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Warum Deutschland bisher kaum Seltene Erden recycelt

Ekaterina Venkina
20. August 2025

Die EU will für Metalle der Seltenen Erden nicht mehr vom Import aus China abhängig sein. Doch trotz wachsender Nachfrage bleibt das Recycling Seltener Erden in Deutschland hinter den Erwartungen zurück. Woran liegt das?

Das Ortsschild am Eingang zur Stadt Bitterfeld.
Bitterfelds ländlicher Charme ist von industriellem Flair geprägtBild: Ekaterina Venkina/DW

Mit seinen Obstgärten aus niedrigen Bäumen und dem kleinen Hafen mit sonnenbeschienenen Segelbooten versprüht Bitterfeld einen Hauch ländlichen Charmes. Doch die ostdeutsche Stadt etwa 140 km südwestlich von Berlin hat auch eine weniger idyllische Seite.

Der flache See, Silbersee genannt, entstand auf dem Gelände eines stillgelegten Tagebaus. Früher wurde hier Braunkohle abgebaut. Seit mehr als einem Jahrhundert ist die Stadt auch ein wichtiger Standort der Chemieindustrie in Deutschland. Davon zeugt bist heute ein Gewirr aus Rohren, der verseuchte Boden in der Region und die inzwischen modernisierten Industrieparks mit einer Vielzahl von Unternehmen. 

Jetzt könnte Bitterfeld ein weitere wichtige Rolle spielen – als Zentrum, um Seltene Erden in Europa zu gewinnen.  

Seltene Erden sind chemischen Elemente, die für die Herstellung von Permanentmagneten unerlässlich sind. Sie stecken in Unterhaltungselektronik, erneuerbaren Energien und Wehrtechnik. Und bisher stammen sie größtenteils ausChina. Europa ist auf Importe angewiesen und würde das gerne ändern. Hier kommt Bitterfeld ins Spiel.

Trotz strategischem Potenzial in der Finanzkrise

Die Idee ist, Seltene Erden aus ausgedienten Elektronikgeräten zu recyceln. Im Mai 2024 eröffnete die familiengeführte deutsche Technologiegruppe Heraeus dafür eine Anlage in Bitterfeld: ein graues, rechteckiges Gebäude, umgeben von einem hohen Stacheldrahtzaun. Bei der Eröffnung wurde der Standort als "die größte Recycling-Anlage für Seltene-Erden-Magnete in Europa" vorgestellt.

Die Stadt, in der sich das Heraeus Remloy-Werk befindet, gilt als Wiege der deutschen ElektrochemieBild: Ekaterina Venkina/DW

Ursprünglich sollte die Anlage jährlich rund 600 Tonnen Magnetpulver aus Seltenen Erden produzieren, mit dem Ziel, diese Menge bald auf 1.200 Tonnen zu verdoppeln. Doch es kam anders.

Ein Jahr nach dem Start berichtet Heraeus, dass die Anlage Schwierigkeiten hat, kostendeckend zu arbeiten, trotz des strategisch wichtigen Potenzials.

"Ich kann keine genaue Zahl nennen, aber wir sind weit von unserer Kapazitätsgrenze entfernt", so David Christian Bender, Co-Leiter von Heraeus Remloy. Er fügte hinzu, dass das europäische Recycling "nicht mit den Lieferungen von Seltenen Erden aus China konkurrieren kann".

Der Heilige Gral der Hightech-Wirtschaft

Vier Industriesektoren in Deutschland sind besonders abhängig von Importen Seltener Erden: die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau, die Energiebranche und die Verteidigung. Einer der wichtigsten Rohstoffe für diese Sektoren ist Neodym.

Das silbrig-weiße Metall findet sich in unzähligen Smart-Geräten – von Elektromotoren und Windturbinen bis zu MRT-Scannern und Smartphone-Lautsprechern – und gilt als heiliger Gral der Hightech-Ökonomie. In Form von Neodym-Eisen-Bor-Magneten ist es auch für militärische Anwendungen von zentraler Bedeutung.

Seltenerdmagnete sind ein Eckpfeiler der globalen EnergiewendeBild: Heraeus Remloy

"Diese Magnete werden in präzisionsgelenkten Waffen, Radar- und Sonarsystemen, Satellitenkommunikation und zur Geräuschreduzierung bei Militärfahrzeugen verwendet", erklärt Stefan Steinicke vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Obwohl Europa über einige Vorkommen verfügt, wird Neodym derzeit nicht abgebaut. Tatsächlich importiert der Kontinent 100 % seiner schweren Seltenen Erden wie Terbium und 85 % seiner leichten Seltenen Erden wie Neodym aus China. Das Land produziert auch 90 % der weltweiten Magnete.

"Wenn es um Elektromotoren, Robotik und Drohnen geht, ist die Importabhängigkeit nicht nur hoch, sondern systemkritisch", so Steinicke. Kurzfristige Importstopps führen zu Produktionsverzögerungen, Lieferengpässen und Preissteigerungen. Langfristige Ausfälle könnten Projektabbrüche in Schlüsseltechnologien bedeuten und strategische Unsicherheiten bei Investoren verursachen.

Im April dieses Jahres beschränkte China den Export mehrerer schwerer Seltener Metalle und Magnete drastisch – mit Folgen: In Teilen Deutschlands kamen Produktionslinien zum Stillstand.

Eine sauberere Abkürzung

2024 führte die EU das Gesetz über kritische Rohstoffe ein, den Critical Raw Materials Act. Bis 2030 sollen mindestens 10 % des Bedarfs in Europa gefördert, 40 % verarbeitet und 25 % recycelt werden. Die Abhängigkeit von einem einzelnen Nicht-EU-Land soll maximal 65 % betragen. 

Unternehmen wie Caremag (Frankreich) und Ionic Technologies (Großbritannien) kämpfen darum, im Neodym-Recycling führend zu sein – neben ihrem deutschen Konkurrenten (im Bild)Bild: Heraeus Remloy

Experten begrüßen die Ziele, halten sie jedoch für ambitioniert. Die EU müsse schneller handeln, mehr investieren und kreativere politische Instrumente einsetzen.

Die Produktionskette vom Bergbau bis zum Magneten ist lang und teuer. "Eine grüne Mine ist ein Widerspruch in sich – sie bringt immer Umweltzerstörung und Verschmutzung mit sich", sagt Pascal Leroy, Generaldirektor des WEEE Forums, einer Brüsseler Non-Profit-Organisation für Elektroschrott.

Das sogenannte Short-Loop-Recycling nutzt Vakuumschmelzen und überspringt so die schmutzigsten und energieintensivsten Schritte des längeren Recyclingprozesses – es gilt daher als umweltfreundlichere Alternative zum Bergbau. 

Ob Smartphone, Drohne oder Elektromotor, in Elektroschrott steckt ein Vielzahl wiederverwertbarer RohstoffeBild: Daniel Schäfer/dpa/picture alliance

Neben Heraeus Remloy arbeiten mehrere europäische Unternehmen daran, eine führende Rolle im REE-Recycling einzunehmen. 

Doch es ist schwierig, Kunden zu finden, die bereit sind, für europäische Produkte mehr zu zahlen.

Jan Giese, Senior Manager beim deutschen Metallhändler TRADIUM, sieht die Herausforderungen in den "relativ hohen Preisen für interessantes Schrottmaterial", den höheren Produktionskosten in Europa, "niedrigeren Recyclingkapazitäten und daraus resultierenden schlechteren Skaleneffekten".

Laut TRADIUM ist der Preis für Neodymoxid – trotz einiger Preisschwankungen – seit März 2022 insgesamt gefallen und erreichte Mitte 2024 einen Tiefpunkt. Auch das erschwert die Rentabilität der Recycling-Unternehmen.

Bisher werden weniger als ein Prozent der in der EU verbrauchten Seltenen Erden recycelt, erklärt eine Pressereferentin der EU-Kommission. Zwar habe Brüssel mehrere Projekte zur Unterstützung privater Investitionen genehmigt, eine grundlegende Veränderung sei jedoch nicht zu erwarten.

Anfang nächsten Jahres plant die EU die Einführung einer speziellen Plattform, um Käufer und Anbieter strategischer Rohstoffe zu vernetzen und die Bezugsquellen zu diversifizieren.

Keine Wunderlösung

"Recyclingquoten könnten Teil einer Lösung sein", sagt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Er betont die Notwendigkeit "einer kohärenten politischen Anstrengung, die ein Mosaik an Maßnahmen vereint", und schloss eine Steuervergünstigung für in Europa hergestellte oder recycelte Magnete nicht aus. Solche Schritte müssten jedoch "in enger Abstimmung innerhalb der EU" erfolgen, so Hardt.

Nahezu 50 % des Elektroschrotts in der EU werden nicht gesammelt, weniger als 40 % werden recycelt. Die EU-Kommission plant, die WEEE-Richtlinie – das EU-Gesetz zur Regelung von Elektroschrott – zu überarbeiten, um Sammlung, Behandlung und Marktanreize besser aufeinander abzustimmen.

Laut Leroy müsse Brüssel spezielle Abfallcodes für Permanentmagnete einführen, damit diese rückverfolgbar und recycelbar seien, bevor sie verloren gehen oder exportiert werden.

Recycelte Neodym-Eisen-Bor-Pulver können zu starken Permanentmagneten verarbeitet werdenBild: Heraeus Remloy

Gemeinsam mit Partnern hat das WEEE Forum außerdem die Online-Plattform Urban Mine geschaffen, die die Menge an wertvollen Materialien im EU-Abfall aufzeigt – es entspricht laut der Platform derzeit dem Gewicht von etwa drei Millionen afrikanischen Elefanten.

Bender, Co-Leiter von Heraeus Remloy, hofft auf eine rasche Einführung von Maßnahmen zur Förderung des Recyclings Seltener Erden. Er fordert verbindliche Quoten sowie finanzielle oder steuerliche Anreize für den Einsatz recycelter europäischer Magnete, insbesondere in der Automobilindustrie.

"Die Lage ist sehr schwierig.Wenn jetzt nichts geschieht, sehe ich keine Veränderungen bis 2030", sagt er – trotz der ehrgeizigen Ziele aus Brüssel.

Adaptiert aus dem Englischen von Anne-Sophie Brändlin

Dieser Artikel wurde im Rahmen des Netzwerks „Thematic Networks of PULSE" produziert, einer europäischen Initiative zur Förderung grenzüberschreitender journalistischer Zusammenarbeit.