1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikFrankreich

Sensation bei Wahl in Frankreich: Linksbündnis gewinnt

7. Juli 2024

Völlig unerwartet landen die Rechtsextremen bei der 2. Runde der Parlamentswahl nur auf Platz drei. Präsident Emmanuel Macron muss wohl einen Linken zum Premier machen. Macrons riskantes Manöver funktioniert nicht ganz.

Anhänger der linken Volksfront jubeln
Ungläubiger Jubel: Anhänger der linken Volksfront im Hauptquartier der ErstplatziertenBild: Thomas Padilla/AP/picture alliance

Entgegen der Meinungsumfragen und Vorhersagen der letzten Wochen hat das Linksbündnis "Neue Volksfront" die meisten Sitze in der französischen Nationalversammlung geholt. Die als Sieger vorhergesagte extreme Rechte Rassemblement National kommt nach ersten Hochrechnungen überraschend nur auf den dritten Platz.

Der informelle Anführer der linken Volksfront, Jean-Luc Mélenchon, erklärte sich zum Wahlsieger und sagte "die republikanische Leidenschaft" habe einen gewaltigen Erfolg errungen. Noch vor einer Woche sei ein Wahlsieg der Rechtsextremen vorgesagt worden. "Das Volk hat das verhindert", jubelte Mélenchon, der Parteichef der linksradikalen Partei "Unbeugsames Frankreich". Der Präsident müsse jetzt einen Premierminister aus den Reihen der Volksfront ernennen. Das Linksbündnis hat allerdings keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung, sondern ist wahrscheinlich auf eine Koalition mit der liberalen "Ensemble"-Partei von Präsident Emmanuel Macron angewiesen. "Das ist eine gewaltige Erleichterung für die Menschen in Frankreich", rief Jean-Luc Mélenchon einer jubelnden Menschenmenge in Paris zu. In Paris und in vielen großen Städten hatte das Linksbündnis die meisten Sitze geholt.

Hocherfreut und überrascht: Der linksradikale Parteiführer Jean-Luc Melenchon will Premier werdenBild: Thomas Padilla/AP/dpa/picture alliance

Frustrierte Rechtsextreme

Der Parteivorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, und die Parteigründerin, Marine Le Pen, hatten eine große Siegesfeier vorbereitet. Stattdessen blieben die Korken in den Champagnerflaschen. Die zahlreichen Anhänger des Rassemblement machten auf der Wahlparty in einem Vorort von Paris lange Gesichter und konnten kaum glauben, dass sie nur drittstärkste Kraft wurden. Jordan Bardella sagte, der RN habe nur verloren, weil die Linke und Präsident Macron eine "unnatürliche Koalition" eingegangen seien. In der zweiten Runde hatten Linke und Macrons Partei in zahlreichen Wahlkreisen nur einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen geschickt, um eine Mehrheit für Kandidaten des RN zu verhindern. Dieses Kalkül ging offenbar auf und machte Jordan Bardella sehr ärgerlich. "Die Wähler sind frustriert", meinte Bardella. Der RN bleibe die einzige Alternative zur linken und zentristischen Politik. Das Mehrheits-Wahlsystem sei gegen den RN in Stellung gebracht worden.

RN-Parteichef Jordan Bardella: Große Zuwächse verglichen mit 2022, aber nur auf dem dritten PlatzBild: JULIEN DE ROSA/AFP

Macrons Partei wird zweitstärkste Kraft

Präsident Macron, der den Wahlabend zurückgezogen im Élysée-Palast verbrachte, hatte alles auf eine Karte gesetzt und das riskante Spiel doch nicht ganz verloren. Der französische Präsident hatte nach der für seine Partei enttäuschenden Europawahl Anfang Juni das nationale Parlament in Frankreich überraschend aufgelöst. Mit der Neuwahl wollte er sich ein neues Mandat von den französischen Wählerinnen und Wähler holen. Diese Rechnung ging nicht ganz auf. Zwar wehrte er die Machtübernahme durch die extreme Rechte ab, aber stattdessen muss er nun mit den teilweise extremen Linken zusammenarbeiten. Immerhin wurde seine liberale Partei zweitstärkste Kraft. Allgemein hatten alle Analysten im Vorfeld der zweite Runde der Parlamentswahl mit einem historischen Sieg der Rechten gerechnet. Es wäre in der Geschichte des modernen Frankreichs das erste Mal gewesen, dass die extreme Rechte stärkste Kraft in einem frei gewählten Parlament geworden wäre. Es kam anders.

