Der neue Präsident der Ukraine ist derzeit vor allem wegen eines Telefonats in aller Munde - findet aber noch Zeit für politische Arbeit. Und um den Krieg im Osten des Landes zu beenden, geht er deutlich auf Russland zu.
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Seit fünfeinhalb Jahren herrscht Krieg im Osten der Ukraine. Mehr als 13.000 Menschen wurden durch Kampfhandlungen getötet und mehr als eine Million Menschen vertrieben. Die Lage in den umkämpften Gebieten Donezk und Luhansk war bislang trostlos. Nun soll eine vorläufige Einigung der Konfliktparteien den Weg zu Friedensgesprächen ebnen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will den Regionen Donezk und Luhansk einen Sonderstatus gewähren - und damit eine wichtige Forderung Russlands erfüllen. Vertreter der ukrainischen Regierung und der prorussischen Separatisten haben eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Nun könnte es bald zu einem neuen Gipfel mit deutscher Teilnahme kommen.
Gipfel im Normandie-Format
Der Weg sei frei für ein Treffen im so bezeichneten Normandie-Format mit den Staaten Frankreich, Deutschland, der Ukraine und Russland, sagte Selenskyj in Kiew. Die an den Gesprächen beteiligte Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilte mit, dass auch ein weiterer Rückzug von Truppen vereinbart worden sei. Dieses als Entflechtung bezeichnete Verfahren soll bei den Ortschaften Petriwske und Solote zu einer Entmilitarisierung führen. Schon im Herbst 2016 waren beide Frontabschnitte kurzzeitig befriedet worden. Nach OSZE-Angaben soll der neue Truppenabzug am 7. Oktober beginnen.
Konkret geht es bei der Vereinbarung zum Sonderstatus um die sogenannte "Steinmeier-Formel" für das Kriegsgebiet Donbass. Die nach dem Bundespräsidenten und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier benannte Formel sieht vor, dass die von der Ukraine abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk einen vorläufigen Sonderstatus erhalten. "Die Steinmeier-Formel wird in ein neues Gesetz eingearbeitet, das es noch nicht gibt", sagte Selenskyj nach der Sitzung der Kontaktgruppe.
Erst Wahlen, dann Entwaffnung - oder andersrum?
Russland hatte der Ukraine zuletzt einen Boykott der Formel vorgeworfen. Selenskyj bekannte sich nun öffentlich dazu. Damit sind aber noch nicht alle Unstimmigkeiten bereinigt. Denn die von Russland unterstützten Separatisten gehen davon aus, dass der Status vorerst vorübergehend gilt, bald Wahlen unter Beobachtung der OSZE abgehalten werden und es anschließend zu einer Entwaffnung kommt. Nach der Anerkennung des Urnengangs durch die OSZE soll es zu einem dauerhaften Sonderstatus kommen. Dagegen stellt Selenskyj klar, dass es demokratische Wahlen unter vorgehaltenen Sturmgewehren nicht geben könne.
Seit dem Machtwechsel im Frühjahr gibt es international die Hoffnung, dass unter Selenskyj Frieden in der Ukraine möglich ist. Am 7. September hatten Kiew und Moskau 70 Gefangene - 35 auf jeder Seite - ausgetauscht. Das war in Russland wie auch international als Zeichen möglicher Fortschritte bei einer Lösung des Ukraine-Konflikts gewertet worden.
Ost-Ukraine: Im Schatten des Krieges
Sajzewe ist ein Dorf an der Front: Hier im Osten der Ukraine leben nicht viele Menschen. Die, die noch da sind, sehnen sich vor allem nach Frieden. Doch der scheint weit entfernt zu sein - trotz der Wahl.
Bild: Reuters/G. Garanich
Sieg und Frieden
Zerstörte Häuser gibt es in der Ost-Ukraine viele. Fünf Jahre sind seit der Annexion der Krim vergangen. Die Kämpfe zwischen ukrainischen Kräften und Separatisten, die von Russland unterstützt werden, hören aber nicht auf. Rund 13.000 Menschen wurden in der Zeit getötet, ein Viertel von ihnen waren Zivilisten. Für Soldat Oleg reicht Frieden aber nicht aus: "Nur der Sieg" sei eine Option.
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Wichtige Versorgung
Die Regierung schickt Truppen, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen: Brot, Kohle, Feuerholz. Ab und zu kommt aber auch ein gepanzerter Wagen an die Frontlinie. Es ist ein fahrbarer Geldautomat: Bürger beider Konfliktseiten können kommen und ihn nutzen.
Bild: Reuters/G. Garanich
Kurze Auszeit
2014 nahmen Rebellen das Dorf in der russischsprachigen Donezk-Region ein. Ein Jahr später gewannen die ukrainischen Kräfte die Macht in Sajzewe zurück. Bis heute ist der Frieden allerdings brüchig. Soldaten müssen die Bewohner in Sajzewe immer noch regelmäßig mit Lebensmitteln versorgen. Ab und zu ist aber eine kurze Auszeit drin, um zum Beispiel den Ziegennachwuchs zu streicheln.
Bild: Reuters/G. Garanich
An der Front
600 Kilometer von Sajzewe entfernt, arbeitet sich Petro Poroschenko an Russland ab. Er will die Präsidentschaftswahl Ende März gewinnen. Für die Wähler, auch in Sajzewe, ist der Konflikt mit Russland das größte Problem der Ukraine. Die Schützengräben erinnern jeden Tag an den Konflikt.
Bild: Reuters/G. Garanich
Keine Hoffnung
Die 73-jährige Raisa Taranenko sieht jeden Tag die Einschusslöcher in ihrer Tür. Sie lebt 600 Meter von den Schützengräben der Separatisten entfernt. Das gestapelte Feuerholz soll sie wie eine Schutzmauer vor den Patronen schützen. Taranenko wünscht sich, dass der Krieg zu einem Ende kommt: "Aber es ist nicht klar, wie sich die Situation entwickeln wird. Es gibt keine Hoffnung für irgendetwas."
Bild: Reuters/G. Garanich
Frieden unter feindlichen Bedingungen
Ähnlich sieht es Ilya. Er ist Mitglied des Asow-Bataillons, das das ukrainische Innenministerium eingesetzt hat. Im Kampf hat er schon ein Auge und einen Arm verloren. Hoffnung auf nachhaltigen Frieden hat er nicht. "Diejenigen, die auf Frieden zählen, werden Frieden finden. Aber unter feindlichen Bedingungen", ist Ilya überzeugt. "Solch einen Frieden brauchen wir aber nicht."
Bild: Reuters/G. Garanich
Friedensgespräche nötig
Die Auswirkungen des Konflikts sind in Sajzewe deutlich zu sehen. Die Ukraine und die NATO werfen Russland vor, die Separatisten mit Waffen zu versorgen. Es gibt auch Hinweise auf die Beteiligung russischer Truppen. Moskau aber sagt, die Rebellen würden nur politisch unterstützt. Ob Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland etwas bringen? Die Bewohner von Sajzewe hoffen auf Frieden.
Bild: Reuters/G. Garanich
Endlich Frieden?
Denn der Konflikt trennt ganze Familien. Nikolai Yushkov (r.) ist 70 Jahre alt. Er lebt in dem benachbarten Mayorsk. Mit seinem Sohn und seiner Tochter wohnt er auf einem Stück Land, das von der Ukraine kontrolliert wird. Seine zweite Tochter lebt ein Stück weiter, unter separatistischer Kontrolle. "Alle sagen: Wir müssen uns hinsetzen und verhandeln", sagt er. "Frieden. Wir brauchen Frieden."
Bild: Reuters/G. Garanich
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"Lang erhoffte Fortschritte"
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich zuversichtlich. "Ich freue mich, dass die konstruktive Atmosphäre in der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk heute zu lang erhofften Fortschritten geführt hat. Damit steht die Tür zu einem Normandie-Gipfel und weiteren Etappen bei der Umsetzung der Minsker Abkommen offen."
Ein Treffen zwischen Kanzlerin Angela Merkel mit den Präsidenten Frankreichs, der Ukraine und Russland war für Oktober angedacht worden. Deutschland und Frankreich haben dies aber von Fortschritten in der Ostukraine abhängig gemacht.