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Politik

Keine Party, aber Grund zu feiern

Friederike Müller-Jung
4. April 2020

Wer den Bürgern Versammlungen verbietet, muss sich daran auch am eigenen Geburtstag halten. Am Samstag ist Senegal seit 60 Jahren unabhängig, das westafrikanische Land hat seitdem viel erreicht. Feiern muss es später.

Senegal 60. Unabhängigkeitstag | Frau mit Schutzmaske
Bild: imago images/Le Pictorium

"Die Lage ist ernst, das sage ich heute Abend in aller Feierlichkeit." Mit diesen Worten richtete sich Senegals Präsident Macky Sall am 23. März an die Bürgerinnen und Bürger seines Landes. Er rief den Ausnahmezustand aus und verhängte als ersten Schritt eine nächtliche Ausgangssperre, gültig ab derselben Nacht. "Die Krankheit verbreitet sich so schnell, dass wir gezwungen sind, unsere Reaktion darauf anzupassen. Sonst droht uns eine Katastrophe", begründete Sall in einer Fernsehansprache die Maßnahmen.

Fortan dürfen Muslime im Senegal nicht mehr zu Freitagsgebeten zusammenkommen, auch Versammlungen der christlichen Kirchen sind nicht mehr erlaubt. Schulen und Universitäten bleiben zu. Die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit von Frankreich am 4. April sind abgesagt. Es soll nur eine kleine militärische Zeremonie zur Feier des Tages geben.

Ein wichtiger Tag für den Senegal

Auch ohne großes Fest - Grund zu feiern habe das Land allemal, sagt Ute Gierczynski-Bocandé, Programmbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung im Senegal. Sie lebt seit über 30 Jahren in dem westafrikanischen Land und findet: "Das ist ein wichtiger Tag. Seit der Unabhängigkeit hat sich hier viel entwickelt." Als Beispiel nennt sie die Bildung.

Zwar gebe es Klagen, dass das Niveau nicht überall hoch genug sei und nicht alle sozialen Schichten gleichermaßen Zugang zum Bildungssystem hätten. "Doch im Prinzip kann hier fast jedes Kind zur Schule gehen, selbst in den weitab gelegenen Dörfern", sagt Gierczynski-Bocandé. Das war vor 60 Jahren ganz anders: Nur wenige Grund- und weiterführende Schulen habe es zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit gegeben.

Seit knapp zwei Wochen gilt nachts eine Ausgangssperre Bild: Reuters/Z. Bensemra

Trotzdem kämpft das Land weiter gegen Armut und Ungleichheit. Im Human Development Index der Vereinten Nationen liegt Senegal auf Platz 166 von 189. Der Index gilt als Indikator für Wohlstand und berücksichtigt Pro-Kopf-Einkommen, durchschnittliche Lebenserwartung und Ausbildungschancen.

Alles konzentriert sich auf die Hauptstadt Dakar

Gerade in der Wirtschaft sehen Beobachter großen Entwicklungsbedarf. Zwar liegt das jährliche Wachstum seit mehreren Jahren bei über sechs Prozent. Doch der Senegal ist stark auf Importe angewiesen. Dazu kommt das große Gefälle zwischen der Hauptstadt Dakar und dem Rest des Landes. Mit geschätzt 3,7 Millionen Einwohnern leben fast ein Viertel aller Senegalesen in der Metropole an der Atlantikküste. Industrie und Wirtschaft konzentrieren sich dort.

Auf den Märkten des Landes lässt sich soziale Distanz zur Eindämmung des Coronavirus kaum einhalten Bild: Reuters/Z. Bensemra

"Die wirtschaftliche Entwicklung ist nicht ausgewogen", sagt Ute Gierczynski-Bocandé. "Dakar entwickelt sich exponentiell." Als Beispiel nennt die Expertin die junge Stadt Diamniadio in der Metropolregion, wo ultramoderne Gebäude entstehen. "Die wirken fast schon wie aus einem futuristischen Traum. Dabei haben Menschen in anderen Landesteilen nicht einmal fließendes Wasser."

Diamniadio liegt etwa 30 Kilometer von Dakar entfernt. In einem enormen Bauprojekt sollen dort bis 2035 mehrere Industrieparks und Zehntausende Wohnungen errichtet werden. Eine Art Stadt in der Stadt und ehrgeiziges Projekt des Präsidenten im Rahmen seines "Plan Sénégal Emergeant" - auf Deutsch "Aufstrebender Senegal".

Surfen im Senegal: Kommen nach Corona wieder Touristen? Bild: DW/A. Williams

Politisches Vorbild in der Region

Im vergangenen Jahr wählte die Mehrheit der Senegalesen Macky Sall für eine zweite Amtszeit. Durch demokratische Machtwechsel und sein Mehrparteiensystem gilt der Senegal in der Region als politisch stabil und anderen Ländern als Vorbild. Vom US-Institut Freedom House gab es 2019 die Note 2 für politische Rechte. Nouhou Baldé, Journalist aus dem Nachbarland Guinea, sagte der DW am Tag der senegalesischen Präsidentenwahl: "Wir können vom Senegal viel lernen, gerade was die Organisation von Wahlen angeht."

Zum Geburtstag wünscht Senegal-Expertin Ute Gierczynski-Bocandé dem Land vor allem eins: "Dass es weiterhin ein so wunderbares Beispiel für das harmonische Zusammenleben von Menschen aller Herkunft und aller Religionen sein wird." Und dass sich davon nach der überstandenen Corona-Krise auch wieder viele Besucher überzeugen können und der Tourismus wieder auflebt.

Mitarbeit: Kossivi Tiassou