Politische Gewichte zwischen Präsident und Parlament verschieben sich

Die Wahlbeteiligung erreichte mit 67 Prozent einen Rekordwert. Der Überraschungscoup des Präsidenten hat die Franzosen mobilisiert. Sie waren nicht wahlmüde, weil sie gefühlt haben, dass diese Parlamentswahl eine historische Entscheidung war. Gesine Weber, Frankreich-Analystin bei der Denkfabrik "German Marshall Fund", meint im Gespräch mit der DW, dass Emmanuel Macron sich seit seinem Amtsantritt 2017 total von den Wählern entfernt habe. "Wir sehen, dass die Franzosen mit seiner Politik völlig unzufrieden waren. Sein Ansatz und sein politisches Vorhaben, eine neue politische Kraft in der Mitte zu schaffen und die politischen Ränder zu schwächen, hat überhaupt nicht funktioniert."

Palais Bourbon: Französisches Parlament in ParisBild: Bernd Riegert/DW

Ein Berater des Präsidenten wird von französischen Medien mit den Worten zitiert: "Macron gibt den Schlüssel für die politische Macht an die Abgeordneten ab. Sie ist nicht mehr im Élysée." Der Élyséepalast ist der Amtssitz der französischen Präsidenten. Emmanuel Macron wird für den Rest seiner Amtszeit bis zum Mai 2027 wohl eher eine "lahme Ente" sein. Die Verfassung der französischen Republik sieht das Machtzentrum beim Präsidenten. Das könnte sich in der Praxis jetzt ändern. Es wird zu einer "Kohabitation" kommen, also der erzwungenen Zusammenarbeit des Präsidenten mit einer Regierung, die mehrheitlich aus einem anderen politischen Lager kommt. Einen Rücktritt hat Emmanuel Macron ausgeschlossen. Er bleibt für Außenpolitik und Verteidigung zuständig. Die Innenpolitik und die Wirtschaftspolitik kann aber die Regierung unter Führung eines linken Premierministers bestimmen. Der amtierende Premier Gabriel Attal von der Ensemble-Partei kündigte noch am Abend seinen Rücktritt an. 

Schwierige Regierungsbildung zu erwarten

Marine Le Pen und Jordan Bardella hatten versucht, den rechtsextremen RN als moderat darzustellen. In der ersten Wahlrunde hatten die Wählerinnen und Wähler besonders im ländlichen Frankreich diese Darstellung noch geglaubt. In der zweiten Runde nur eine Woche später allerdings nicht mehr. Trotz des relativ schlechten Abschneidens ist der Rassemblement National für viele Franzosen dennoch eine normale Partei geworden. Links- und Rechtsextreme seien durch die angesetzte Neuwahl gestärkt worden, sagt Frankreich-Analystin Gesine Weber der Deutschen Welle.

Präsident Macron bei der Stimmabgabe: Wird er eine neue Koalition mit der gemäßigten Linken und den Grünen suchen?Bild: Mohammed Badra/AP Photo/picture alliance

Wer die Regierung nun anführen wird, ist am Sonntagabend nicht klar. Vor der Wahl hatte Präsident Macron kategorisch ausgeschlossen, den linksradikalen Jean-Luc Mélenchon zum Premierminister zu machen. Seine Partei "Unbeugsames Frankreich" sei viermal schlimmer als die Rechten vom RN, hatte Macron gesagt. Zur erstplatzierten Linksbündnis "Neue Volksfront" gehören neben den radikalen Linken auch Sozialisten, Sozialdemokraten und die Grünen. Der Präsident könnte jetzt versuchen, die eilig gebildete Volksfront zu spalten und nur mit den gemäßigten Linken zusammenzuarbeiten. Auf dem Platz der Republik in Paris versammelten sich nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen Tausende Menschen, um den Sieg der Linken zu feiern. Viele von ihnen waren überrascht und glücklich, dass es die Rechtsextremen nicht an die Macht schaffen werden.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen