgischen Hauptstadt Brüssel besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Luftwaffen-Piloten und Techniker aus der Ukraine, die hier an westlichen Kampfjets vom Typ F-16 ausgebildet werden. Im Schnellverfahren lernen die Soldaten aus der Ukraine, wie die Jets aus amerikanischer Produktion geflogen und gewartet werden.

Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo versprach, dass Ende des Jahres die ersten F-16 an die Ukraine ausgeliefert werden sollen. Aus Dänemark, den Niederlanden und Norwegen sollen die ersten Kampfflugzeuge im Laufe des Sommers in die Ukraine geschickt werden. Bis 2028 sollen aus Belgien insgesamt 30 Jets an die ukrainische Luftwaffe geliefert werden. Insgesamt belaufen sich die westlichen Zusagen auf über 70 Maschinen. Aus militärischer Sicht sind die F-16 sehr wertvoll, weil sie über hochsensible Radarsensoren verfügen, die russische Luftabwehrstellungen besser finden können als die bislang von der Ukraine genutzten Kampfflugzeuge, die noch aus Sowjetzeiten stammen.

Westliche Beschränkungen auch für F-16

Allerdings kommen die modernen Maschinen mit politischen Einschränkungen. Der belgische Premier bestätigte, dass die F-16 nur im ukrainischem Luftraum und nicht über dem Gebiet des russischen Angreifers eingesetzt werden dürfen. Diese Beschränkung, die auch für viele andere Waffensysteme wie Artillerie, Raketen und Marschflugkörper aus westlichen Beständen gilt, will der ukrainische Präsident Selenskyj möglichst schnell loswerden.

Sicherheitsabkommen in Brüssel unterschrieben: Wolodymyr Selenskyj (li), Alexander De CrooBild: Pool Didier Lebrun/Belga-Pool/dpa/picture alliance

Wolodymyr Selenskyj schilderte, dass russische Truppen von Russland aus die grenznahe ukrainische Stadt Charkiw angriffen, Zivilisten töteten und Infrastruktur zerstörten. Die ukrainische Armee könne aber nicht zurückschießen, weil sie zugesagt habe, russische Stellungen auf russischem Gebiet nicht anzugreifen. "Wir können uns nicht wehren und das ist unfair", sagte Selenskyj gegenüber Reportern in Brüssel. 

Westliche Militärs in Brüssel pflichteten ihm bei, ohne namentlich genannt werden zu wollen. Aus militärischer Sicht sei es ganz klar nötig, die Stellungen des Feindes, Nachschubwege und Flugplätze auch auf seinem eigenen Territorium zu bekämpfen. Ansonsten könne man sich nicht wirkungsvoll verteidigen oder gar den Krieg gewinnen.

Wende in Frankreich

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, gerade auf Staatsbesuch in Deutschland, erhört die Bitte des ukrainischen Präsidenten überraschend schnell. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in Meseberg sagte Macron am Abend, die Ukraine könne von jetzt an russische Stellungen, die nahe der Grenze liegen, auch mit französischen Waffen bekämpfen. Angriffe auf zivile Ziele tief im russischen Landesinnern seien aber weiterhin tabu. 

Deutschland hatte der Ukraine bei der Lieferung auch Auflagen gemacht, weil Kanzler Scholz befürchtet, dass Russland NATO- oder EU-Mitglieder als Kriegspartei ansehen und Vergeltung üben könnte. Olaf Scholz bestritt jedoch, der Ukraine das Zurückschießen verboten zu haben. Die Ukraine könne sich wehren, solange sie sich an Völkerrecht halte.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte die übrigen Verbündeten auf, wenigstens zu prüfen, ob der Westen seine militärisch wenig sinnvollen Beschränkungen nicht aufheben könnte. Diesen Wunsch hat Stoltenberg an diesem Dienstag auch den Verteidigungsministern der Europäischen Union vorgetragen. Sie tagten parallel zum Besuch des ukrainischen Präsidenten in Brüssel. Eine direkte Begegnung gab es aber nicht. 

Entscheidend wird wohl sein, wie sich die USA verhalten werden. US-Präsident Joe Biden soll eher für Zurückhaltung sein, während US-Außenminister Anthony Blinken nach seinem jüngsten Besuch in Kiew wohl dafür argumentiert. Die "New York Times" berichtete von einer hitzigen Debatte im Weißen Haus über den richtigen Kurs.

Handschlag drauf: Frankreichs Präsident (li.) ändert seine Haltung zu Einsatzbeschränkungen. Zieht Kanzler Scholz nach?Bild: Annegret Hilse/REUTERS

Schweden hatte bereits vor einigen Tagen zugestanden, dass sich die Ukraine auch mit Waffen und Munition aus schwedischer Produktion auf russischem Boden verteidigen könne.

Angriffe gegen russische Stellungen sind überall zulässig

Vom Kriegsvölkerrecht wären ukrainische Angriffe auf Stellungen und Einrichtungen in Russland gedeckt, meint der Völkerrechtsexperte Christian Mölling von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" im Bayerischen Rundfunk. Der Angegriffene, also die Ukraine, darf den Aggressor Russland in dessen Staatsgebiet bekämpfen, seine Soldaten und die militärische Führung töten. Diese Haltung vertrat auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Die westlichen Beschränkungen gelten nicht für das Gebiet der Krim-Halbinsel oder die Ostukraine. Russland hatte diese Gebiete zwar völkerrechtswidrig annektiert, sie sind juristisch aber nach wie vor Teil der Ukraine.

Mehr Hilfen aus Belgien und Spanien

In Belgien hat der ukrainische Präsident ein langfristiges Militärhilfe-Abkommen unterschrieben. Der belgische Premier De Croo kündigte an, dass Belgien Ausrüstung im Wert von einer Milliarde Euro liefern werde. Wolodymyr Selenskyj kam aus Madrid nach Brüssel. Dort hatte er von der spanischen Regierung Zusagen für ebenfalls eine Milliarde Euro an Militärhilfe und die Lieferung von sechs weiteren Raketenabwehrsystemen vom Typ Patriot erhalten, die in der Ukraine dringend benötigt werden.

"Die Ukraine verdient die richtigen Werkzeuge, um ihre Bevölkerung gegen die brutale russische Aggression zu schützen", sagte Alexander De Croo beim Treffen mit seinem Gast aus Kiew. Und er klopfte sich an die eigene westliche Brust: "Wir müssen mehr und bessere Waffen liefern. Das muss schneller gehen."

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Ärger mit EU-Mitglied Ungarn

Die EU-Verteidigungsministerinnen und -minister berieten in Brüssel über weitere Hilfen für die Ukraine. Zunehmend problematisch wird die Finanzierung und EU-interne Verrechnung von Waffenlieferungen. Das mehr und mehr offen Russland-freundliche EU-Mitgliedsland Ungarn blockiert seit einem Jahr Zahlungen aus einem Fonds der EU, der für die Ukrainehilfe eingerichtet wurde. Rechnungen von neun Milliarden Euro sind aufgelaufen.

Die ungarische Blockade, die mit wechselnden Begründungen aus Budapest untermauert wird, führte bereits beim Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der EU am Montag zu heftigen Wortgefechten und Vorwürfen an die Adresse der rechtsnationalen Regierung in Ungarn. Der belgische Premier De Croo, der derzeit auch Ratsvorsitzender der EU ist, sagte etwas schmallippig, man arbeite an einem Kompromiss.

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In Brüssel kam der ukrainische Präsident Selenskyj dem eingefrorenen russischen Staatsvermögen räumlich sehr nahe. Etwa 200 Milliarden Euro an Einlagen der russischen Staatsbank werden beim belgischen Finanzunternehmen "Euroclear" in Brüssel verwahrt. Die Ukraine fordert die Beschlagnahme des mit Sanktionen belegten Vermögens.

Noch zögern die westlichen Verbündeten diesen Schritt zu tun. Immerhin konnte Selenskyj die Zusage aus Belgien mitnehmen, dass die 1,9 Milliarden Euro an Ertragssteuern, die auf das Vermögen in diesem Jahr beim belgischen Finanzamt auflaufen, der Ukraine ausgezahlt werden. Alexander De Croo, der belgische Premier, verabschiedete Selenskyj mit den Worten: "Sie werden obsiegen und es ist unsere Pflicht, Ihnen zu helfen."

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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